Exkursion: Die Alb und ihre Maschen

Die Geschichte der Unter- und Tageswäsche – oder warum Großvaters Unterhemden eine Renaissance erleben

Von Renate Deregowski
und Lioba Keller-Drescher

Das Leben auf der Schwäbischen Alb gestaltete sich nicht einfach: steiniger Untergrund, wenig Wasser, raues Klima – keine idealen Bedingungen, um Landwirtschaft zu betreiben. Auch für die Textilindustrie eigentlich keine optimalen Umstände. Und doch hatte sich in den letzten Jahrhunderten auf der Schwäbischen Alb im heutigen Zollernalbkreis sowie angrenzenden Landkreisen eine Industrie rund um „die Masche“ angesiedelt. Über deren Historie informiert das Maschenmuseum in Albstadt-Tailfingen.

Einige Studentinnen des Seminars „Drunter und Drüber. Materielle Kulturanalyse der textilen Oberflächen“ statteten dem Museum für einen historischen Überblick sowie der Tailfinger Firma Comazo für den aktuellen Einblick in Produktionstechniken einen Besuch ab. Comazo ist einer der letzten vollstufigen Textilhersteller auf der Alb und bezeichnet sich selbst als ein „topmodernes Traditionsunternehmen“. So kann man hier Färberei, Ausrüsterei, Design, Zuschnitt, Musternäherei, Vertrieb sowie die Kollektionspräsentation erleben. Wie beinahe alle in Südwestdeutschland noch tätigen Textilfirmen hat die Diversifizierung und marktanalytisch ausgerichtete Produktion zum Erhalt der Firma geführt: die Produktpalette reicht von medizinischen Textilien über spezielle Schutzkleidung bis hin zu öko- und fairetrade-zertifizierten Kollektionen und natürlich ganz viel Unterwäsche für Frauen, Männer, Kinder. Unterwegs durchs Betriebsgebäude mit Geschäftsführer Michael Nädele und vorbei an Farbküchen und Glättungswalzen, durch Zuschnittsäle und entlang an Regalen mit Kurzwaren und Garnen konnten in der Firma äußerst spannende Einblicke gewonnen werden.

Johanna Joachim führte die Gruppe im Maschenmuseum durch mehrere Hundert Jahre Textiles und dessen Herstellungsmethoden. Bis eines der naturweißen Hemden über den Kopf gezogen werden konnte, erklärte die wissenschaftliche Mitarbeiterin, waren rund 140 Arbeitsstunden vergangen. Unzählige mehr sollte so ein Hemd am Leib des Trägers bis zur Ausmusterung erleben, denn – anders als heute – lagen meist nur eine Handvoll dieser Kleidungsstücke im Schrank.

Neben Sprichwörtern, die auf die textile Handarbeit zurückgehen, präsentierte Johanna Joachim so manches Kuriosum, wie zum Beispiel die „Stehbrunzhose“. Eine der weiblichen Anatomie angepasste Aussparung – später durch eine Klappe verdeckt – erleichterte das Erledigen des menschlichen Bedürfnisses ungemein.

Dass sich Unterwäsche „made in Tailfingen“ nach wie vor einer gewissen Beliebtheit erfreut, zeigt sich am Beispiel von Rudolf Loder. Zusammen mit einem Berliner Designer produziert er Wäsche, die im Aussehen und Material an die im Museum gezeigten Modelle erinnert. Unter dem Label „Merz beim Schwanen“ sind die auf alten Rundstühlen gefertigten Teile ein modischer Revial-Renner, der beim gerade stattfindenden Retro-Wäsche-Markt seine LiebhaberInnen fand.

 

Fotos: Renate Deregowski / indensity