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Wearables – Die Vermessung des Menschen

Teil 2  I The next big thing: Freund oder Verräter?

Mein erster Blogbeitrag (http://blog.kulturding.de/?page_id=11) beschäftigt sich mit dem Einzug von Computertechnologien in tragbare Alltagsgegenstände, den sogenannten Wearables und der Frage: Wie nimmt die Technologie Einfluss auf unsere Körper? Im zweiten Teil des Beitrags geht es nun darum, mit welchen Verbesserungsversprechen die smarten Produkte verkauft und welche potenziellen Risiken in ihnen schlummern.

Ganz schön vermessen: gesunde Zusammenarbeit?

Wearables gelten als das „next big thing“[1] und müssen neben schlauem Technikding jetzt auch zum hübschen Alltags-Accessoire taugen. Aber sie dienen den User*innen nicht nur als modisches Schmuckstück und Indikator für technisches Gespür, sondern – für das Marketing viel wichtiger – sie sind zugleich intelligente Prothesen des Körpers. Natürlich werben große Hersteller wie Apple und Samsung nicht mit neuen intelligenten Prothesen, was nicht nur extrem unsexy klingt, sondern auch gleich an Krankheit und Krankenhaus denken lässt. Vielmehr wird von einem „verlässlichen Partner“[2] gesprochen.

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Intelligente Überwachung: die Smartwatch

Vergleicht man die Versprechungen hinter Produkten wie der Smartwatch, kommt man bei beiden Anbietern zu sehr ähnlichen Kategorien: der Körper soll fitter, die Gesundheit und das Wohlbefinden im Auge behalten werden, zudem sollen die Anwender*innen über aktuelle Themen immer sofort informiert sein und deren Persönlichkeit mithilfe von unzähligen Designs unterstrichen werden. Aber auch Fragen der Sicherheit scheinen gute Verkaufsargumente zu sein: „Vom persönlichen Ausdauertraining bis hin zur Überwachung Ihres Zuhauses, fast alles ist möglich.“[3] Der messbare Erfolg der Activity Tracker gegenüber normalem Training im Fitnessstudio liegt zum einen an den motivierenden Benachrichtigungen, die der inneren Trägheit durch ständige Aufforderungen den Kampf ansagen. Andererseits locken aufbereitete Diagramme der eigenen Leistung, die so plötzlich mit Freunden teilbar wird. Apple hat diesen Wert gleich erkannt und verschiedene digitale Medaillen entwickelt, die nach erfolgreichem Abschluss eines bestimmten Ziels in den sozialen Netzwerken hergezeigt werden können.[4]

Alles zählt: Wo bleibt der gesammelte Datenschatz?

Nach all diesen vielversprechenden Verheißungen über wertvolle Dienste, an denen sich deutlich der Trend zur Selbstvermessung ablesen lässt, stellt sich nun die Frage: Was passiert mit all den hochsensiblen medizinischen Daten? Sicher ist jedenfalls, dass die Konzerne unsere Gesundheit als eigenständigen Wert erkannt haben. Apple schreibt auf seiner Seite zum Verbleib der Daten ganz unverhohlen:

„Unternehmen überall werden darauf aufmerksam, wie die Apple Watch ihren Trägern dabei hilft, sich eine gesunde Lebensweise anzugewöhnen. Organisationen wie regionale Gesundheitssysteme, staatliche Versicherungen bis hin zu privaten Unternehmen entwickeln rund um die Apple Watch weitreichende Gesundheitsinitiativen und -programme für ihre Kunden.“[5]

Samsung dagegen spricht nicht von einer direkten Datenpipeline zur Krankenkasse, sondern stellt seinen Kund*innen auf der Homepage nur die allgemeinen Datenschutzrichtlinien bereit. Ein ähnliches Kundenportfolio der Datenempfänger ist dabei durchaus vorstellbar.

Kulturpessimistisch betrachtet lauern hinter den neuen Gadgets weitere Unannehmlichkeiten wie zum Beispiel die hohe Informationsflut, die mit einer gewissen Überforderung durch Multitasking einhergehen kann und per se die intransparente Macht der Technik.[6] Viele Prognosen versprechen den Wearables, aller Datenrisiken zum Trotz, in naher Zukunft eine ähnliche Omnipräsenz wie den Smartphones. Spannend wird dann sicher die Frage, wie sich in Zukunft unser Verhältnis zum eigenen Körper verändert.

 

[1] Stillich, Sven: Wie Wearables unser Leben verändern. In: Stern, 25.12.2015. URL:http://www.stern.de/digital/smartphones/smartphone-und-design/wearables–so-werden-smartwatches-und-fitness-tracker-unser-leben-veraendern-6604248.html (Zugriff: 30.03.2016).

[2] Apple Inc.: Watch. Fitness, 2016. URL: http://www.apple.com/de/watch/fitness/ (Zugriff: 31.03.2016).

[3] [3] SAMSUNG: Gear S2 X. Eigenschaften, 2016. URL: http://www.samsung.com/de/galaxy/gear-s2/features/?cid=de_banner_tn-galaxygears2_20151006_samsunguhr-broad&tmcampid=7&tmad=c&tmplaceref=c_DCO_FY16_Smartphones_GearS2_Brand+Category_B&tmclickref=b_samsung%20uhr (Zugriff: 31.03.2016).

[4] Vgl. Apple Inc. 2016.

[5] Apple Inc.: Watch. Health, 2016. URL: http://www.apple.com/de/watch/health/ (Zugriff: 31.03.2016).

[6] Vgl. Carstensen, Tanja u. a.: Subjektkonstruktionen im Kontext Digitaler Medien. In: Carstensen, Tanja u. a. (Hg.): Digitale Subjekte. Praktiken der Subjektivierung im Medienumbruch der Gegenwart. Bielefeld 2014, S. 9-29, hier S. 12.

Bildquelle: https://pixabay.com/de/intelligente-%C3%BCberwachung-apple-821565/ (Zugriff: 29.03.2016).

Wearables – Die Vermessung des Menschen

Teil 1  I  Von der Vision zur Wirklichkeit

„The most profund technologies are those that disappear.                                                                                              They weave themselves into fabric of everyday life until they                                                                                       are indistinguishable from it.”[1]                                                                                                                                                MARK WEISER (1991)

Diese visionäre Behauptung stammt vom US-amerikanischen Informatiker Mark Weiser, der bereits 1991 in seinem vielzitierten Grundlagentext „The Computer for the 21st Century“[2] prophezeit, dass der Computer von morgen allgegenwärtig sein wird. Dabei weben sich Technologien, so seine These, quasi in unsere Alltage und ihre Dinge ein, um uns permanent zu unterstützen. Durch die Einbettung der Technik in unsere materielle Umwelt verschwinden die Computer in unseren Alltagsgegenständen – Ihre Assistenz wird dank neuem Interface unauffällig. Heute, 25 Jahre später, ist diese Vision in Form von Wearables Wirklichkeit geworden. Wie aber haben sie sich entwickelt und es in unseren Alltag geschafft und wie nimmt die Technologie Einfluss auf unsere Körper?

Lange Tradition: die Entwicklung der Wearables

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Erstes Wearable: Die von Conrad von Soest 1403 gemalte Brille des sogenannten „Brillenapostel“, ist die früheste bildliche Darstellung nördlich der Alpen.

Die Idee, den Körper mit technischen Hilfen zu verbessern, ist nicht neu: Schon die Erfindung der Brille im Jahr 1280[3] setzt einen ersten Meilenstein in der Geschichte der Mensch-Prothese-Interaktion. Auf diese doch recht einfache technische Hilfe folgt viele Jahre und unzählige Maschinen-Erfindungen später, Ende der 1950er Jahre, die Hochphase der modernen Science-Fiction. Sie beschäftigt sich mit den Auswirkungen der Technik auf den Menschen und bringt ein neues zwiespältiges Lebensgefühl hervor. Ausgehend von dieser Beobachtung beleuchtet Donna Haraway 1985 die Schnittstelle zwischen Mensch und Maschine in ihrem prominenten Essay „A Cyborg Manifesto“[4]. Haraway konstatiert, dass unser Körper nicht an unserer Haut endet. Den Körper ergänzende Maschinen können dabei „Prothesen, vertraute Bestandteile oder ein freundliches (friendly) Selbst“[5] sein. Diese Hybride aus Maschine und Organismus nennt sie Cyborgs, angelehnt an kybernetische Organismen, die Informationen verschiedenster Art aufnehmen, verarbeiten und übertragen. Heute erweitern Wearables wie Armbänder, Brillen und Armbanduhren menschliche Körper und Fähigkeiten. Durch die Vernetzung von Virtualität und Realität machen sie die Träger*innen zu harawayesken Cyborgs.

Alltagsintegrierte Wearables: die Smartwatch

Hat man sich noch vor ein paar Jahren über Wearables als Spielzeug für ‚Technik-Nerds‘ amüsiert, sind sie heute im Alltag angekommen. körpernah getragen helfen diese Computersysteme und die dazugehörigen Apps den Nutzer*innen bei bestimmten Tätigkeiten oder liefern Informationen zum körperlichen Zustand und externen Verhältnissen.[6] Das Angebot ist vielfältig und reicht vom Zählen der verbrannten Kalorien, über die Überwachung des täglichen Aktivitätslevels, des Pulses und des Wasser- oder Kaffeekonsums, bis hin zur Qualität und Dauer des Schlafs. Durch ihre Allgegenwärtigkeit und die Konnektivität zu anderen Netzwerken, wie beispielsweise dem eigenen Smartphone, fordern Wearables von ihren Träger*innen Aufmerksamkeit und rufen permanent zur Aktivität auf.[7]

Als Integrationshelfer in den Alltag ist sicherlich allen voran die Smartwatch zu nennen. In puncto kulturelle Gewöhnung hat sie den großen Vorteil, dass sie äußerlich fast einer herkömmlichen Armbanduhr gleicht. Mit eingebautem Fitness Tracker bedient sie den uralten Menschheitstraum eines langen und gesunden Lebens. Durch kleine Vibrationen sendet die Smartwatch etwa die Aufforderung mit ihr zu kommunizieren und das noch ausstehende Workout zu beginnen. Die Nachricht provoziert bei der Empfänger*in meist eine spontane Antwort in Form einer direkten Handlung. Einer der hauptsächlichen Erfolgsschlüssel ist der unmittelbare, hartnäckige Aufforderungscharakter der Wearables im Healthcare-Bereich,[8] der den inneren Schweinehund bei vielen zu zähmen scheint. Zudem liegt ein gesunder Lebensstil mit ständiger Optimierung des eigenen Körpers und dessen Kontrolle durch Datensammlung voll im Trend. Über die sogenannten „Activity Tracker“ hinaus sind jedoch insbesondere die deutschen Verbraucher noch zurückhaltend was den Kauf von tragbarer Technologie angeht.[9]

[1] Weiser, Mark: The Computer for the 21st Century. In: Scientific American, 3 (1991), H. 265, S. 94-104, hier S. 94.

[2] Ebd.

[3] Vgl. Mertens, Marie: Robert Jänisch im Interview. „Wearables werden das Smartphone ablösen“. In: Fashionsparkle, 01.12.2015.

[4] Haraway, Donna: Manifesto for Cyborgs. Science, Technology, and Socialist Feminism in the 1980’s. In: Socialist Review 80 (1985), S. 65-108.

[5] Vgl. Haraway, Donna: Ein Manifest für Cyborgs. Feminismus im Streit mit den Technowissenschaften. In: Hammer, Carmen/Stieß, Immanuel (Hg.): Donna Haraway. Die Neuerfindung der Natur. Primaten, Cyborgs und Frauen. Frankfurt a.M./New York 1995, S. 33-72, hier S. 47.

[6] Vgl. Schmälter, Mike/Haferkamp, Kevin: Marktüberblick und -ausblick Wearables im Healthcare Bereich. Dortmund 2014. URL:

http://winfwiki.wi-fom.de/index.php/Markt%C3%BCberblick_und_%E2%80%93ausblick_Wearables_im_Healthcare_Bereich#cite_note-6 (Zugriff: 29.02.2016).

[7] Vgl. Carstensen, Tanja u. a.: Subjektkonstruktionen im Kontext Digitaler Medien. In: Carstensen, Tanja u. a. (Hg.): Digitale Subjekte. Praktiken der Subjektivierung im Medienumbruch der Gegenwart. Bielefeld 2014, S. 9-29, hier S. 10f.

[8] Vgl. ebd.

[9] Vgl. dpa-Themendienst (Hg.): Tragbare Technik. Wunderbare Wearable-Welt. In: Süddeutsche Zeitung, 24.02.2016. URL:

http://www.sueddeutsche.de/news/wissen/technik-tragbare-technik-wunderbare-wearable-welt-dpa.urn-newsml-dpa-com-20090101-160224-99-962724 (Zugriff: 29.02.2016).

Bildquelle: https://commons.wikimedia.org/wiki/Glasses?uselang=de#/media/File:Conrad_von_Soest,_%27Brillenapostel%27_%281403%29.jpg (Zugriff: 29.03.2016).