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Die Weißheit der Anderen

Weiß ist eine besondere Farbe. Vielleicht auch eine Nicht-Farbe. Oder alle Farben zugleich. Eine Überfarbe. Pures Licht. Physikalische Vollkommenheit, vollkommene Metaphysik. Nichts und alles. Weiß hat etwas an sich, und doch gerade nichts an sich: nichts Fremdes, keine Brechung, keinen Schmutz. Es ist völlige Reinheit, ein Extrem, eine absolute Steigerung, unkorrumpierbar. In seiner sozialen Einvernahme vertritt es eine klare Position. Weiß ist der Gegenspieler des Schwarz: Es ist das Licht, nicht das Dunkel, das Gute, nicht das Schlechte, der Adel, nicht das Volk. Es ist das Ungemeine, nicht das Gemeine. Es ist ein Zeichen der Macht, der Sonderstellung, eine Auszeichnung. Weiß-Sein ist distinkt sein: „Weiß bedeutet das Anderssein schlechthin.“[1] Weiß ist die Farbe der Besonderen.

Nah und doch fern: Hyperweiße Zähne oszillieren zwischen Aufdrängung und Distanz.

Nah und doch fern: Hyperweiße Zähne oszillieren zwischen Aufdrängung und Distanz.

Weiß – pur und rein – kann Symbol der eigenen Heraushebung sein. Doch muss man es tragen, möglichst nah, möglichst ganz und gar einverleibt. Man muss es selbst sein. Die Zähne sind vielleicht das einzige körpereigene Medium, die dies erlauben. Zähne kann man bleichen, noch weißer, noch strahlender machen. Vollends gebleachte, hyperweiße Zähne oszillieren zwischen Distanzierung und Aufdrängung. Sie lösen sich von ihrem Träger und drängen in das Außen hinein. Sie sind entfernt und nah zugleich, strahlen und schweben als andere Körper, unnahbar, körperlos. Ihr weißes Leuchten greift mit seiner außerordentlichen Präsenz in den Raum hinein, tritt an uns heran, fordert uns heraus. Es will zu uns, ohne uns zugehörig zu sein. Es zieht uns an und weist/weißt uns ab; es sucht den Kontakt und ist doch völlig kontaktlos. Es fängt uns ein und bleibt uns fern. Unerreichbar, unberührbar. Ein Flimmern, das man nicht fassen, von dem man sich aber auch nicht lösen kann.

Sind es die Zähne selbst, die leuchten? Verschwinden sie nicht eher in oder hinter dem blendenden Weiß ihrer unheimlichen Strahlkraft? Ihr weißes Leuchten leugnet das Leibliche, das Organische, den Dreck und die Vergänglichkeit. Es ist die Negation ihrer selbst, die Verneinung ihrer Materie, die Verkündung ihrer Metaphysik: „Vor [ihrem] Licht ist kein Entkommen.“[2] Es ist zeitlos, losgelöst und ewig. Es ist die Jugend, die der übrige Körper nicht einlösen kann. Es steht für sich, apart. Es ist metaphysische Andersheit, ungreifbar wie das Licht selbst. Das vollkommene Weiß ist mehr als nur der Verweis auf eine andere Dimension, es ist die Inkarnation einer anderen Welt: „Weiß ist all das, was wir gewöhnlich nicht sind.“[3] Es ist das absolute Zeichen des und der Anderen.

Hollywood hat das faszinative und distinktive Potenzial superweißer Zähne längst erkannt. Die digitale Aufbereitung seiner Bilder steigert den weißen Glanz seiner Star-Gebisse mitunter ins Groteske: Je weißer, desto brillanter, desto besonderer und abgesonderter. Embleme einer anderen Welt. Doch der Trend hat die Grenzen der großen Leinwand längst überschritten. So zeugt nichts besser von der Augenfälligkeit und Strahlkraft hyperweißer Zähne als ein Porträt des deutschen Boulevardsternchens Naddel: Den Oberkörper der Kamera freundlich entgegen gebeugt, überblendet das unwirklich helle Lächeln ihrer Zähne mühelos die dunklen Tiefen des Dekolletés.[4] Ein göttliches Weiß obsiegt im Kampf um die Aufmerksamkeit über den teuflischen Charme der fülligen Verführung. Dinge, die in die Weiten der Metaphysik verweisen, können eben auch äußerst profanen Ursprungs sein.


[1]      Hebestreit, Andreas (2007): Die soziale Farbe. Wie Gesellschaft sichtbar wird. Wien, S. 52.

[2]      Vogel, Juliane (2003): Epilog: Aus der Farbenleere. In: Wolfgang Ullrich und Juliane Vogel (Hg.): Weiß. Frankfurt am Main, S. 252–256, S. 254.

[3]      Hebestreit (2007), S. 64.

[4]      Wem die Vorstellungskraft nicht genüge tut, kann sich das beschriebene Porträt hier vor Augen führen: http://bilder.bild.de/fotos/teaser-naddel-27550552-mfbq-25231194/Bild/3.bild.jpg