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Natürlich Schön!

Teil 1

Heutzutage kennt das doch jeder, man probiert etwas Neues an oder schaut nur einfach kurz in den Spiegel und sofort fallen all die  „offensichtlichen“ Schönheitsmakel auf, die einem vorher schon störten. Der Po ist zu groß, die Lippen zu dünn, die Oberschenkel zu breit und die Brüste zu klein. Es gibt wohl kaum einen Menschen, der heutzutage nicht das ein oder andere gerne an sich ändern würde. Weiterlesen

Welche Haarfarbe steht mir? Ergebnisse ethnographischer Erkundungen

„Warum färbst[1] Du dir die Haare?“ Mit sechs Frauen[2] im Alter zwischen 25 und 53 Jahren sprach ich über ihre Haare und stellte unter anderem diese eine Frage. Ziel dieser akteurszentrierten Perspektive war es, die von den Subjekten eröffneten Bedeutungen in Hinblick auf die Haarfärbung zu erkunden.[3] Weiterlesen

Die Weißheit der Anderen

Weiß ist eine besondere Farbe. Vielleicht auch eine Nicht-Farbe. Oder alle Farben zugleich. Eine Überfarbe. Pures Licht. Physikalische Vollkommenheit, vollkommene Metaphysik. Nichts und alles. Weiß hat etwas an sich, und doch gerade nichts an sich: nichts Fremdes, keine Brechung, keinen Schmutz. Es ist völlige Reinheit, ein Extrem, eine absolute Steigerung, unkorrumpierbar. In seiner sozialen Einvernahme vertritt es eine klare Position. Weiß ist der Gegenspieler des Schwarz: Es ist das Licht, nicht das Dunkel, das Gute, nicht das Schlechte, der Adel, nicht das Volk. Es ist das Ungemeine, nicht das Gemeine. Es ist ein Zeichen der Macht, der Sonderstellung, eine Auszeichnung. Weiß-Sein ist distinkt sein: „Weiß bedeutet das Anderssein schlechthin.“[1] Weiß ist die Farbe der Besonderen.

Nah und doch fern: Hyperweiße Zähne oszillieren zwischen Aufdrängung und Distanz.

Nah und doch fern: Hyperweiße Zähne oszillieren zwischen Aufdrängung und Distanz.

Weiß – pur und rein – kann Symbol der eigenen Heraushebung sein. Doch muss man es tragen, möglichst nah, möglichst ganz und gar einverleibt. Man muss es selbst sein. Die Zähne sind vielleicht das einzige körpereigene Medium, die dies erlauben. Zähne kann man bleichen, noch weißer, noch strahlender machen. Vollends gebleachte, hyperweiße Zähne oszillieren zwischen Distanzierung und Aufdrängung. Sie lösen sich von ihrem Träger und drängen in das Außen hinein. Sie sind entfernt und nah zugleich, strahlen und schweben als andere Körper, unnahbar, körperlos. Ihr weißes Leuchten greift mit seiner außerordentlichen Präsenz in den Raum hinein, tritt an uns heran, fordert uns heraus. Es will zu uns, ohne uns zugehörig zu sein. Es zieht uns an und weist/weißt uns ab; es sucht den Kontakt und ist doch völlig kontaktlos. Es fängt uns ein und bleibt uns fern. Unerreichbar, unberührbar. Ein Flimmern, das man nicht fassen, von dem man sich aber auch nicht lösen kann.

Sind es die Zähne selbst, die leuchten? Verschwinden sie nicht eher in oder hinter dem blendenden Weiß ihrer unheimlichen Strahlkraft? Ihr weißes Leuchten leugnet das Leibliche, das Organische, den Dreck und die Vergänglichkeit. Es ist die Negation ihrer selbst, die Verneinung ihrer Materie, die Verkündung ihrer Metaphysik: „Vor [ihrem] Licht ist kein Entkommen.“[2] Es ist zeitlos, losgelöst und ewig. Es ist die Jugend, die der übrige Körper nicht einlösen kann. Es steht für sich, apart. Es ist metaphysische Andersheit, ungreifbar wie das Licht selbst. Das vollkommene Weiß ist mehr als nur der Verweis auf eine andere Dimension, es ist die Inkarnation einer anderen Welt: „Weiß ist all das, was wir gewöhnlich nicht sind.“[3] Es ist das absolute Zeichen des und der Anderen.

Hollywood hat das faszinative und distinktive Potenzial superweißer Zähne längst erkannt. Die digitale Aufbereitung seiner Bilder steigert den weißen Glanz seiner Star-Gebisse mitunter ins Groteske: Je weißer, desto brillanter, desto besonderer und abgesonderter. Embleme einer anderen Welt. Doch der Trend hat die Grenzen der großen Leinwand längst überschritten. So zeugt nichts besser von der Augenfälligkeit und Strahlkraft hyperweißer Zähne als ein Porträt des deutschen Boulevardsternchens Naddel: Den Oberkörper der Kamera freundlich entgegen gebeugt, überblendet das unwirklich helle Lächeln ihrer Zähne mühelos die dunklen Tiefen des Dekolletés.[4] Ein göttliches Weiß obsiegt im Kampf um die Aufmerksamkeit über den teuflischen Charme der fülligen Verführung. Dinge, die in die Weiten der Metaphysik verweisen, können eben auch äußerst profanen Ursprungs sein.


[1]      Hebestreit, Andreas (2007): Die soziale Farbe. Wie Gesellschaft sichtbar wird. Wien, S. 52.

[2]      Vogel, Juliane (2003): Epilog: Aus der Farbenleere. In: Wolfgang Ullrich und Juliane Vogel (Hg.): Weiß. Frankfurt am Main, S. 252–256, S. 254.

[3]      Hebestreit (2007), S. 64.

[4]      Wem die Vorstellungskraft nicht genüge tut, kann sich das beschriebene Porträt hier vor Augen führen: http://bilder.bild.de/fotos/teaser-naddel-27550552-mfbq-25231194/Bild/3.bild.jpg

Der Schein der Zahnnatur

Helle Tupfer im grauen Alltag.

Helle Tupfer im grauen Alltag.

Welche Farbe haben Zähne? Weiß, natürlich. Weiß? Natürlich? Auf den ersten Blick, vielleicht. Doch wehe dem, der genauer hinsieht! Kennern ist die Komplexität der Zahnlage bekannt. Und ihre trübe Wahrheit. „Ganz weiß gibt es bei Zähnen nicht“, desillusioniert mich ein angehender Zahnmediziner, also einer, der es wissen muss. Es sei immer ein Stich Rot, Grün oder Gelb dabei. Ganz so klar, wie sie alltagssprachlich erscheint, ist die Sache also nicht. Die Zahnfarbe variiert. Zahnkundler ordnen sie in Farbpaletten mit Kürzeln von A bis D und von eins bis vier, von bräunlich bis gräulich.

Laien, wie mir, erschließen sich solche Farbnuancen nur schwer. Etwas heller, etwas dunkler, gut. Aber Braungrüngrau? Wie unsexy. Ich mag es nicht glauben, ich meine: Sind unsere Zähne nicht doch irgendwie weiß? Glaubt man den frohen Botschaften vieler Zahnpastatuben, dann sind unsere Zähne sogar UltraMegaMaxWhite – und das von Natur aus. Wäre da nicht der Zahn der Zeit. Denn der nagt an uns, und schlimmer noch: Er verfärbt unser Gebiss. „Oft legt sich ein gelblicher Schleier über die Zähne“, lese ich in dem Flyer einer Praxis für Zahnkosmetik. Sie hat sich auf Zahnaufhellungen spezialisiert und verspricht: „Mit Bleaching bringen wir die natürliche Schönheit Ihrer Zähne wieder zum Strahlen – natürlich weiße Zähne wirken gesünder und attraktiver.“

Täglich putzt, wer strahlen will?

Täglich putzt, wer strahlen will?

Also doch: Unter den archäologischen Schichten der Vergänglichkeit soll es verborgen sein, das wahre Gesicht unserer Zähne, ihr ureigener Glanz – ihr natürliches Weiß: makellos, gesund, jung und schön, ästhetisch und moralisch vollkommen. Reine Weißmalerei? Jedenfalls haben alle Bleachingverheißungen einen klaren argumentativen Kern. Das strahlende Weiß soll nicht Schein sein, es soll zum Vorschein kommen, endlich zutage treten als die eigentliche, wahre Farbe der Zähne. Es soll von innen kommen, aus dem Körper heraus, und den Schleier der Verfärbungen von Kaffee, Zigaretten und Rotwein durchbrechen. Es soll die Zahnnatur selbst sein.

In diesem Sinne verheißt Bleaching nicht nur blendend weiße Zähne, sondern auch mehr Natürlichkeit. Ein Paradoxon? Ist, wo von Natürlichkeit die Rede ist, nicht vielmehr Künstlichkeit gemeint? Vielleicht, vielleicht aber auch nicht. Denn Natürlichkeit ist nicht gleich Natur. Damit etwas als natürlich gilt, muss sich die Natur herausputzen. Natürlichkeit erfordert die Hand des Menschen: natürlich ist kultürlich. Natürlichkeit ist aber auch nicht gleich Künstlichkeit. Sie liegt, gewissermaßen, zwischen der Rohheit der Natur und den Überformungen der Künstlichkeit. Sie ist eine ganz bestimmte kulturelle Formung der Natur, der Weg zu einer vorgestellten ‚wahren Natur‘, eine ideale Ordnung der Natur. Natürlichkeit ist Kunst und Konzept, im Kant’schen Sinne: Nicht Natur, aber schön wie die Natur. Oder sogar noch etwas schöner. Natürlichkeit ist vor allem ein schmaler Grad. Denn die Grenze zur Künstlichkeit ist stets bedrohlich nah.

Dem ist sich auch mein Experte bewusst. „Perlweißglanz, das ist natürlich, finde ich, total unästhetisch“, meint er. „Das hat eher Charme, wenn man vielleicht auch eine Zahnlücke oder ein bisschen was Krummes drin hat. Und nicht nur irgendwie weiß und kerzengerade.“ Sagt er – und strahlt mich mit wohlgeformten, weißen, ja, wirklich weißen, kerzengeraden Zähnen an. Ich presse meine Lippen zu einem zaghaften Lächeln. Mehr traue ich mich nicht. Ich bin schließlich desillusioniert.