Wie selbstverständlich unterscheiden wir heute zwischen zwei Dingen, die eigentlich in vieler Hinsicht sehr ähnlich sind: dem Bikini und der weiblichen Unterwäsche (Slip und BH). Diese als selbstverständlich geltende Unterscheidung hat unser Interesse geweckt. Zu Beginn war bereits klar, dass jeder aus uns bis dahin unbekannten Gründen erkennt, was ein Bikini und was Unterwäsche ist. Um der Frage nachzugehen, wo die wesentlichen Unterschiede liegen, befragten wir Frauen von 20 – 25 Jahren nach ihrem Umgang mit und der Wahrnehmung von Unterwäsche und Bademode und konzentrierten uns dabei auf die Oberteile der jeweiligen Bekleidung. Im Laufe der Interviews stellten wir fest, dass die Unterscheidung sich hauptsächlich an Zweck und Prinzip festmachen lässt: das eine wird darunter getragen und ist intim, das andere ist bewusst eine Oberbekleidung, welche in der Öffentlichkeit gezeigt wird.
Außerdem erkannten wir, dass es sichtbare und unsichtbare Unterschiede gibt: Die sichtbaren Faktoren sind Materialität und Form, der unsichtbare Faktor ist die Funktion. Durch sie werden die Prinzipien öffentlich und intim ausgedrückt.
Das Material des BHs besteht zum größten Teil aus Baumwolle oder Viskose, um die Bequemlichkeit für die Trägerin zu vergrößern, während der Badebekleidung eine Mischung aus Polyamid und Elasthan zugrunde liegt, ein praktisches, leichtes und schnell trocknendes Material. Da er nicht für den alltäglichen Gebrauch gedacht ist, besteht kein besonderer Bedarf an Tragekomfort und angenehmen Material, das der Haut schmeichelt.
Die typische BH-Form unterstützt, formt und stabilisiert die Brust der Trägerin und passt sich ihr an, um unter der Oberbekleidung möglichst unauffällig zu sein. Der verstellbare Verschluss und die Träger bieten eine individuelle Anpassung, um auch hier die Bequemlichkeit und die längere Dauer des Gebrauchs zu ermöglichen. Während hier die Farben im Durchschnitt gedeckter und weniger vielfältig sind, erkennt man beim Bikini die Farbigkeit, auffällige Muster und die individuelle Form als ein wesentliches Merkmal. Das spricht erneut für den Bikini als Oberbekleidung, da man durch die Auffälligkeit und Buntheit den Eindruck eines BHs vermeiden möchte.
Diese auffälligen Farben und Muster sind wahrscheinlich auch der Grund für die Aussage unserer Interviewpartnerinnen, welche einstimmig behaupten, ihre Bikinis nach einiger Zeit „hässlich“ zu finden. Nimmt man das dünne Material und die schnelle Abnutzung der Bademode hinzu, erkennt man womöglich auch den Grund dafür, dass die erfragte Menge der Bikinis im Vergleich zur Menge an BHs deutlich geringer ist.
Ebenso wie die sichtbaren Unterscheidungsfaktoren gibt auch die Funktionalität Rückschluss darauf, welches Prinzip hinter welcher Bekleidung steht.
Der BH als intimes Wäschestück ist als Gebrauchsgegenstand Teil der täglichen Bekleidung, dennoch sieht man ihn seltener und somit rückt er in den Hintergrund. Trotzdem wird er (in Zweisamkeit) mit Reiz und Erotik verbunden, wodurch man sich automatisch nackter fühlt, wie viele unserer Interviewpartnerinnen aussagten.
Diese zwei Assoziationen (Reiz und Erotik) machen ihn als Öffentlichkeitsobjekt untauglich. Der Bikini dagegen wird in einem Umfeld getragen, in welchem es normal ist, spärlich bekleidet zu sein. Man fühlt sich angezogener und wohler, auch da man den Bikini zu einem bestimmten Zweck, wie etwa dem Strandbesuch, nutzt.
Die meisten unserer Interviewpartnerinnen gaben an, unter transparenter oder groß ausgeschnittener Kleidung einen Bikini zu tragen, viele von denen, die einen BH darunter tragen, bedecken ihn mit einem Bandeau-Top oder einem T-Shirt. Auch hier werden die Prinzipien der beiden Kleidungsstücke klar: der BH muss verdeckt werden, der Bikini kann problemlos sichtbar sein.
Die Trägerin legt bereits zum Kaufzeitpunkt fest, welcher Zweck und somit welches Prinzip mit der Bekleidung verfolgt werden soll: Sie bedenkt schon bei der Anprobe des Bikinis, dass er für viele sichtbar sein wird und verbindet ihn somit mit der Öffentlichkeit. Dagegen hat sie beim Kauf eines BHs neben ihren eigenen oft auch noch die Wünsche ihres Partners bzw. ihre Vorstellung seiner/ihrer Wünsche im Kopf. Somit schafft sie eine intimere und privatere Einstellung zum gekauften Kleidungsstück.
Die Unterscheidung zwischen den beiden Bekleidungsformen funktioniert nur durch eine Charakterisierung der Unterwäsche als einschlägig erotisch und intim. Die Konstruktion dieses Charakters ist dadurch bedingt, dass er in der Gesellschaft anerkannt wird, zudem dient er der Unterscheidung zwischen Öffentlichem Raum und Privatem Raum. Die Frage, ob dieses Konstrukt gesellschaftlich notwendig ist oder sich nur rein wirtschaftlich lohnt, kann an dieser Stelle jedoch nicht beantwortet werden.