Welche Haarfarbe steht mir? Ergebnisse ethnographischer Erkundungen

„Warum färbst[1] Du dir die Haare?“ Mit sechs Frauen[2] im Alter zwischen 25 und 53 Jahren sprach ich über ihre Haare und stellte unter anderem diese eine Frage. Ziel dieser akteurszentrierten Perspektive war es, die von den Subjekten eröffneten Bedeutungen in Hinblick auf die Haarfärbung zu erkunden.[3]Die Eigenschaften der Haare unterstreichen, das ist eine häufig auftretende Motivation für das Färben von Haaren. Das Färben, im Falle der folgenden zwei Interviewpartnerinnen das Blondieren einzelner Strähnen, wird als Mittel eingesetzt, um die Beschaffenheit der Haare und deren Aussehen zu optimieren. M. (53) beispielsweise lässt sich hellblonde Strähnen als Aufheller machen, weil ihre dunkelblonden Haare „glanzlos“ und „unauffällig“ erscheinen, wie ein „Straßenköterblond“. Auf diese Weise wird ihrer natürlichen Haarfarbe mehr Glanz verliehen. J. (26) hingegen lässt ihre hellbraunen Haare mit blonden Strähnen versehen, damit ihre Haare „voluminöser“ erscheinen. Offenbar sind strahlendes, glänzendes, kräftiges und voluminöses Haar erstrebenswert. Sie sind das, was man heutzutage als schönes Haar bezeichnen würde. Das Färben der Haare bzw. einzelner Strähnen trägt dazu bei, dass jedermann und jede Frau eben dieses Ideal erreichen kann.

Die Beteiligung vieler Menschen an der Praxis des Haarefärbens – um nicht zu sagen: die Beteiligung großer Teile der Gesellschaft – ist ein weiterer Gesichtspunkt, den man nicht unterschätzen sollte. Mit 16 Jahren färbte sich J. das erste Mal die Haare – und zwar nicht bloß Strähnchen: „Komplett gebleicht, also blond… Wie peinlich!“, erzählt sie. Als Begründung führt sie an: „Weil’s cool war.“ Was hier deutlich wird, ist, dass das Haarefärben Teilhabe an einem Trend bzw. einer gesellschaftlichen Praxis bedeutet. Vergleichbar mit der Mode, entscheidet es, wer „cool“ und Teil der Gruppe ist. Insbesondere Jugendliche legen viel Wert darauf dazuzugehören. Da färbt man sich schon mal die Haare.

Auch S. (26) färbte sich als Jugendliche die Haare, allerdings aus einem anderen Grund: Ausschlaggebend für den Farbwechsel der Haare war der Wunsch nach Veränderung. E. erzählt, dass sie sich mit 14 Jahren ihre dunkelblonden Haare zum ersten Mal braun tönte: „Ich wollte mal etwas an mir verändern und war neugierig, ob mir das steht. Ich denke wenn man innerlich Lust auf Veränderung hat, wie das ja gerade in der Pubertät der Fall ist, dann hat man oft auch Lust äußerlich etwas zu ändern, zum Beispiel Haarfarbe oder Haarschnitt.“ Vergleichbares berichtet G. (25) von ihrem ersten Mal: Sie färbte ihre Haare von blond in knallrot, weil sie „dieses blonde-lange-Haare-Mädchen – süß, Barbie, Tussi“- Image ablegen wollte. Die Argumentation verdeutlicht nicht nur den Wunsch nach äußerlicher Veränderung, sondern auch, wie bestimmte Haarfarben – also ein äußerliches Merkmal – mit bestimmten Charaktereigenschaften – innerlichen Merkmalen – konnotiert werden.

Dieses Innen- und Außen-Gefüge spielt insbesondere bei dem Aspekt des Alters eine sehr große Rolle: Graue Haare lösen die Assoziation alt aus. Vor diesem Hintergrund ließ sich bei den drei Gesprächspartnerinnen um 50 (49, 52, 53) der Wunsch nach Persistenz, nach Beständigkeit ihrer bisherigen Haarfarbe, beobachten. Alle drei Frauen fühlen sich jünger, als ihr Körper sich gibt. Das Verhältnis zwischen dem individuellen Befinden und dem tatsächlichen Alter stimmt bei ihnen nicht überein. „Heutzutage werden die Menschen durch die medizinischen und technischen Entwicklungen immer älter. Und dadurch fühlt man sich mit 40, 50 einfach noch nicht alt. Obwohl der Körper natürlich altert“, schildert M. Das innerliche Gefühl des Jungseins möchten sie auch nach außen darstellen. Aus diesem Grund färben sich die Frauen ihre grauen Haare in der jeweiligen Naturhaarfarbe. Das Haarefärben dient in diesem Fall als Mittel, um das alternde graue Haar farbig (also jünger) zu machen und um das äußere Erscheinungsbild der eigenen Selbstwahrnehmung anzupassen. Oder um es in anderen Worten auszudrücken: Das Haarefärben stellt den Versuch dar, die körperliche Alterung zu kaschieren. Mit 60 Jahren, so waren sich alle drei einig, könnten sie sich vorstellen, die Haare grau bzw. weiß werden zu lassen. Dann seien sie Omis und könnten graue Haare akzeptieren.

Diese kurzen Einblicke in die Praxis des Haare Färbens verdeutlichen vor allem eins: Identität spielt eine wichtige Rolle. Insbesondere beim Aspekt der Jugend und des Alters wird eine Trennung zwischen Körper und innerem Befinden aufgetan. Es wird davon ausgegangen, „dass es einen Individualstil oder ein Selbstbild gibt, das nicht mit dem eigenen Körper übereinstimmt, das nun aber anhand der technischen Möglichkeiten realisiert werden kann.“[4] Die Folge: „Haarfarbe wird zur individuellen Entscheidung.“[5]


[1] Wenn im Nachfolgenden von färben die Rede ist, so meine ich jegliche Arten von farblicher Veränderung der Haare. Das umfasst Tönungen, ebenso wie Strähnen und die permanente Farbe.

[2] Obgleich ich Degeles (zitiert in Beitrag 1 http://blog.kulturding.de/?p=2717) Meinung, dass Schönheitshandeln keine geschlechtsspezifische Praxis darstellt, teile, gestaltete es sich einfacher, Zugang  zu dem Thema über weibliche Interviewpartnerinnen zu finden. Aufgrund des begrenzten Rahmens dieser Forschung hielt ich sechs Interviews für ausreichend, sodass auf männliche Interviewpartner verzichtet wurde. Bei Männern stellt das Färben der Haare immer noch ein großes Tabu dar, wie man beispielsweise der Affäre um Gerhard Schröders Haare entnehmen kann.

[3] Da der Rahmen dieses Beitrages überschaubar bleiben soll,  werden lediglich die von mir für wichtig befundenen Ergebnisse dargestellt.

[4] Günter Burkart: Zwischen und Körper und Klasse. Zur Kulturbedeutung der Haare. In: Cornelia Koppetsch (Hg.): Körper und Status. Zur Soziologie der Attraktivität. Konstanz 2000, S. 259.

[5] Ebd.

Hinweis: Bildmaterial aus privatem Fotobestand.