Farbe als Kommunikationsmittel in der Mode anhand des Schwarz-Weiß-Dualismus in einer Szene aus der Serie „House of Cards“.
Die Szene dauert nur ein-zwei Minuten, das Telefonat wohl noch weniger: „Wear the black!“, sagt ihre Mutter zum Abschied zu ihr. Claire, die gerade auflegt, wird sich für das elfenbein-farbene Kleid entscheiden. Es ist eine Entscheidung mit Symbolkraft, aber machen wir erst einmal einen Schritt zurück.
Selten war das internationale Serienpublikum in den letzten Jahren so angezogen von einem Schauspielpaar wie von den Figuren Frank und Claire Underwood aus der amerikanischen Serie „House of Cards“. Gespielt von Kevin Spacey und Robin Wright, die für ihre Leistungen unter anderem den Golden Globe für die besten Serienschauspieler bekamen, sind die Underwoods ein Duo mit Sprengkraft. Sie haben sich gemeinsam von „unten“ bis an die Spitze des amerikanischen Politikestablishments gekämpft. Sie ehemalige Chefin einer wohltätigen Stiftung, UN Botschafterin und nun First Lady, er ehemaliger Kongressman und nun Präsident der Vereinigten Staaten von Amerika. Nach drei Staffeln gemeinsamen Kampfes bekommt die Geschichte einen entscheidenden Wendepunkt. Es kriselt in der Ehe der Underwoods. Längst sind sie nicht mehr eine Einheit oder Verbündete, sie sind Einzelkämpfer. Claire wirft ihrem Mann vor, in letzter Zeit nur noch sich selbst stärker gemacht und nicht mehr für ein gemeinsames Ziel gekämpft zu haben: Claire will ihn verlassen. Sie begibt sich nur noch für Gegenleistungen in die Nähe ihres Mannes Frank. In der weiteren Folge der Serie steht die jährliche Ansprache des Präsidenten an, und Frank braucht die Unterstützung seiner Frau. Längst steckt er in einem knappen Wahlkampf um eine zweite Amtsperiode. Im Gegenzug verspricht Frank, die Bestrebungen Claires um einen Sitz im Kongress zu unterstützen. So kommt Claire Underwood (wieder) in die Situation, ein Kleid für einen besonderen Anlass auswählen zu müssen.
Die Figur Claire Underwood ist stets klassisch, elegant und nicht zu auffällig gekleidet, wie es der Kurier beschreibt.[1] Das hat einerseits mit ihrer offiziellen Position als First Lady und ihrem sozialen Hintergrund (wohlhabende texanische Familie) zu tun, als auch ihrer Stellung innerhalb ihrer Ehe. Claire trägt nie ein zu grelles, gar zu farbiges, noch zu aufreizendes Kleid. Doch heute wird sie aus dem Schatten ihres Ehemannes heraustreten und ihr Kleid wird eine Botschaft senden.
Das Gespräch mit ihrer Mutter ist kurz. Claires Mutter konnte ihren Schwiegersohn noch nie leiden und macht daraus keinen Hehl. Sie unterstützt Claire in ihren Bemühungen für eine Kandidatur um einen Kongresssitz und nutzt dabei jede Möglichkeit, ihre Tochter von ihrem Ehemann zu entfernen.
Bildausschnitt aus House of Cards Staffel 4 Episode 2. © Netflix Inc.
Claire hat nun die Wahl zwischen einem weißen oder einem schwarzen Kleid. „Wähle das schwarze Kleid.“ Doch was Claires Mutter wirklich sagt ist: Mach dich stark, Claire. Hier geht es um Farbpsychologie. Wir verbinden Farben stets auch mit Emotionen und Erinnerungen. Farben können uns unterbewusst stark beeinflussen. Sie sind ein subtiles Kommunikationsmittel. So ist es nicht überraschend, dass für Die Presse unter anderem die „kühlen Farben von In- und Exterieur“ auffällig sind, die zu dem „ständig unter Hochdruck“ befindlichen Frank Underwood im schönen Kontrast stehen.[2] Und auch im wahren Politikleben zeigt sich anhand der Kleiderwahl oft so manches Signal. Beliebtes Kleidungsmittel zur Überbringung der Signale bei den überwiegend männlichen Protagonisten der deutschen Politik: die Krawatte. So titelt nach den Landtagswahlen 2016 die Süddeutsche Zeitung zu den aktuellen Koalitionssondierungen im Land Baden-Württemberg: „Baden-Württemberg – Die Sprache der Krawatten“[3] und analysiert dabei die Farbmuster der Binder. Dass es sich bei diesen Bindern um ein mächtiges Instrument handelt, zeigte sich unter anderem 2011, als eine Diskussion um eine Krawattenpflicht bei den Schriftführern im Bundestag entbrannte[4], aber auch als der griechische Ministerpräsident Alexis Tsipras während der griechischen Finanzkrise ankündigte, erst wieder eine Krawatte zu tragen, wenn die Krise vorbei sei. Dass ihm Anfang 2015 vom italienischen Ministerpräsidenten Matteo Renzi eine italienische Krawatte in neutralem Grau geschenkt wurde, kann getrost als Signal gewertet werden.[5] „Eine Krawatte ist also nicht nur eine Krawatte, sie steht für etwas.“[6]
Die Natur nutzt ebenfalls Farben zur Signalüberbringung. So ist der Fliegenpilz nicht umsonst im Kontrast zum Grün des Waldes rot gekleidet. Im Tierreich gibt es einige Arten wie den Erdbeerfrosch, die durch ihre für ihre Umgebung untypische Farbe Gefahr beziehungsweise Giftigkeit signalisieren. Auch wir Menschen nutzen dies unter anderem für unser Verkehrssystem, Kennzeichnung von Chemikalien beziehungsweise Kenntlichmachung von Aufgaben und Rechten. Der Designer Otl Aicher hat zum Beispiel mit verschiedenen Farben von Anzügen verschiedene Aufgabenbereiche des Personals[7] während der Olympischen Sommerspiele 1972 in München kenntlich zu machen versucht. So war das Servicepersonal gelb, die Ordner in blau gekleidet.[8] Durch den „Verzicht auf Gold und das Spektrum zwischen Rot, Purpur und Violett, die für ihn als Farben weltlicher oder kirchlicher Macht kontaminiert waren (Aicher sprach von den „Farben der Diktatoren“)“, wollte er ein farbpsychologisch möglichst neutrales System schaffen. Positiv konnotierte Farben (Hellblau, Hellgrün, Gelb, Dunkelblau, Dunkelgrün und Orange), sollten im Kontrast zu den letzten Olympischen Spielen in Deutschland (1936) stehen und ein weltoffenes und demokratisches Bild Deutschlands zeichnen. [9][10]
Für Claires Kleiderwahl haben sich die Drehbuchschreiber den ultimativen Dualismus von schwarz und weiß ausgesucht. Weiß als Zeichen des Lichts, des Friedens (vgl. weiße Flagge), der Unschuld und Reinheit (vgl. weißes Hochzeitskleid) und des Neubeginns (vgl. weißes, unbeschriebenes Blatt). Schwarz als Zeichen der Nacht, der Macht und Stärke (vgl. schwarze Anzüge in einer heteronormativen Gesellschaft), aber auch des Endes, gar Todes. Dass es bei House of Cards vor allem um Macht und Stärke, Intrigen geht, wird ebenfalls sofort klar, wenn zum Beispiel der Spiegel die Serie als einen „düsteren Politkrimi“[11] bezeichnet oder der Focus von den „dunklen Machenschaften“[12] der Underwoods spricht.
Im Sprachgebrauch ist uns die Kombination „schwarz-weiß“ als Idiom bekannt. Schwarz-weiß-Malerei bezeichnet eine undifferenzierte Sichtweise beziehungsweise starke Polarisierung. Sie werden neben grau auch als „unbunte“ Farben klassifiziert. Diese bestehen nur aus Licht oder der Abwesenheit von Licht und weisen keinen Farbton oder Sättigung auf. Dadurch wirken sie rudimentär, ursprünglich, neutral und lassen keine Zwischentöne oder Nuancen zu. Trotzdem haben wir Menschen ihnen unterschiedliche Bedeutungen gegeben. Goethe hat in seiner Farbenlehre folgende emotionale Zuwendungen zu beiden Farben formuliert: Weiß steht für Reinheit, Sauberkeit, Ordnung, Unschuld, Vollkommenheit, Beruhigung. Schwarz steht für Tod, Trauer, Einengung, Abgeschlossenheit, pessimistisch, hoffnungslos, schwer.[13]
Claires Mutter weiß um diese Bedeutungen und empfiehlt ihrer Tochter ein Kleid, ohne es vorher gesehen zu haben, nur anhand der Farbe.
Claires Mutter: „What are you gonna wear tonight? […]“
Claire: „Well its between black and ivory and to tell you the truth its ivory. Its so beautiful.“
Claires Mutter: „Ohh for god sackes, don´t wear ivory. Even with your figure, it´ll accentuate all the wrong places.“[14]
Claires Mutter: „Was wirst du heute Abend tragen? […]“
Claire: „Entweder schwarz oder elfenbein-farben, aber eher elfenbein-farben. Es ist so schön.“
Claires Mutter: „Um Gottes Willen, trag nicht das Efenbein-farbene. Selbst mit deiner Figur betont es alle falschen Stellen.“
„[…] Es betont alle falschen Stellen“, dass damit nicht die Figur gemeint ist, darauf wird sogar im Halbsatz davor hingewiesen. Das schwarze Kleid uniformiert. Später werden viele Anzugträger um sie herum stehen, das weiß Claire Underwood. Ohne Zweifel ist Schwarz hier die beliebteste Farbe. Sie macht stark, individuell wie kollektiv. Claire will ein Signal aussenden. Dass sich die Figuren selbst auch um die Psychologie und Bedeutung der Farben im Klaren sind, zeigt eine Szene aus der zehnten Episode der dritten Staffel, in der sich Claire ihre Haare wieder blond färbt, nachdem eine Umfrage ergeben hat, dass dies bei der Bevölkerung die beliebteste Haarfarbe für sie sei. Sie will also auch hier mit ihrer Farbwahl Signale aussenden und Sympathien gewinnen. Doch zurück zur Rede zur Lage der Nation und Claires Kleiderwahl: Claire will nicht nur als starke und selbstbewusste First Lady kontrastreich aus der Masse heraus stechen, sie will Frank auch ihren guten Willen demonstrieren, denn sie sind sich einig: kommt sie zur Rede, unterstützt er ihre Kampagne zur Erlangung eines Sitzes. Sie trägt also Weiß. Frieden, Reinheit, Neuanfang. Frank wird dieses Zeichen nicht lesen. Stattdessen wird er während seiner Ansprache die Kandidatur einer anderen Kandidatin verkünden. Eine brutal unabänderliche Wahl, die sich in den folgenden Szenen und Folgen auch in Claires Kleiderwahl widerspiegeln wird. Als sie nach der Rede ihres Mannes wieder ins Weiße Haus[15] zurückkehrt, trägt sie einen Mantel in schwarzer Farbe. Das weiße Kleid ist kaum noch zu sehen, und auch ihr weißes Tuch trägt sie zur Hälfte geknüllt in ihrer Hand. Das Weiß ist fest in Ihrer Hand – gedrückt, gestaucht, zerknüllt, auch das könnte als ein subtiles Signal verstanden werden. Es ist Abend (=dunkel), der Privattrakt des Präsidentenpaares ist nur spärlich beleuchtet. Sie steht vor ihm, aufrecht, geradeaus blickend. Die Körpersprache von Spacey und Wright in diesem Moment lässt den Boden erbeben. Alles ist in diesem Moment von schwarz umhüllt, die Gemüter, der Schatten, der über der Szene liegt und auch Claire Underwoods Kleid.