Archiv der Kategorie: Feldforschung

KÖRPER MIT GEWICHT #3

Dicke Mode-Vlogger

Dass es einen breiten Alternativdiskurs zu den vorherrschenden dünnen Körperidealen gibt, zeigt ein weiterer Blick in die sozialen Medien. Dort finden sich unzählige Blogs und Vlogs in denen AnhängerInnen der Fat-Acceptance- und Body-Positiv-Bewegung über beinahe alle Bereiche ihres Lebens berichten. Neben politischen Vlogs finden sich auf You Tube hunderte VlogerInnen, die offen und öffentlichkeitswirksam über ihre Körper und deren Bekleidung sprechen. Diese Vlogs führen zurück zum Ausgangsthema dieses Blogbeitrags, der Frage nach dem Zusammenhang von Mode und dicken Körpern.

Screenshot von Brittney's You Tube-Channel

Screenshot von Brittney’s You Tube-Channel https://www.youtube.com/user/xBrittney89

xBrittney 89: A Plus Size Point Of View

Einer dieser Vlogs wird vom amerikanischen Plus-Size-Modell Brittney (27 Jahre alt) betrieben und von über 35.000 AbonentInnen verfolgt. Inhaltlich finden sich auf ihrem Kanal: „OOTD’s, DIY projects, shopping hauls, makeup tutorials, and more!“ (Brittney 2016). Sie selbst beschreibt sich als „a plus-size girl choosing happiness along this crazy ride called life“ (Brittney 2016).

Screenshot "Bikini Lookbook"

Screenshot „Bikini Lookbook“ https://www.youtube.com/user/xBrittney89

In ihren „Style Sunday“-Videos zeigt die Vloggerin diverse Outfits und Accessoires, spricht über verschiedene Shoppingerlebnisse und führt unterschiedliche Kleidungstücke, meist tanzend, vor der Kamera vor. Neben diesen Videos finden sich unter der Rubrik „Fat Chat Friday“ Videos, in denen Brittney über viele Bereiche ihres Lebens als „fette Frau“, wie Dating, Besuche in der Disco, oder Erlebnisse aus der Schule und dem Berufsleben, spricht. Dabei geht sie offen mit ihrem, nach eigenen Angaben von der gesellschaftlichen Norm abweichenden, Körper um und teilt ihre eigene „Body-Positivity“ mit ihren AbonentInnen. Für sie ist ihr Kanal: „a safe-zone for everybody to enjoy and relate”  (Brittney 2016). Sie erläutert über die Kleidung, die sie trägt, ihre Beziehung zu ihrem Körper und spricht darüber, wie sie ihr eigenes Körper-Selbstbewusstsein erlangte und wie sie dieses im Alltag herstellt.

Brittney 1

Screenshot „Spring Lookbook“ https://www.youtube.com/user/xBrittney89

In ihrer Auseinandersetzung mit Mode, setzt sie sich immer wieder auch mit ihrer eigenen Körperlichkeit auseinander und animiert ihre AbonentInnen zur eigenen, individuellen Beschäftigung  mit Körper und  Bekleidung: „So I challenge you the next time you limit yourself on what you should or shouldn’t be wearing.  Try new things.  Push yourself outside of your comfort zone.  And mostly, try to push out the ideals of society.  Because then you will create more room for your own validation.  And that will empower you more than society will ever do for you” (Brittney 2016). In einem ihrer Videos formuliert Brittney ihren Ansatz noch zugespitzter: „Our worth is not defined by a number on the scale”.

Anschließende Überlegungen

Brittney’s Vlog zeigt, dass diese Art der Auseinandersetzung mit Körperbildern und Mode, über bestimmte Praktiken und Bilder einen alternativen Diskurs zu etablierten versucht. Hier bildet sich ein Gegendiskurs zu den von der Gesellschaft als ästhetisch markierten Körperbildern und deren Visualisierung. Auf ihrem Kanal finden komplexe Prozesse des Aneignens und Aushandelns von Vorstellungen und Praktiken über bestimmte Körperbilder und deren Visualisierung statt. Diese neuen Körperbilder und Diskurse schaffen eine Überbrückung kultureller wie gesellschaftlicher Grenzen in Bezug auf die Konstruktion und Visualisierung von Körpern, die sich außerhalb gesellschaftlicher Normen bewegen und erschaffen zugleich neue symbolische Grenzen, indem Texte, Codes oder Praktiken zu Körperlichkeit und Mode transformiert werden.

Neue empirische Felder

Brittney’s Vlog als ein Beispiel der vielen Mode-Plus-Size-Vlogs, die sich auf You Tube finden, stellt ein interessantes kulturwissenschaftliches Forschungsfeld dar, welches enormes Potential zur empirischen Untersuchung gegenwärtiger Körperbilder bietet. Diese Vlogs zeigen, über welche Praktiken Körperbilder im Web 2.0, in dem die Rezipienten- und die Produzentenebene zusammenfallen, hergestellt werden und wie Körperdiskurse dort konkret verhandelt werden. Vlogs und Blogs dieser Art bieten die Möglichkeit, Fragen nach den Ressourcen und der Handlungsmacht scheinbar unterlegener AkteurInnen zu erforschen und in Zusammenhang mit den neuen Möglichkeiten der Sozialen Medien zu bringen. Untersuchungen dieser Art könnten zeigen, welches subversive Potential aus der dort stattfindenden Aushandlung und Herstellung dicker Körper erwächst und welche Privilegien (aber auch Risiken) aus diesen neuen Bild- und Kommunikationswelten des Web 2.0 resultieren. In Anlehnung an Foucaults Machtbegriff können Fragen nach der Aushandlung, gar Kritik an hegemonialen Vorstellungen von Schönheit, Ästhetik und Körperbildern gestellt und konkret empirisch untersucht werden.


Quellenverzeichnis:

xBrittney 89: A Plus Size Point Of View. URL: https://www.youtube.com/user/xBrittney89 (Zugriff: 31.03.2016).

Die Relevanz der Seidenblousons

Läden sind die Bühnen der Mode, findet die Kulturwissenschaftlerin Gertrude Lehnert.[1] Sie hebt nicht nur die wichtige Rolle des Raumes heraus, in dem Kleidung anprobiert und gekauft wird, sondern fokussiert auch das Kaufen selbst als determinierte und gleichzeitig ermächtigende Interaktion zwischen Käufer*in, Raum und Ware. Was enthüllt der Blick auf die Bühne der Second-Hand-Mode darüber? Welche Stücke werden dort anprobiert, vor- und aufgeführt? Welche textilen Stoffe werden aufgetragen, welche Geschichten weitergesponnen? Vorhang auf, raus aus der Umkleidekabine und hinein ins Vergnügen…

Ein Second-Hand-Shop im Fluxus, der Stuttgarter Liebelei mit dem Zeitgeist.

Ein Second-Hand-Shop im Fluxus, der Stuttgarter Liebelei mit dem Zeitgeist.

Vorhang auf…

Ein Second-Hand-Shop im Fluxus, der Stuttgarter Liebelei mit dem hippen Zeitgeist.[2] Den Shop gibt es schon lange – seit 1995 in Vaihingen, in Stuttgart seit 1997. Letztes Jahr ist er in den Fluxus umgezogen, eine ehemalige Luxusshoppingpassage, in der jetzt kleine Startups und Stuttgarter Designer*innen ihre Waren anbieten. Im Shop gibt es neben Kleidung auch Platten aus zweiter Hand, Buttons, Notizbücher und ein kleines bisschen Kunst. Das Schaufenster ist bunt und voll, es läuft Musik, die Atmosphäre ist familiär und gemütlich. Manche Kundin verbringt mehrere Stunden zwischen den Ständern und hinter den Vorhängen der Kabinen. Schüler*innen, Student*innen, junge Familien aber auch „Damen“ – wie Christian[3], einer der Besitzer, sie nennt – kaufen hier ein. Die Kleidung kommt von Privatpersonen und vom Großhändler. Der verkauft auch nach Berlin, erzählt Christian. Der Großhändler berichtet ihm auch von den Trends aus der Hauptstadt. Seidenblousons laufen gerade besonders gut, diesen Tipp hat er auch von ihm bekommen. Die Leute, die hier einkaufen, tun das zumeist aufgrund der ausgefallenen Stücke, die man ergattern kann – Seidenblousons eingeschlossen. Das hat Christian beobachtet und das erzählen auch die Kund*innen, die an diesem Tag den Laden besuchen. Sie sind dort, „weil man hier einzigartige Sachen bekommt; weil niemand auf der Straße wissen wird, wo du sie her hast“, erzählt eine Stammkundin. „Wenn man Second-Hand shoppen geht, dann ist es halt eher Schatzsuche“, meint eine andere.

Kund*innen gehen auf Schatzsuche im Kleiderständerwald und jagen Seidenblousons.

Kund*innen gehen auf Schatzsuche im Kleiderständerwald und jagen Seidenblousons.

Schatzsuche zwischen Kleiderständern

Aber was ist das Ziel ihrer Suche? Politur fürs Gute Gewissen? – In bester Hippie-Tradition erzählen viele Kund*innen von der Nachhaltigkeit, die ihnen am Herzen liegt. Die Kritik an den Produktionsbedingungen großer Modeketten wird immer lauter und das Bewusstsein für die Verantwortung, die die Konsument*innen mit ihren Kaufentscheidungen tragen, immer größer. Das bedenken auch viele Second-Hand-Shopper*innen bei ihrem Einkauf. Der ist außerdem noch gut für den Geldbeutel. Second-Hand ist günstig, erzählen die Kund*innen. Ihnen bietet der Laden auf jeden Fall ein tolles Preis-Leistungs-Verhältnis: Maximale Individualität zu kleinen Preisen. Das soll kein Spott sein und auch keine Konsumkritik. Die Sehnsucht nach Individualität ist nichts zum Belächeln und wenn man ihr textil Ausdruck verleiht, dann ist das nicht verwerflich.

Wer sucht, der findet … Seidenblousons

„Die visuelle Performance ersetzt den traditionellen politischen Diskurs und muss daher auch als eigenständige, relevante Ausdrucksform beschrieben und analysiert werden“[4], schreibt Diana Weiss im Zuge ihrer Auseinandersetzung mit Mode und Jugendkultur. Auch die Performance in, mit und von Second-Hand-Kleidung ist relevant. Der bewusste Umgang mit dem Look, den sie erzeugt und der Bedeutung, die sie im Laufe ihrer textilen Existenz angehäuft hat ist ausdrucksstark – vielleicht sogar politisch. An diesem Tag beginnen die Ferien, viele Schüler*innen kommen vorbei und kaufen Seidenblousons – der Großhändler behält Recht und die Kund*innen freuen sich über die „ausgefallenen Stücke“, die „irgendwie cool aussehen, weil sie alt sind“. Irgendwie cool aussehen wollen ja alle und wenn dabei noch ein bisschen Individualität, ein Hauch Gesellschaftskritik und eine Prise Widerspenstigkeit drin sind, dann ist alte Seide vielleicht gar kein so schlechtes Gewand fürs junge Frühjahr.

 

[1] Vgl. Gertrude Lehnert: Mode. Theorie, Geschichte und Ästhetik einer kulturellen Praxis. Bielefeld 2013, S. 111ff.

[2] Die hier (mit)geteilten Beobachtungen und Zitate sind Ergebnis eines kleinen Nosing-Arounds (genauer: einer kleinen teilnehmende Beobachtung inkl. einiger kurzer Interviews) im besagten Second-Hand-Geschäft am 24. März 2016.

[3] Aus Gründen des Datenschutzes und zum Schutz der Privatsphäre werden Pseudonyme verwendet.

[4] Diana Weiss (Hg.): Cool Aussehen. Mode & Jugendkultur. Berlin 2012, hier S. 15.

Weitere verwendete Literatur:

Heike Jenß: Sixties Dress Only. Mode und Konsum in der Retro-Szene der Mods. Frankfurt am Main 2007.

Angela McRobbie: Second-Hand Dresses and the Role of the Ragmarket. In: Dies. (Hg.): Postmodernism and Popular Culture. London 1994, S. 135-154.

Sabine Trosse: Geschichten im Anzug. Der Retro-Trend im Kleidungsdesign. New York / München / Berlin / Münster 2000.

 

Mode, Körper, Modekörper – Zur Bedeutung von Mode für das eigene Körperbild und -verständnis

IMG_20160324_174207„Kleider machen Leute. Das war schon immer so. Wenn man schöne Kleider anhat, fühlt man sich besser und strahlt das auch aus“, meint Meike, Studentin und eine der Fragebogen-TeilnehmerInnen meiner qualitativen Umfrage zum Thema Mode-Körper, Körper-Mode – Wie Körper und Moden sich gegenseitig beeinflussen. Die TeilnehmerInnen entstammten meinem Verwandten- und Bekanntenkreis und umfassten eine Altersspanne von 18-48 Jahren. Bei der Auswertung der Fragebögen war besonders interessant zu beobachten, dass die männlichen Teilnehmer mehrheitlich angaben, Kleidungstrends hätten keinen bzw. einen geringen Einfluss auf ihren Kleidungsstil oder ihr Körperbild. „Kleidung dient dem Zweck“, meint Michael, Einzelhandelskaufmann und Paul, Ingenieur, ist der Ansicht: „Sie streifen meinen Kleidungsstil. Nicht alles was modisch ist, ist schön“. „Die Kleidung sollte zu mir passen, ob das Mode ist oder nicht, ist mir egal“, äußerst Jan, Student.

Die weiblichen Teilnehmerinnen geben dagegen überwiegend zu, dass sie sich von Modetrends inspirieren lassen und diese auch in ihrem individuellen Kleidungsstil aufnehmen, jedoch nicht jedem Trend nacheifern: „Natürlich; jedoch Alter und Figur beachte ich. Außerdem hat man seinen eigenen Kleidungsstil, dem man treu bleibt!“, bemerkt Paula, Erzieherin. „Ich kaufe nichts, was mir nicht gefällt, auch wenn es gerade angesagt ist. Aber eigentlich gibt es in jeder Saison Trends, mit denen ich mich identifizieren kann. Mal mehr, mal weniger“, meint Meike. Tina beschreibt die Bedeutung von ästhetischer Kleidung für ihr Körperbild als eine „Hassliebe“. „Ich mag viele ästhetische Kleidung, aber für Körperformen, die vom Ideal abweichen, gibt es wenig Möglichkeit sie auszuprobieren.“

Die Aussagen der weiblichen Teilnehmerinnen machen deutlich, dass sie sich durchaus bewusst sind, dass Körperbilder und Körperideale immer auch an Kleidung bzw. Kleidungsmoden gebunden sind. Diese wiederum stehen in enger Wechselwirkung zu den Körpern ihrer TrägerInnen. Ein Kleidungsstück wird erst dann modisch, wenn es durch bestimmte Prozesse, wie beispielsweise durch Marketingstrategien von Modeunternehmen, mit einer Bedeutung aufgeladen wird und durch performative Praktiken am dreidimensionalen Körper der KäuferInnen ihre inszenierende Kraft entfaltet.[1] Um zu wirken, benötigt Kleidung einen Körper und der Körper für seine Inszenierung die Kleidung. Durch sie kann sich der Körper bestimmte „Handlungsräume“[2] eröffnen. Die Prozesshaftigkeit von Mode drückt sich durch die Wechselwirkung von „Kleidern, Körpern, Wahrnehmung und Bedeutungszuweisungen in Zeit und Raum“[3] aus. Das gegenseitige Bedingen von Mode-Kleidung und Körper führt zu einer neuen Art von Körper, dem Modekörper, dessen anatomische Körper-Grenzen verändert werden können. Durch den Modekörper wird nicht nur die mentale Verfassung seiner/seines Trägerin/Trägers gelenkt, sondern auch die Sicht auf den anatomischen Körper: „Der Modekörper wird vom Subjekt als der seine angesehen und ‚naturalisiert‘ zum eigenen Körper und zum ‚Ausdruck der eigenen Persönlichkeit.“[4]. Mode schafft damit auch Identität. Modekleidung, wie sie sich in den meisten Geschäften finden lässt, durchlief bereits einen selektiven Auswahlprozess durch Spezialisten (Journalisten, EinkäuferInnen etc.), bevor der Kunde/die Kundin ihrer scheinbaren Kreativität bei der Kleiderauswahl nachkommen kann. Kreativität bedeutet in diesem Kontext die Fähigkeit zur Kombination verschiedener Kleidungsstücke, wobei hier wiederum nach kulturellen und gesellschaftlichen Bildern (z.B. auf Plakaten oder in Modezeitschriften) gehandelt wird.[5] Die Inszenierung des eigenen Körpers durch Kleidung ist somit abhängig vom Habitus eines Menschen und dem entsprechenden Verständnis von Körpertechniken. Individualität resultiert letztendlich aus dem Nachahmen von aktuellen Kleidungsmoden, dem sich das Individuum nicht entziehen kann.[6] Das breite und vielfältige Angebot an Kleidung suggeriert dem/der Käufer/in eine freie und individuelle Kleiderwahl im Sinne der eigenen Persönlichkeit. Zwar sind wir durch die Auswahl unserer Kleidung am Entscheidungsprozess, was gerade Mode ist, beteiligt, jedoch bedienen wir uns bereits an einem durch Spezialisten vorselektierten Angebot und sind gleichzeitig auch nur Nachahmer eines gesellschaftlich als modisch empfundenen und akzeptierten Kleidungsstils[7], der auch durch die Medien stark geprägt ist. Die Umfrage hat gezeigt, wie unbewusst dieses Handeln vonstatten gehen kann. ‚Nach Mode kleiden‘ scheinen viele der Befragten auf extravagante, außeralltägliche oder auffallende Kleidungselemente (Stoffe, Muster, Farben) zu beziehen. Letztendlich ist aber bereits eine bestimmte Rock- oder Hosenform eine Mode, die momentan von den Trägern als zeitloses Kleidungsstück gesehen wird, sich aber in den nächsten Jahren wieder ändern kann. Somit ist unsere Körperinszenierung und unser Körperverständnis, wenn auch nur unbewusst wahrgenommen, immer abhängig von kulturell geprägten und zeitlich begrenzten Modetrends.

[1] Vgl. Gertrud Lehnert: Mode als kulturelle Praxis. In: Christa Gürtler (Hg.): Kleiderfragen: Mode und Kulturwissenschaft. Bielefeld 2015, S. 30.

[2] Zit. Ebd. S. 38.

[3] Zit. Ebd. S. 30.

[4] Zit. Ebd. S. 39.

[5] Vgl. Ebd. S. 33.

[6] Vgl. Ebd. S.38.

[7] Vgl. Gabriele Splett: Sport und Mode. Eine Untersuchung über den Zusammenhang zwischen Körperlichkeit und Bekleidung unter besonderer Berücksichtigung der weiblichen Körper-Problematik, Münster; Hamburg 1993, S. 37.

Literatur:

  • Lehnert, Gertrud: Mode. Theorie, Geschichte und Ästhetik einer kulturellen Praxis, Bielefeld 2013.
  • Lehnert, Gertrud: Mode als kulturelle Praxis. In: Kleiderfragen: Mode und Kulturwissenschaft, hg. von Christa Gürtler, Bielefeld 2015, S. 29-41.
  • Splett, Gabriele: Sport und Mode. Eine Untersuchung über den Zusammenhang zwischen Körperlichkeit und Bekleidung unter besonderer Berücksichtigung der weiblichen Körper-Problematik, Münster; Hamburg 1993.

Schmerz der durch die Haut geht – Schmerzwahrnehmung bei Körpermodifikationen

Tätowierungen, Piercings, Ohrringe, Körperschmuck, Implantate und andere Arten der Körpermodifikation führen in allen Fällen immer zu einem Verletzen der Haut und somit zu einem individuellen Schmerzempfinden. Wer sich für eine Körpermodifikation entscheidet, willigt im selben Zuge auch freiwillig in die damit verbunden Schmerzen ein. Diese Selbstschmerzuführung ist, neben den ästhetischen Gründen einer Körpermodifikation, immer ein wichtiger Bestandteil einer derartigen Verletzung der  Haut.¹ Doch wovon ist der Schmerz abhängig und wie genau sehen die Unterschiede in der Schmerzwahrnehmung aus?

tattoo-376822_1280

Bild 1: Haut während des Tätowierens.

Im Gespräch mit verschiedenen Personen, die sich bereits tätowiert oder gepierct haben, wurde deutlich, dass das Schmerzempfinden und die Erfahrungen während einer Körpermodifikation, auf unterschiedlichste Weise beschrieben werden. So ist die individuell empfundene Intensität des Schmerzes vor allem von der Körperregion abhängig. Tätowierungen am Knöchel oder unter den Achseln wurden als schmerzhafter beschrieben als am Bauch oder Arm. Bei Piercings, wurde das Ohr als relativ schmerzfrei wahrgenommen und das Piercen der Brustwarze als äußerst unangenehm und sehr schmerzhaft. Ein weiterer angesprochener Aspekt war die Dauer des jeweiligen Schmerzes. So wurde das Tätowieren als weniger schmerzhaft als das Piercen beschrieben. Das Stechen einer Tätowierung an sich dauert jedoch länger als das relativ schnelle Durchstechen der Haut beim Piercen und wird deswegen auf eine völlig andere Weise wahrgenommen.

Im Gespräch mit verschiedenen Personen hat sich außerdem gezeigt, dass Männer und Frauen eine völlig unterschiedliche Wahrnehmung im Hinblick auf Schmerzen und Körpermodifikationen haben. Ebenso ist die grundsätzliche Einstellung zum Thema Schmerz bei Männern und Frauen komplett verschieden. Die jeweils befragten Männer beschrieben  den empfunden Schmerz im Nachhinein als harmlos . „Das ist alles nur halb so wild“ oder „Beim Tätowieren tut das doch gar nicht richtig weh, das ist vielmehr eine Art Kribbeln. Da muss man sich doch nicht anstellen wie ein Mädchen.“ Ein Befragter beschrieb den Schmerz beim Tätowieren sogar als eine Art Befriedigung und als ein positives Gefühl. Laut eigener Aussage freue er sich auf die nächste Sitzung beim Tätowierer. Der Schmerz gehöre für Ihn dazu und sei ein wichtiger Aspekt des Gesamtprozesses, auf den er nicht verzichten möchte.

body-piercing-371961_1280

Bild 2: Bauchnabelpiercing

Die befragten Frauen hingegen berichteten davon, dass sie großen Respekt vor Tätowieren und Piercen haben.  Die Vorstellung eines bevorstehenden Schmerzes bereitete einigen Frauen sogar Angst „Als ich beim Tätowierer saß und mir klar wurde, dass ich jetzt eigentlich nicht mehr gehen kann, bekam ich schon ein wenig Angst.“ Auch im Nachhinein beschrieben die befragten Frauen den Schmerz oft als etwas Unangenehmes, Schlimmes und eher Negatives. Für die Frauen stand das Endergebnis im Vordergrund und nicht der Akt der Körpermodifikation, auf den Schmerz würden sie auch gerne verzichten, wenn es die Möglichkeit dazu gäbe. Der ausschlaggebende Grund weshalb die Frauen die Schmerzen freiwillig ertragen haben, war in allen Fällen, am Ende Ihren eigenen Körper nach individuellen Vorstellungen zu verschönern. Für die meisten der befragten Frauen sind Piercings und Tätowierungen   „[…]eine rein modische Form der Körperverletzung.“²

accident-743036_1280

Bild 3: Verwundete Haut

Jedes Verletzten der Haut verursacht auf gewisse Weise Schmerz und somit ist auch jede Art der Körpermodifikation mit Schmerz verbunden. Der Umgang und das Empfinden des Schmerzes ist jedoch etwas Individuelles. Der Schmerz ist situationsabhängig, körperstellenabhängig, von  der jeweiligen Dauer und dem Geschlecht der Person abhängig. Ebenso sind die Gründe, weshalb Menschen diesen Schmerz über sich ergehen lassen, sehr individuell. Im Fall der Körpermodifikation stehen aber in den meisten Fällen die mögliche Verschönerung und Veränderung des eigenen Körpers im Vordergrund.

¹ Löbstädt, Tobias: Narzissmus und Theatralität. Selbstwertgewinn durch die Gestaltung des Körpers. Wiesbaden 2011, S.12.

² Schneider, Anke: „…damit ich mich spüre…“. Zur Symptomgenese und Symptomspezifität selbstverletzenden Verhaltens.  Berlin 2004,  S.175.

Bild 1: https://pixabay.com/de/tattoo-t%C3%A4towierung-schulter-376822/ [letzter Zugriff: 11.09.2015]

Bild 2: https://pixabay.com/de/body-piercing-haut-bauchnabel-brown-371961/ [letzter Zugriff: 11.09.2015]

Bild 3: https://pixabay.com/de/unfall-bluten-blutungen-743036/ [letzter Zugriff: 11.09.2015]

Von Stiften, die der Hand schmeicheln

Der Stift als Gegenstand unserer Alltagskultur ist heute nicht mehr nur in speziellen Schreibwarengeschäften zu erhalten, sondern auch in Supermärkten, an Tankstellen, am Kiosk und sogar Drogeriemärkte wie Müller haben eine eigene Abteilung für Schreibwaren. Es gibt Schreibblöcke auf denen man testen kann, wie der Stift schreibt und natürlich, wie er in der Hand liegt.

Hält man einen Stift in der Hand, wird er in der Regel an vier Stellen berührt: Daumen, Zeigefinger und Mittelfinger umschließen die längliche Form des Stiftes, der zusätzlich an der oberen weichen Verbindung zwischen Zeigefinger und Daumen aufliegt und abgestützt wird. Diese Haltung ermöglicht eine faszinierende feinmotorische Handhabung des Schreibgeräts. Für den perfekten Griff sorgen heute die unterschiedlichsten Materialien und Formen. Begriffe aus der Materialwissenschaft verdeutlichen, mit was wir es beim Schreiben in unserer Hand zu tun haben: Der heutige Stift hat Risse, Riefen, Einschläge, Poren, Grade, Dellen, Schuppen, Buckel, Aufreißer, Erosionen und Grübchen.

Der Blick in mein Federmäppchen, Ausflüge in Schreibwarengeschäfte und Internetauftritte einschlägiger Hersteller haben mich gelehrt, einen neuen Blick auf diesen alltäglichen Gebrauchsgegenstand zu werfen und die Raffinesse dieses Produkts hinsichtlich der führenden Hand genauer unter die Lupe zu nehmen. Fünf Stiftpaare habe ich ausprobiert und untersucht:

1. Zwei Federn aus Metall
Anhand von Federhalter und Füller kann man die Weiterentwicklung von einer runden Form, die sich nach hinten hin verjüngt, hin zu einer geraden Form, die an der Griffstelle der Finger eine eckige Form annimmt, erkennen. Der Federhalter ist tintenverschmiert, während der Füller durch besagte Form einen Rutschschutz und einen angenehmeren Halt bietet. Der Deckel des Füllers ist mit einem Klipp versehen, so dass man den Stift immer griffbereit in der Hemdtasche verstauen kann.

P1000912
2. Ich fühle was, was du nicht siehst
Auf den ersten Blick offerieren diese beiden Bleistifte keine großen Unterschiede. Beide sind sechseckig und verhindern so das Runterrollen vom Tisch. Der Unterschied besteht im Härtegrad der Miene, angegeben mit HB. Folgenden Unterschied kann man allerdings nicht sehen, sondern nur ertasten: Der gelb-schwarze Stift ist mit einer dünnen Gummihaut überzogen und gibt so den nötigen „Grip“ beim Schreiben, während der orangene Stift zwar grell leuchtet, aber durch den Lack glatt und rutschig ist.

P1000911
3. Dick und aus der Tube
Meist gilt die Regel: Je dicker die Miene, desto dicker der Stift. Dies kann man bei den Textmarkern beobachten. Mit einem dickeren Stift lässt sich leichter eine gerade Linie ziehen. Der gelb fluoreszierende „Stabilo NEON“ hat die Form einer Tube. Der Anbieter wirbt mit dem „soft touch Effekt“ dieser Form, weil der Stift so in der Mitte nachgiebig ist. Das andere Modell „ Staedtler Textsurfer classic“ setzt auf statische Festigkeit und bietet einen sicheren Griff durch Rillen an der Zugriffstelle.

P1000905
4. Silikon gibt Form und Halt
Der dünnere „Slider Edge“ besitzt eine Dreieckform und lässt sich daher gut greifen. Er rollt besonders leicht auf der Schreibunterlage. An Griffstellen ist er großzügig gummiert, um auch hier das Rutschen der Hand zu verhindern. Der dickere „Breeze neon“ wird für Schüler empfohlen und ist durch Mulden für Rechts- und Linkshänder geeignet, für besseren Halt ist die Mulde zusätzlich mit Rillen versehen. Die ergonomische Form erinnert an den einst verwendeten Federkiel.

P1000913
5. Fuge und Noppe für Blei
Bei Blei- und Buntstiften eignen sich für ein gutes Gefühl in der Hand sowohl Einkerbungen als auch Noppen. Faber-Castell wirbt mit einer „Soft-Grip-Zone“, Lyra mit „rutschfesten Griffmulden“, die den „richtigen Griff von Anfang an“ bieten.

P1000914

 

Der aufmerksame Blick in das Schreibgeräte-Business legt nahe: Die relativ dünne, längliche Form des Stiftes hat sich für erwachsene Hände zum Schreiben ohne „Widerstände“ durchgesetzt. Stifte sind auf Eleganz, Tradition und Funktionalität ausgelegt. Stichworte der Anbieter sind hier: Perfektion, kein Raum für Fehler, leicht gleitendes Schreiben, wischfest.

Kinderhände sind mit dickeren Stiften, Kreide oder Blöckchen besser bedient. Sie dienen meist dem Malen oder bieten besseren Halt für ungeübte Hände. Stockmar, ein Hersteller von Wachsstiften, setzt gezielt auf die Schulung des sinnlichen Erlebens beim Malen. Die Stifte riechen nach Bienenwachs, machen beim Malen Geräusche, und der Stift klebt beim Absetzen leicht auf dem Papieruntergrund.

Als Nebeneffekt der kleinen Untersuchung lässt sich feststellen, dass die Marketing- und Vertriebsabteilungen der Hersteller von Schreibgeräten mit ihren verführerischen Werbebotschaften gezielt das junge Publikum ansprechen, um mit zweitrangigen Produkteigenschaften auf einem weitgehend gesättigten Markt neue Käuferschichten für sich zu gewinnen: „Das minimalistische Tubendesign im sexy Neon-Look ist bei modebewussten Girls besonders beliebt“.

Die Beschäftigung mit Staedtler, Stabilo, Schneider, Edding, Lamy, Faber-Castell und Co haben mitunter gezeigt, dass der Stift, als Werkzeug zum Schreiben, so wenig wie möglich in der Hand zu spüren sein soll. Er ist Hilfsmittel unserer Hände, aus denen bekanntlich keine Tinte fließt. Das Zurücktreten des Werkzeugs während des Gebrauchs gibt Aufschluss darüber, wie unsere Hände im Alltag „arbeiten“. Viele taktile Handlungen laufen automatisiert ab, ohne dass wir mit den Gedanken die Bewegungen der Hand groß kontrollieren müssten. Die Sinne des Menschen arbeiten zusammen und nehmen so die Umwelt wahr, andererseits ist jeder Sinn auch Meister seines Gebiets.