Teil 1 I Von der Vision zur Wirklichkeit
„The most profund technologies are those that disappear. They weave themselves into fabric of everyday life until they are indistinguishable from it.”[1] MARK WEISER (1991)
Diese visionäre Behauptung stammt vom US-amerikanischen Informatiker Mark Weiser, der bereits 1991 in seinem vielzitierten Grundlagentext „The Computer for the 21st Century“[2] prophezeit, dass der Computer von morgen allgegenwärtig sein wird. Dabei weben sich Technologien, so seine These, quasi in unsere Alltage und ihre Dinge ein, um uns permanent zu unterstützen. Durch die Einbettung der Technik in unsere materielle Umwelt verschwinden die Computer in unseren Alltagsgegenständen – Ihre Assistenz wird dank neuem Interface unauffällig. Heute, 25 Jahre später, ist diese Vision in Form von Wearables Wirklichkeit geworden. Wie aber haben sie sich entwickelt und es in unseren Alltag geschafft und wie nimmt die Technologie Einfluss auf unsere Körper?
Lange Tradition: die Entwicklung der Wearables
Erstes Wearable: Die von Conrad von Soest 1403 gemalte Brille des sogenannten „Brillenapostel“, ist die früheste bildliche Darstellung nördlich der Alpen.
Die Idee, den Körper mit technischen Hilfen zu verbessern, ist nicht neu: Schon die Erfindung der Brille im Jahr 1280[3] setzt einen ersten Meilenstein in der Geschichte der Mensch-Prothese-Interaktion. Auf diese doch recht einfache technische Hilfe folgt viele Jahre und unzählige Maschinen-Erfindungen später, Ende der 1950er Jahre, die Hochphase der modernen Science-Fiction. Sie beschäftigt sich mit den Auswirkungen der Technik auf den Menschen und bringt ein neues zwiespältiges Lebensgefühl hervor. Ausgehend von dieser Beobachtung beleuchtet Donna Haraway 1985 die Schnittstelle zwischen Mensch und Maschine in ihrem prominenten Essay „A Cyborg Manifesto“[4]. Haraway konstatiert, dass unser Körper nicht an unserer Haut endet. Den Körper ergänzende Maschinen können dabei „Prothesen, vertraute Bestandteile oder ein freundliches (friendly) Selbst“[5] sein. Diese Hybride aus Maschine und Organismus nennt sie Cyborgs, angelehnt an kybernetische Organismen, die Informationen verschiedenster Art aufnehmen, verarbeiten und übertragen. Heute erweitern Wearables wie Armbänder, Brillen und Armbanduhren menschliche Körper und Fähigkeiten. Durch die Vernetzung von Virtualität und Realität machen sie die Träger*innen zu harawayesken Cyborgs.
Alltagsintegrierte Wearables: die Smartwatch
Hat man sich noch vor ein paar Jahren über Wearables als Spielzeug für ‚Technik-Nerds‘ amüsiert, sind sie heute im Alltag angekommen. körpernah getragen helfen diese Computersysteme und die dazugehörigen Apps den Nutzer*innen bei bestimmten Tätigkeiten oder liefern Informationen zum körperlichen Zustand und externen Verhältnissen.[6] Das Angebot ist vielfältig und reicht vom Zählen der verbrannten Kalorien, über die Überwachung des täglichen Aktivitätslevels, des Pulses und des Wasser- oder Kaffeekonsums, bis hin zur Qualität und Dauer des Schlafs. Durch ihre Allgegenwärtigkeit und die Konnektivität zu anderen Netzwerken, wie beispielsweise dem eigenen Smartphone, fordern Wearables von ihren Träger*innen Aufmerksamkeit und rufen permanent zur Aktivität auf.[7]
Als Integrationshelfer in den Alltag ist sicherlich allen voran die Smartwatch zu nennen. In puncto kulturelle Gewöhnung hat sie den großen Vorteil, dass sie äußerlich fast einer herkömmlichen Armbanduhr gleicht. Mit eingebautem Fitness Tracker bedient sie den uralten Menschheitstraum eines langen und gesunden Lebens. Durch kleine Vibrationen sendet die Smartwatch etwa die Aufforderung mit ihr zu kommunizieren und das noch ausstehende Workout zu beginnen. Die Nachricht provoziert bei der Empfänger*in meist eine spontane Antwort in Form einer direkten Handlung. Einer der hauptsächlichen Erfolgsschlüssel ist der unmittelbare, hartnäckige Aufforderungscharakter der Wearables im Healthcare-Bereich,[8] der den inneren Schweinehund bei vielen zu zähmen scheint. Zudem liegt ein gesunder Lebensstil mit ständiger Optimierung des eigenen Körpers und dessen Kontrolle durch Datensammlung voll im Trend. Über die sogenannten „Activity Tracker“ hinaus sind jedoch insbesondere die deutschen Verbraucher noch zurückhaltend was den Kauf von tragbarer Technologie angeht.[9]
[1] Weiser, Mark: The Computer for the 21st Century. In: Scientific American, 3 (1991), H. 265, S. 94-104, hier S. 94.
[2] Ebd.
[3] Vgl. Mertens, Marie: Robert Jänisch im Interview. „Wearables werden das Smartphone ablösen“. In: Fashionsparkle, 01.12.2015.
[4] Haraway, Donna: Manifesto for Cyborgs. Science, Technology, and Socialist Feminism in the 1980’s. In: Socialist Review 80 (1985), S. 65-108.
[5] Vgl. Haraway, Donna: Ein Manifest für Cyborgs. Feminismus im Streit mit den Technowissenschaften. In: Hammer, Carmen/Stieß, Immanuel (Hg.): Donna Haraway. Die Neuerfindung der Natur. Primaten, Cyborgs und Frauen. Frankfurt a.M./New York 1995, S. 33-72, hier S. 47.
[6] Vgl. Schmälter, Mike/Haferkamp, Kevin: Marktüberblick und -ausblick Wearables im Healthcare Bereich. Dortmund 2014. URL:
http://winfwiki.wi-fom.de/index.php/Markt%C3%BCberblick_und_%E2%80%93ausblick_Wearables_im_Healthcare_Bereich#cite_note-6 (Zugriff: 29.02.2016).
[7] Vgl. Carstensen, Tanja u. a.: Subjektkonstruktionen im Kontext Digitaler Medien. In: Carstensen, Tanja u. a. (Hg.): Digitale Subjekte. Praktiken der Subjektivierung im Medienumbruch der Gegenwart. Bielefeld 2014, S. 9-29, hier S. 10f.
[8] Vgl. ebd.
[9] Vgl. dpa-Themendienst (Hg.): Tragbare Technik. Wunderbare Wearable-Welt. In: Süddeutsche Zeitung, 24.02.2016. URL:
http://www.sueddeutsche.de/news/wissen/technik-tragbare-technik-wunderbare-wearable-welt-dpa.urn-newsml-dpa-com-20090101-160224-99-962724 (Zugriff: 29.02.2016).
Bildquelle: https://commons.wikimedia.org/wiki/Glasses?uselang=de#/media/File:Conrad_von_Soest,_%27Brillenapostel%27_%281403%29.jpg (Zugriff: 29.03.2016).