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„Wear the black!“

Farbe als Kommunikationsmittel in der Mode anhand des Schwarz-Weiß-Dualismus in einer Szene aus der Serie „House of Cards“.

Die Szene dauert nur ein-zwei Minuten, das Telefonat wohl noch weniger: „Wear the black!“, sagt ihre Mutter zum Abschied zu ihr. Claire, die gerade auflegt, wird sich für das elfenbein-farbene Kleid entscheiden. Es ist eine Entscheidung mit Symbolkraft, aber machen wir erst einmal einen Schritt zurück.

Selten war das internationale Serienpublikum in den letzten Jahren so angezogen von einem Schauspielpaar wie von den Figuren Frank und Claire Underwood aus der amerikanischen Serie „House of Cards“. Gespielt von Kevin Spacey und Robin Wright, die für ihre Leistungen unter anderem den Golden Globe für die besten Serienschauspieler bekamen, sind die Underwoods ein Duo mit Sprengkraft. Sie haben sich gemeinsam von „unten“ bis an die Spitze des amerikanischen Politikestablishments gekämpft. Sie ehemalige Chefin einer wohltätigen Stiftung, UN Botschafterin und nun First Lady, er ehemaliger Kongressman und nun Präsident der Vereinigten Staaten von Amerika. Nach drei Staffeln gemeinsamen Kampfes bekommt die Geschichte einen entscheidenden Wendepunkt. Es kriselt in der Ehe der Underwoods. Längst sind sie nicht mehr eine Einheit oder Verbündete, sie sind Einzelkämpfer. Claire wirft ihrem Mann vor, in letzter Zeit nur noch sich selbst stärker gemacht und nicht mehr für ein gemeinsames Ziel gekämpft zu haben: Claire will ihn verlassen. Sie begibt sich nur noch für Gegenleistungen in die Nähe ihres Mannes Frank. In der weiteren Folge der Serie steht die jährliche Ansprache des Präsidenten an, und Frank braucht die Unterstützung seiner Frau. Längst steckt er in einem knappen Wahlkampf um eine zweite Amtsperiode. Im Gegenzug verspricht Frank, die Bestrebungen Claires um einen Sitz im Kongress zu unterstützen. So kommt Claire Underwood (wieder) in die Situation, ein Kleid für einen besonderen Anlass auswählen zu müssen.

Die Figur Claire Underwood ist stets klassisch, elegant und nicht zu auffällig gekleidet, wie es der Kurier beschreibt.[1] Das hat einerseits mit ihrer offiziellen Position als First Lady und ihrem sozialen Hintergrund (wohlhabende texanische Familie) zu tun, als auch ihrer Stellung innerhalb ihrer Ehe. Claire trägt nie ein zu grelles, gar zu farbiges, noch zu aufreizendes Kleid. Doch heute wird sie aus dem Schatten ihres Ehemannes heraustreten und ihr Kleid wird eine Botschaft senden.

Das Gespräch mit ihrer Mutter ist kurz. Claires Mutter konnte ihren Schwiegersohn noch nie leiden und macht daraus keinen Hehl. Sie unterstützt Claire in ihren Bemühungen für eine Kandidatur um einen Kongresssitz und nutzt dabei jede Möglichkeit, ihre Tochter von ihrem Ehemann zu entfernen.

Bildausschnitt aus House of Cards Staffel 4 Episode 2. © Netflix Inc.

Bildausschnitt aus House of Cards Staffel 4 Episode 2. © Netflix Inc.

Claire hat nun die Wahl zwischen einem weißen oder einem schwarzen Kleid. „Wähle das schwarze Kleid.“ Doch was Claires Mutter wirklich sagt ist: Mach dich stark, Claire. Hier geht es um Farbpsychologie. Wir verbinden Farben stets auch mit Emotionen und Erinnerungen. Farben können uns unterbewusst stark beeinflussen. Sie sind ein subtiles Kommunikationsmittel. So ist es nicht überraschend, dass für Die Presse unter anderem die „kühlen Farben von In- und Exterieur“ auffällig sind, die zu dem „ständig unter Hochdruck“ befindlichen Frank Underwood im schönen Kontrast stehen.[2] Und auch im wahren Politikleben zeigt sich anhand der Kleiderwahl oft so manches Signal. Beliebtes Kleidungsmittel zur Überbringung der Signale bei den überwiegend männlichen Protagonisten der deutschen Politik: die Krawatte. So titelt nach den Landtagswahlen 2016 die Süddeutsche Zeitung zu den aktuellen Koalitionssondierungen im Land Baden-Württemberg: „Baden-Württemberg – Die Sprache der Krawatten“[3] und analysiert dabei die Farbmuster der Binder. Dass es sich bei diesen Bindern um ein mächtiges Instrument handelt, zeigte sich unter anderem 2011, als eine Diskussion um eine Krawattenpflicht bei den Schriftführern im Bundestag entbrannte[4], aber auch als der griechische Ministerpräsident Alexis Tsipras während der griechischen Finanzkrise ankündigte, erst wieder eine Krawatte zu tragen, wenn die Krise vorbei sei. Dass ihm Anfang 2015 vom italienischen Ministerpräsidenten Matteo Renzi eine italienische Krawatte in neutralem Grau geschenkt wurde, kann getrost als Signal gewertet werden.[5] „Eine Krawatte ist also nicht nur eine Krawatte, sie steht für etwas.“[6]

Die Natur nutzt ebenfalls Farben zur Signalüberbringung. So ist der Fliegenpilz nicht umsonst im Kontrast zum Grün des Waldes rot gekleidet. Im Tierreich gibt es einige Arten wie den Erdbeerfrosch, die durch ihre für ihre Umgebung untypische Farbe Gefahr beziehungsweise Giftigkeit signalisieren. Auch wir Menschen nutzen dies unter anderem für unser Verkehrssystem, Kennzeichnung von Chemikalien beziehungsweise Kenntlichmachung von Aufgaben und Rechten. Der Designer Otl Aicher hat zum Beispiel mit verschiedenen Farben von Anzügen verschiedene Aufgabenbereiche des Personals[7] während der Olympischen Sommerspiele 1972 in München kenntlich zu machen versucht. So war das Servicepersonal gelb, die Ordner in blau gekleidet.[8] Durch den „Verzicht auf Gold und das Spektrum zwischen Rot, Purpur und Violett, die für ihn als Farben weltlicher oder kirchlicher Macht kontaminiert waren (Aicher sprach von den „Farben der Diktatoren“)“, wollte er ein farbpsychologisch möglichst neutrales System schaffen. Positiv konnotierte Farben (Hellblau, Hellgrün, Gelb, Dunkelblau, Dunkelgrün und Orange), sollten im Kontrast zu den letzten Olympischen Spielen in Deutschland (1936) stehen und ein weltoffenes und demokratisches Bild Deutschlands zeichnen. [9][10]

Für Claires Kleiderwahl haben sich die Drehbuchschreiber den ultimativen Dualismus von schwarz und weiß ausgesucht. Weiß als Zeichen des Lichts, des Friedens (vgl. weiße Flagge), der Unschuld und Reinheit (vgl. weißes Hochzeitskleid) und des Neubeginns (vgl. weißes, unbeschriebenes Blatt). Schwarz als Zeichen der Nacht, der Macht und Stärke (vgl. schwarze Anzüge in einer heteronormativen Gesellschaft), aber auch des Endes, gar Todes. Dass es bei House of Cards vor allem um Macht und Stärke, Intrigen geht, wird ebenfalls sofort klar, wenn zum Beispiel der Spiegel die Serie als einen „düsteren Politkrimi“[11] bezeichnet oder der Focus von den „dunklen Machenschaften“[12] der Underwoods spricht.

Im Sprachgebrauch ist uns die Kombination „schwarz-weiß“ als Idiom bekannt. Schwarz-weiß-Malerei bezeichnet eine undifferenzierte Sichtweise beziehungsweise starke Polarisierung. Sie werden neben grau auch als „unbunte“ Farben klassifiziert. Diese bestehen nur aus Licht oder der Abwesenheit von Licht und weisen keinen Farbton oder Sättigung auf. Dadurch wirken sie rudimentär, ursprünglich, neutral und lassen keine Zwischentöne oder Nuancen zu. Trotzdem haben wir Menschen ihnen unterschiedliche Bedeutungen gegeben. Goethe hat in seiner Farbenlehre folgende emotionale Zuwendungen zu beiden Farben formuliert: Weiß steht für Reinheit, Sauberkeit, Ordnung, Unschuld, Vollkommenheit, Beruhigung. Schwarz steht für Tod, Trauer, Einengung, Abgeschlossenheit, pessimistisch, hoffnungslos, schwer.[13]

Claires Mutter weiß um diese Bedeutungen und empfiehlt ihrer Tochter ein Kleid, ohne es vorher gesehen zu haben, nur anhand der Farbe.

Claires Mutter: „What are you gonna wear tonight? […]“

Claire: „Well its between black and ivory and to tell you the truth its ivory. Its so beautiful.“

Claires Mutter: „Ohh for god sackes, don´t wear ivory. Even with your figure, it´ll accentuate all the wrong places.“[14]

Claires Mutter: „Was wirst du heute Abend tragen? […]“

Claire: „Entweder schwarz oder elfenbein-farben, aber eher elfenbein-farben. Es ist so schön.“

Claires Mutter: „Um Gottes Willen, trag nicht das Efenbein-farbene. Selbst mit deiner Figur betont es alle falschen Stellen.“

„[…] Es betont alle falschen Stellen“, dass damit nicht die Figur gemeint ist, darauf wird sogar im Halbsatz davor hingewiesen. Das schwarze Kleid uniformiert. Später werden viele Anzugträger um sie herum stehen, das weiß Claire Underwood. Ohne Zweifel ist Schwarz hier die beliebteste Farbe. Sie macht stark, individuell wie kollektiv. Claire will ein Signal aussenden. Dass sich die Figuren selbst auch um die Psychologie und Bedeutung der Farben im Klaren sind, zeigt eine Szene aus der zehnten Episode der dritten Staffel, in der sich Claire ihre Haare wieder blond färbt, nachdem eine Umfrage ergeben hat, dass dies bei der Bevölkerung die beliebteste Haarfarbe für sie sei. Sie will also auch hier mit ihrer Farbwahl Signale aussenden und Sympathien gewinnen. Doch zurück zur Rede zur Lage der Nation und Claires Kleiderwahl: Claire will nicht nur als starke und selbstbewusste First Lady kontrastreich aus der Masse heraus stechen, sie will Frank auch ihren guten Willen demonstrieren, denn sie sind sich einig: kommt sie zur Rede, unterstützt er ihre Kampagne zur Erlangung eines Sitzes. Sie trägt also Weiß. Frieden, Reinheit, Neuanfang. Frank wird dieses Zeichen nicht lesen. Stattdessen wird er während seiner Ansprache die Kandidatur einer anderen Kandidatin verkünden. Eine brutal unabänderliche Wahl, die sich in den folgenden Szenen und Folgen auch in Claires Kleiderwahl widerspiegeln wird. Als sie nach der Rede ihres Mannes wieder ins Weiße Haus[15] zurückkehrt, trägt sie einen Mantel in schwarzer Farbe. Das weiße Kleid ist kaum noch zu sehen, und auch ihr weißes Tuch trägt sie zur Hälfte geknüllt in ihrer Hand. Das Weiß ist fest in Ihrer Hand – gedrückt, gestaucht, zerknüllt, auch das könnte als ein subtiles Signal verstanden werden. Es ist Abend (=dunkel), der Privattrakt des Präsidentenpaares ist nur spärlich beleuchtet. Sie steht vor ihm, aufrecht, geradeaus blickend. Die Körpersprache von Spacey und Wright in diesem Moment lässt den Boden erbeben. Alles ist in diesem Moment von schwarz umhüllt, die Gemüter, der Schatten, der über der Szene liegt und auch Claire Underwoods Kleid.

Bildausschnitt aus House of Cards Staffel 4 Episode 2. © Netflix Inc.

Bildausschnitt aus House of Cards Staffel 4 Episode 2. © Netflix Inc.


Beitragsbild: Bildausschnitt aus House of Cards Staffel 4 Episode 2. © Netflix Inc.

[1] http://kurier.at/lebensart/style/der-stilvolle-snob-die-serie-house-of-cards-wird-zur-mode-inspiration/116.444.450/slideshow

Hier kann auch eine Übersicht der Kleider von Claire Underwood begutachtet werden, die meist in gedeckten dunklen Tönen oder weiß gehalten sind.

[2] http://diepresse.com/home/blogs/phaenomedial/4888924/House-of-Cards_Erster-Trailer-zu-Staffel-vier-

[3]http://www.sueddeutsche.de/politik/baden-wuerttemberg-die-sprache-der-krawatten-1.2912047

[4] http://www.welt.de/kultur/article12278840/Wer-die-Krawatte-nicht-ehrt-macht-keinen-Aufstand.html

[5] http://www.faz.net/aktuell/wirtschaft/tsipras-in-rom-eine-krawatte-fuer-bessere-zeiten-13407519.html

[6] http://www.faz.net/aktuell/stil/mode-design/der-niedergang-der-krawatte-und-ihre-gruende-13961387.html?printPagedArticle=true#pageIndex_2

[7] „Selbst die Uniformen des Personals der Olympischen Spiele folgten (bis auf die Bundeswehr) der Corporate Identity.“ http://www.muenchenarchitektur.com/news/25-kunst-kultur-design/16876-otl-aicher-design-olympia-72

[8] http://www.zeit.de/1972/11/vorbild-courreges

[9] http://www.muenchenarchitektur.com/news/25-kunst-kultur-design/16876-otl-aicher-design-olympia-72

[10] Die Anzüge des Olympiapersonals von 1972 können unter anderem in der aktuellen Ausstellung des Ludwig-Uhland-Instituts im HfG-Archiv in Ulm betrachtet werden. Die Ausstellung „Geschmackssachen. Normen, Formen, Kaffeekanne.“ ist noch bis Mitte Mai 2016 zu sehen und thematisiert unter anderem Geschmack als Produkt von Normen. www.geschmackssachen-ausstellung.de

[11] http://www.spiegel.de/netzwelt/web/house-of-cards-intro-von-washington-nach-wien-verlegt-a-976758.html

[12] http://www.focus.de/kultur/kino_tv/house-of-cards-house-of-cards-so-kommt-staffel-drei-an_id_4509346.html

[13] www.zeichnen-lernen.net/kunstkurse/farbenlehre.php

[14] House of Cards. Staffel 4 Episode 2

[15] Zu beachten ist hier auch, dass nicht umsonst das Haus des Präsidenten weiß ist.

 


 

Quellen

 

  • Links zuletzt abgerufen am 22. März 2016
  • https://agadugu.wordpress.com/2010/11/16/farbsymbolik-–-bedeutung-der-farben-iv-schwarz-und-weiss/
  • http://www.faz.net/aktuell/stil/mode-design/der-niedergang-der-krawatte-und-ihre-gruende-13961387.html?printPagedArticle=true#pageIndex_2
  • http://www.faz.net/aktuell/wirtschaft/tsipras-in-rom-eine-krawatte-fuer-bessere-zeiten-13407519.html
  • http://focus.de/kultur/kino_tv/house-of-cards-house-of-cards-so-kommt-staffel-drei-an_id_4509346.html
  • http://kurier.at/lebensart/style/der-stilvolle-snob-die-serie-house-of-cards-wird-zur-mode-inspiration/116.444.450/slideshow
  • http://www.muenchenarchitektur.com/news/25-kunst-kultur-design/16876-otl-aicher-design-olympia-72
  • http://diepresse.com/home/blogs/phaenomedial/4888924/House-of-Cards_Erster-Trailer-zu-Staffel-vier-
  • http://www.spiegel.de/netzwelt/web/house-of-cards-intro-von-washington-nach-wien-verlegt-a-976758.html
  • http://www.sueddeutsche.de/politik/baden-wuerttemberg-die-sprache-der-krawatten-1.2912047
  • http://www.welt.de/kultur/article12278840/Wer-die-Krawatte-nicht-ehrt-macht-keinen-Aufstand.html
  • http://www.zeichnen-lernen.net/kunstkurse/farbenlehre.php
  • http://www.zeit.de/1972/11/vorbild-courreges

 

  • House of Cards. Staffel 4 Episode 2

Die Weißheit der Anderen

Weiß ist eine besondere Farbe. Vielleicht auch eine Nicht-Farbe. Oder alle Farben zugleich. Eine Überfarbe. Pures Licht. Physikalische Vollkommenheit, vollkommene Metaphysik. Nichts und alles. Weiß hat etwas an sich, und doch gerade nichts an sich: nichts Fremdes, keine Brechung, keinen Schmutz. Es ist völlige Reinheit, ein Extrem, eine absolute Steigerung, unkorrumpierbar. In seiner sozialen Einvernahme vertritt es eine klare Position. Weiß ist der Gegenspieler des Schwarz: Es ist das Licht, nicht das Dunkel, das Gute, nicht das Schlechte, der Adel, nicht das Volk. Es ist das Ungemeine, nicht das Gemeine. Es ist ein Zeichen der Macht, der Sonderstellung, eine Auszeichnung. Weiß-Sein ist distinkt sein: „Weiß bedeutet das Anderssein schlechthin.“[1] Weiß ist die Farbe der Besonderen.

Nah und doch fern: Hyperweiße Zähne oszillieren zwischen Aufdrängung und Distanz.

Nah und doch fern: Hyperweiße Zähne oszillieren zwischen Aufdrängung und Distanz.

Weiß – pur und rein – kann Symbol der eigenen Heraushebung sein. Doch muss man es tragen, möglichst nah, möglichst ganz und gar einverleibt. Man muss es selbst sein. Die Zähne sind vielleicht das einzige körpereigene Medium, die dies erlauben. Zähne kann man bleichen, noch weißer, noch strahlender machen. Vollends gebleachte, hyperweiße Zähne oszillieren zwischen Distanzierung und Aufdrängung. Sie lösen sich von ihrem Träger und drängen in das Außen hinein. Sie sind entfernt und nah zugleich, strahlen und schweben als andere Körper, unnahbar, körperlos. Ihr weißes Leuchten greift mit seiner außerordentlichen Präsenz in den Raum hinein, tritt an uns heran, fordert uns heraus. Es will zu uns, ohne uns zugehörig zu sein. Es zieht uns an und weist/weißt uns ab; es sucht den Kontakt und ist doch völlig kontaktlos. Es fängt uns ein und bleibt uns fern. Unerreichbar, unberührbar. Ein Flimmern, das man nicht fassen, von dem man sich aber auch nicht lösen kann.

Sind es die Zähne selbst, die leuchten? Verschwinden sie nicht eher in oder hinter dem blendenden Weiß ihrer unheimlichen Strahlkraft? Ihr weißes Leuchten leugnet das Leibliche, das Organische, den Dreck und die Vergänglichkeit. Es ist die Negation ihrer selbst, die Verneinung ihrer Materie, die Verkündung ihrer Metaphysik: „Vor [ihrem] Licht ist kein Entkommen.“[2] Es ist zeitlos, losgelöst und ewig. Es ist die Jugend, die der übrige Körper nicht einlösen kann. Es steht für sich, apart. Es ist metaphysische Andersheit, ungreifbar wie das Licht selbst. Das vollkommene Weiß ist mehr als nur der Verweis auf eine andere Dimension, es ist die Inkarnation einer anderen Welt: „Weiß ist all das, was wir gewöhnlich nicht sind.“[3] Es ist das absolute Zeichen des und der Anderen.

Hollywood hat das faszinative und distinktive Potenzial superweißer Zähne längst erkannt. Die digitale Aufbereitung seiner Bilder steigert den weißen Glanz seiner Star-Gebisse mitunter ins Groteske: Je weißer, desto brillanter, desto besonderer und abgesonderter. Embleme einer anderen Welt. Doch der Trend hat die Grenzen der großen Leinwand längst überschritten. So zeugt nichts besser von der Augenfälligkeit und Strahlkraft hyperweißer Zähne als ein Porträt des deutschen Boulevardsternchens Naddel: Den Oberkörper der Kamera freundlich entgegen gebeugt, überblendet das unwirklich helle Lächeln ihrer Zähne mühelos die dunklen Tiefen des Dekolletés.[4] Ein göttliches Weiß obsiegt im Kampf um die Aufmerksamkeit über den teuflischen Charme der fülligen Verführung. Dinge, die in die Weiten der Metaphysik verweisen, können eben auch äußerst profanen Ursprungs sein.


[1]      Hebestreit, Andreas (2007): Die soziale Farbe. Wie Gesellschaft sichtbar wird. Wien, S. 52.

[2]      Vogel, Juliane (2003): Epilog: Aus der Farbenleere. In: Wolfgang Ullrich und Juliane Vogel (Hg.): Weiß. Frankfurt am Main, S. 252–256, S. 254.

[3]      Hebestreit (2007), S. 64.

[4]      Wem die Vorstellungskraft nicht genüge tut, kann sich das beschriebene Porträt hier vor Augen führen: http://bilder.bild.de/fotos/teaser-naddel-27550552-mfbq-25231194/Bild/3.bild.jpg

Der Schein der Zahnnatur

Helle Tupfer im grauen Alltag.

Helle Tupfer im grauen Alltag.

Welche Farbe haben Zähne? Weiß, natürlich. Weiß? Natürlich? Auf den ersten Blick, vielleicht. Doch wehe dem, der genauer hinsieht! Kennern ist die Komplexität der Zahnlage bekannt. Und ihre trübe Wahrheit. „Ganz weiß gibt es bei Zähnen nicht“, desillusioniert mich ein angehender Zahnmediziner, also einer, der es wissen muss. Es sei immer ein Stich Rot, Grün oder Gelb dabei. Ganz so klar, wie sie alltagssprachlich erscheint, ist die Sache also nicht. Die Zahnfarbe variiert. Zahnkundler ordnen sie in Farbpaletten mit Kürzeln von A bis D und von eins bis vier, von bräunlich bis gräulich.

Laien, wie mir, erschließen sich solche Farbnuancen nur schwer. Etwas heller, etwas dunkler, gut. Aber Braungrüngrau? Wie unsexy. Ich mag es nicht glauben, ich meine: Sind unsere Zähne nicht doch irgendwie weiß? Glaubt man den frohen Botschaften vieler Zahnpastatuben, dann sind unsere Zähne sogar UltraMegaMaxWhite – und das von Natur aus. Wäre da nicht der Zahn der Zeit. Denn der nagt an uns, und schlimmer noch: Er verfärbt unser Gebiss. „Oft legt sich ein gelblicher Schleier über die Zähne“, lese ich in dem Flyer einer Praxis für Zahnkosmetik. Sie hat sich auf Zahnaufhellungen spezialisiert und verspricht: „Mit Bleaching bringen wir die natürliche Schönheit Ihrer Zähne wieder zum Strahlen – natürlich weiße Zähne wirken gesünder und attraktiver.“

Täglich putzt, wer strahlen will?

Täglich putzt, wer strahlen will?

Also doch: Unter den archäologischen Schichten der Vergänglichkeit soll es verborgen sein, das wahre Gesicht unserer Zähne, ihr ureigener Glanz – ihr natürliches Weiß: makellos, gesund, jung und schön, ästhetisch und moralisch vollkommen. Reine Weißmalerei? Jedenfalls haben alle Bleachingverheißungen einen klaren argumentativen Kern. Das strahlende Weiß soll nicht Schein sein, es soll zum Vorschein kommen, endlich zutage treten als die eigentliche, wahre Farbe der Zähne. Es soll von innen kommen, aus dem Körper heraus, und den Schleier der Verfärbungen von Kaffee, Zigaretten und Rotwein durchbrechen. Es soll die Zahnnatur selbst sein.

In diesem Sinne verheißt Bleaching nicht nur blendend weiße Zähne, sondern auch mehr Natürlichkeit. Ein Paradoxon? Ist, wo von Natürlichkeit die Rede ist, nicht vielmehr Künstlichkeit gemeint? Vielleicht, vielleicht aber auch nicht. Denn Natürlichkeit ist nicht gleich Natur. Damit etwas als natürlich gilt, muss sich die Natur herausputzen. Natürlichkeit erfordert die Hand des Menschen: natürlich ist kultürlich. Natürlichkeit ist aber auch nicht gleich Künstlichkeit. Sie liegt, gewissermaßen, zwischen der Rohheit der Natur und den Überformungen der Künstlichkeit. Sie ist eine ganz bestimmte kulturelle Formung der Natur, der Weg zu einer vorgestellten ‚wahren Natur‘, eine ideale Ordnung der Natur. Natürlichkeit ist Kunst und Konzept, im Kant’schen Sinne: Nicht Natur, aber schön wie die Natur. Oder sogar noch etwas schöner. Natürlichkeit ist vor allem ein schmaler Grad. Denn die Grenze zur Künstlichkeit ist stets bedrohlich nah.

Dem ist sich auch mein Experte bewusst. „Perlweißglanz, das ist natürlich, finde ich, total unästhetisch“, meint er. „Das hat eher Charme, wenn man vielleicht auch eine Zahnlücke oder ein bisschen was Krummes drin hat. Und nicht nur irgendwie weiß und kerzengerade.“ Sagt er – und strahlt mich mit wohlgeformten, weißen, ja, wirklich weißen, kerzengeraden Zähnen an. Ich presse meine Lippen zu einem zaghaften Lächeln. Mehr traue ich mich nicht. Ich bin schließlich desillusioniert.