Von Stiften, die der Hand schmeicheln

Der Stift als Gegenstand unserer Alltagskultur ist heute nicht mehr nur in speziellen Schreibwarengeschäften zu erhalten, sondern auch in Supermärkten, an Tankstellen, am Kiosk und sogar Drogeriemärkte wie Müller haben eine eigene Abteilung für Schreibwaren. Es gibt Schreibblöcke auf denen man testen kann, wie der Stift schreibt und natürlich, wie er in der Hand liegt.

Hält man einen Stift in der Hand, wird er in der Regel an vier Stellen berührt: Daumen, Zeigefinger und Mittelfinger umschließen die längliche Form des Stiftes, der zusätzlich an der oberen weichen Verbindung zwischen Zeigefinger und Daumen aufliegt und abgestützt wird. Diese Haltung ermöglicht eine faszinierende feinmotorische Handhabung des Schreibgeräts. Für den perfekten Griff sorgen heute die unterschiedlichsten Materialien und Formen. Begriffe aus der Materialwissenschaft verdeutlichen, mit was wir es beim Schreiben in unserer Hand zu tun haben: Der heutige Stift hat Risse, Riefen, Einschläge, Poren, Grade, Dellen, Schuppen, Buckel, Aufreißer, Erosionen und Grübchen.

Der Blick in mein Federmäppchen, Ausflüge in Schreibwarengeschäfte und Internetauftritte einschlägiger Hersteller haben mich gelehrt, einen neuen Blick auf diesen alltäglichen Gebrauchsgegenstand zu werfen und die Raffinesse dieses Produkts hinsichtlich der führenden Hand genauer unter die Lupe zu nehmen. Fünf Stiftpaare habe ich ausprobiert und untersucht:

1. Zwei Federn aus Metall
Anhand von Federhalter und Füller kann man die Weiterentwicklung von einer runden Form, die sich nach hinten hin verjüngt, hin zu einer geraden Form, die an der Griffstelle der Finger eine eckige Form annimmt, erkennen. Der Federhalter ist tintenverschmiert, während der Füller durch besagte Form einen Rutschschutz und einen angenehmeren Halt bietet. Der Deckel des Füllers ist mit einem Klipp versehen, so dass man den Stift immer griffbereit in der Hemdtasche verstauen kann.

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2. Ich fühle was, was du nicht siehst
Auf den ersten Blick offerieren diese beiden Bleistifte keine großen Unterschiede. Beide sind sechseckig und verhindern so das Runterrollen vom Tisch. Der Unterschied besteht im Härtegrad der Miene, angegeben mit HB. Folgenden Unterschied kann man allerdings nicht sehen, sondern nur ertasten: Der gelb-schwarze Stift ist mit einer dünnen Gummihaut überzogen und gibt so den nötigen „Grip“ beim Schreiben, während der orangene Stift zwar grell leuchtet, aber durch den Lack glatt und rutschig ist.

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3. Dick und aus der Tube
Meist gilt die Regel: Je dicker die Miene, desto dicker der Stift. Dies kann man bei den Textmarkern beobachten. Mit einem dickeren Stift lässt sich leichter eine gerade Linie ziehen. Der gelb fluoreszierende „Stabilo NEON“ hat die Form einer Tube. Der Anbieter wirbt mit dem „soft touch Effekt“ dieser Form, weil der Stift so in der Mitte nachgiebig ist. Das andere Modell „ Staedtler Textsurfer classic“ setzt auf statische Festigkeit und bietet einen sicheren Griff durch Rillen an der Zugriffstelle.

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4. Silikon gibt Form und Halt
Der dünnere „Slider Edge“ besitzt eine Dreieckform und lässt sich daher gut greifen. Er rollt besonders leicht auf der Schreibunterlage. An Griffstellen ist er großzügig gummiert, um auch hier das Rutschen der Hand zu verhindern. Der dickere „Breeze neon“ wird für Schüler empfohlen und ist durch Mulden für Rechts- und Linkshänder geeignet, für besseren Halt ist die Mulde zusätzlich mit Rillen versehen. Die ergonomische Form erinnert an den einst verwendeten Federkiel.

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5. Fuge und Noppe für Blei
Bei Blei- und Buntstiften eignen sich für ein gutes Gefühl in der Hand sowohl Einkerbungen als auch Noppen. Faber-Castell wirbt mit einer „Soft-Grip-Zone“, Lyra mit „rutschfesten Griffmulden“, die den „richtigen Griff von Anfang an“ bieten.

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Der aufmerksame Blick in das Schreibgeräte-Business legt nahe: Die relativ dünne, längliche Form des Stiftes hat sich für erwachsene Hände zum Schreiben ohne „Widerstände“ durchgesetzt. Stifte sind auf Eleganz, Tradition und Funktionalität ausgelegt. Stichworte der Anbieter sind hier: Perfektion, kein Raum für Fehler, leicht gleitendes Schreiben, wischfest.

Kinderhände sind mit dickeren Stiften, Kreide oder Blöckchen besser bedient. Sie dienen meist dem Malen oder bieten besseren Halt für ungeübte Hände. Stockmar, ein Hersteller von Wachsstiften, setzt gezielt auf die Schulung des sinnlichen Erlebens beim Malen. Die Stifte riechen nach Bienenwachs, machen beim Malen Geräusche, und der Stift klebt beim Absetzen leicht auf dem Papieruntergrund.

Als Nebeneffekt der kleinen Untersuchung lässt sich feststellen, dass die Marketing- und Vertriebsabteilungen der Hersteller von Schreibgeräten mit ihren verführerischen Werbebotschaften gezielt das junge Publikum ansprechen, um mit zweitrangigen Produkteigenschaften auf einem weitgehend gesättigten Markt neue Käuferschichten für sich zu gewinnen: „Das minimalistische Tubendesign im sexy Neon-Look ist bei modebewussten Girls besonders beliebt“.

Die Beschäftigung mit Staedtler, Stabilo, Schneider, Edding, Lamy, Faber-Castell und Co haben mitunter gezeigt, dass der Stift, als Werkzeug zum Schreiben, so wenig wie möglich in der Hand zu spüren sein soll. Er ist Hilfsmittel unserer Hände, aus denen bekanntlich keine Tinte fließt. Das Zurücktreten des Werkzeugs während des Gebrauchs gibt Aufschluss darüber, wie unsere Hände im Alltag „arbeiten“. Viele taktile Handlungen laufen automatisiert ab, ohne dass wir mit den Gedanken die Bewegungen der Hand groß kontrollieren müssten. Die Sinne des Menschen arbeiten zusammen und nehmen so die Umwelt wahr, andererseits ist jeder Sinn auch Meister seines Gebiets.