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Kulturding Schreibwerkzeug – Von der Kulturhandlung zur Alltagskultur

Der Stift als Schreibwerkzeug ist uns heute so vertraut, dass er zum kaum noch wahrgenommenen Teil unserer Alltagskultur geworden ist. Er ist so gewöhnlich, dass man ihn in die Hand nimmt, damit herum spielt und ihn wieder weglegt, ohne auch nur einen Gedanken daran zu verschwenden. Beim Telefonieren kritzeln wir abwesend damit herum und Handwerker klemmen sich den Stift hinters Ohr, um die Hände für andere Dinge frei zu haben. Wir bekommen Stifte als Werbegeschenke, manchmal als Multifunktionstool mit Taschenlampe versehen, und haben fast immer ein Exemplar in der Tasche. Und wenn nicht, so ist es in unserer westlichen Gesellschaft ebenso geläufig, eine fremde Person um einen Stift zu bitten, wie nach der Uhrzeit zu fragen.

Das Schreiben geht uns heute meist leicht von der Hand, das dazu gehörige Utensil hat eine lange Entwicklung erfahren. Die Assyrer ritzten ihre Keilschrift in Tontafeln, die Ägypter schrieben mit Tinte auf Pergament, die Römer nutzten Pergament und Wachstafeln. Erst im späten Mittelalter wird das teure Pergament dann durch Papier ersetzt und der Gänsekiel wird als Schreibgerät entdeckt. Bereits im späten Mittelalter musste der Federkiel gut in der Hand liegen, die Herkunftsposition im Federputz der Gans war entscheidend: Die besten Schreibfedern kamen aus dem linken Flügel der äußersten Schwungfedern, die der zweiten und dritten Position wurde auf Grund ihrer Dicke geschätzt. Federn, die von selbst ausfielen, hielt man für besser geeignet, als gerupfte. (1)

Seit dem 19. Jahrhundert wird der Bleistift industriell und in großer Stückzahl gefertigt. Eine andere wichtige Entwicklung im selben Jahrhundert war die Erfindung der Stahlfeder; der Kugelschreiber erhält dann Mitte des 20. Jahrhunderts Einzug in unsere Schreibkultur. Es gibt ihn heute noch und irgendwie haftet ihm etwas „Billiges“ an, er hat den Ruf, die Handschrift zu verderben und er schreibt immer nur in einer Breite. Für ihn sprechen jedoch sein günstiger Preis und die leichte Handhabung.

Das Schreiben ist über die Jahrhunderte von einem Handwerk, das nur wenigen vorbehalten war, zu etwas Alltäglichem geworden, zu einer gewöhnlichen Sache, deren haptische Merkmale wir kaum noch wahrnehmen. Durch das feinmotorische Zusammenspiel von Hand und Stift werden unsere Gedanken angeregt. Durch Hand- und Fingerbewegungen erfahren wir Ausdehnung, Gestalt, Oberflächenbeschaffenheit, Temperatur und Funktion der Gegenstände im Raum. Als Allegorie des Tastsinns wird u.a. die Spinne verwendet. Sie steht für vorsichtiges Tasten und feinmotorisches Geschick. (2)  Wir sind es gewohnt, mit der Hand Werkzeuge herzustellen und zu gebrauchen, um uns die Alltagswelt zu erschließen. Eines dieser Werkzeuge ist der Stift, der zum Schreiben dient und zu einem ungeheuren kulturellen Aufschwung führte. In der Anthropologie werden Kulturen mit und ohne Schriftzeugnisse unterschieden.

Trotz Anstrengungen der Produktgestalter und Designer, die technisch ausgereiften Schreibwerkzeuge durch optische sowie haptische Variationen und ausgefeilte Werbebotschaften im Kampf um Marktanteile attraktiv zu machen, zeichnet sich bereits eine neue Tendenz ab, von der befürchtet wird, dass sie die Handschrift allmählich verdrängen könnte. Es ist der Vormarsch der Computer und Touchscreens mit Hilfe derer wir unkompliziert und noch schneller Texte eingeben und bearbeiten können. Ein Wandel, der auch schon wieder in der Mitte unserer Gesellschaft angekommen ist und zu unserer Alltagskultur gehört. Ich glaube, die Handschrift wird sich dennoch eine Weile halten können, vielleicht wird das Schreiben mit der Hand eine Liebhaberei, genau wie das Lesen von gebundenen Büchern aus Papier. Für unsere Hände bietet das „alte Schreibmaterial“ jedenfalls spannendere Oberflächen als ein glatter, ebenmäßiger Touchscreen.

1         Vgl. Norbert Kortz, Aagje Ricklefs: Von der Veralltäglichung der Schreibgeräte, Mit Federmesser, Sprender und Schleifstein: Zum Umfeld des „Gensskil“. In: Populäre Schreibkultur, Texte und                         Analysen, hg. von Hermann Bausinger et al., Tübingen 1987. S. 200 f.

2         Vgl. Benthien, Claudia: Haut Literaturgeschichte – Körperbilder – Grenzdiskurse, Hamburg 2001. S. 222 ff.