Ein stressiger Arbeitstag war das heute! – Doch wie stressig genau? Habe ich ihn nur so wahrgenommen? Hätte ihn ein andere/r meiner KollegInnen auch so empfunden? Oder war ich heute einfach nicht so gut drauf, so dass mir auch kleine Aufgaben schon über den Kopf gewachsen sind? Vielleicht war mein Schlaf nicht erholsam genug oder das Essen in der Mittagspause zu schwer…
Mit Hilfe unserer Sinne nehmen wir nicht nur unsere Umwelt wahr, sondern auch uns selbst. Sie vermitteln uns das nicht klar zu definierende Körpergefühl. Schwer oder leicht, beschwingt, müde oder satt. Es gibt nicht einen Sinn für das Körpergefühl, doch entscheidend hierfür scheint unser Tastsinn zu sein, der es uns neben dem Wahrnehmen der Welt auch ermöglicht uns selbst in der Welt wahrzunehmen. Auch unser Bauchgefühl, ist eben ein Fühlendes, ein Körperge-fühl
Claudia Benthien verweist in diesem Zusammenhang auf die Bedeutung des Tastsinns für unsere Innenwelt, die sich auch in unserer Sprache widerspiegelt. In ihrem Aufsatz „Hand und Haut“ beschreibt sie das „Gefühl einer Identität“, ein nach innen gerichtetes Spüren. Wir umschreiben Gefühle durch Begriffe, die eng verbunden sind mit dem Tastsinn: Wir sind ergriffen oder bedrückt. Daraus folgernd fordert sie die Unterscheidung zwischen Gefühl und Getast. Das Tasten solle den Händen zugeschrieben werden, welche die äußere Welt begreifen, während das Gefühl die gesamte Hautoberfläche einbezieht. Sie steht nicht allein. Didier Anzieu bezeichnet die Entwicklung der Wahrnehmung des eignen Körpers im Kindesalter mit dem vielzitierten Begriff „Haut-Ich“, welches über das Gefühl seiner Begrenztheit über seine (Haut-) Oberfläche sein Selbst als Individuum erkennt.
Doch scheinbar trauen wir unserem Ge-fühl nicht mehr allzu sehr. Der Markt der wearables (wie Kleidung tragbare Geräte), die wir direkt auf der Haut oder nah am Körper tragen, um uns selbst über Sensoren zu vermessen, boomt. Die Intuition scheint in Zeiten des detailreichen Quanti- und Verifizierbarkeitsideals immer weniger zuverlässig. Zusammenhänge, die auf einem Gefühl beruhen sind nur noch wenig valide.
Der Trend der Messbarmachung von Gefühlen und Befindlichkeiten ist nicht allein aus den gesteigerten Ansprüchen einer sich immer rasanter entwickelnden Arbeitswelt und deren Zwang zur Selbstoptimierung zu erklären. Es ist auch eine Unsicherheit dem eigenen Gefühl gegenüber, dem das große Vertrauen in Daten und Fakten gegenübersteht. Zeitgleich entwickeln sich die Möglichkeiten mit immer kleiner werdender Technik immer genauer zu messen und auszuwerten, welches die Entwicklung begünstigt.
Noch nie zuvor war es möglich, so kleine Geräte dicht auf der Haut zu tragen, die ohne aktive Steuerung kontinuierlich Daten speichern und auswerten – ohne dass es unsere Aufmerksamkeit dafür bräuchte. Sie sind nicht mehr auf die Eingaben durch den Benutzer über Maus oder Tastatur angewiesen, Sensoren liefern dem smarten Gerät die nötigen Informationen über den Zustand des Benutzenden und über dessen Umgebung, in der diese/r sich gerade befindet. So folgern die AutorInnen der Zeitschrift Communication of the ACM, dass gerade der dauerhafte Kontakt der Smartwatch zur Haut der entscheidende Vorteil gegenüber dem Smartphone sein wird, trotz des kleineren Bildschirms und ihrer kürzeren Akkulaufzeit. Durch den ständigen Hautkontakt kann das Innenleben der Benutzenden stets mitberücksichtigt werden. Anrufe könnten bspw. bei erhöhtem Stresslevel umgeleitet werden. Der Stresslevel kann heute bereits über den GSR (galavanic skin response) gemessen werden. Eingaben des Benutzenden seien dagegen eben immer subjektiv und weniger akkurat, stellen die AutorInnen fest – als ob Gefühle dies nicht sein sollten?
Man könnte von der Technisierung der Sinne sprechen, die auch eine veränderte Wahrnehmung unseres Selbst mit sich bringt. Auf das Cogito und das sentio ergo sum, scheint nun das metio ergo sum (Ich messe, also bin ich ich…) zu folgen oder wie Gary Wolf, Mitbegründer der Quantified Self Bewegung seine Leibesvermessungen begründet: Es sei „self knowledge through numbers“ (Selbsterkenntnis durch Zahlen). „Der Fokus der Wahrnehmung verschiebt sich vom eigenen Gefühl zu den Datenreihen.“ stellt auch Stefan Selke in seinem Werk Lifelogging fest. Er bemerkt zum einen durch ständiges Messen und Auswerten eine Fokussierung auf den eigenen Körper, während dem eigenen Körpergefühl allerdings immer weniger Beachtung geschenkt zu werden scheint. Doch was werden die Folgen sein? Wird sich unser Körpergefühl durch die Technik auf der Haut in Zukunft weiter verändern?
Weiterführende Literatur:
Wolf-Dietrich Lorenz: Quantified Self Deutschland. In: IM+io Fachzeitschrift für Innovation, Organisation und Management, April 2014.
Michael Meuser: Körperarbeit – Fitness, Gesundheit, Schönheit. In: Bellebaum, Alfred, Hettlage, Robert (Hrsg.): Unser Alltag ist voll von Gesellschaft. Sozialwissenschaftliche Beiträge. Wiesbaden 2014, S. 65-81.
Helmuth Plessner: Die Einheit der Sinne, Grundlinien einer Aesthesiologie des Geistes, Bonn, 1923.
Reza Rawassizadeh, Blaine A. Price, Marian Petre: Wearables: Has the Age of Smartwatches Finally Arrived? In: Communications of the ACM, vol. 58, Januar 2015, S.45-47.
Hartmut Rosa: Modernisierung als soziale Beschleunigung. In: Andreas Reckwitz, Thomas Bonacker: Kulturen der Moderne, Frankfurt a.M., New York, 2007.
Stafan Selke: Lifelogging. Wie die digitale Selbstvermessung unsere Geselschaft verändert, Berlin, 2014.
Dirk Spreen: Sinne und Sensoren. Zur Rekonstruktion der Sinne, Tübingen,1999.