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Rot als politische Signalfarbe

Die Deutschen gelten im Verhältnis zu den Franzosen eher als „brav“ und wenig kämpferisch. Das mag mit der „Obrigkeitshörigkeit“ zu tun haben, die man ihnen zuschreibt und die Lenin zu dem Ausspruch gebracht haben soll: „Wenn die Deutschen Revolution machen und einen Bahnhof stürmen wollen, dann kaufen sie vorher eine Bahnsteigkarte.“

Unsere Nachbarn geben allerdings auch eine schöne Kontrastfolie ab: Sie haben wohl schon deshalb ein anderes Verhältnis zu politischem Widerstand, weil sie sich bis heute positiv auf die Französische Revolution beziehen. Ende des 18. Jahrhunderts kämpften die Bürger gegen die Monarchie und für „Freiheit, Gleichheit, Brüderlichkeit“. Dieses Ideal der Französischen Revolution ist bis heute Wahlspruch der französischen Republik.

Ein weiteres kulturelles Erbe, das bis heute zum Selbstverständnis der „Grande Nation“ beiträgt, ist die Figur der Marianne, die noch heute auf vielen Plätzen in Frankreich als Statue zu finden ist. Marianne symbolisiert das einfache Volk im Kampf gegen die Obrigkeit. Ihre wohl populärste Darstellung ist das Gemälde „Die Freiheit führt das Volk“ des französischen Malers Eugène Delacroix aus dem Jahr 1830. Darauf sieht man Marianne auf den Barrikaden, umgeben von Toten beider Seiten, wie sie mit dem Gewehr in der einen und der Trikolore in der anderen Hand voranschreitet. Mit ihren nackten Füßen und der unbedeckten Brust erscheint sie inmitten dem Kriegsgetümmel als unwirkliche Gestalt, wie eine Göttin.

Eugène Delacroix: La liberté guidant le peuple

Eugène Delacroix: La liberté guidant le peuple (Die Freiheit führt das Volk)1

Der Name Marianne ist eine Kombination aus den beiden häufigsten französischen Frauennamen Marie und Anne, womit Marianne „eine einfache Frau aus dem Volk“ symbolisieren soll. Zugleich ist der Name sprachlich nicht weit entfernt von der ungleich älteren symbolisch-aufgeladenen Frauenfigur „Maria“, die als „Mutter Gottes“ für Reinheit und christliche Werte steht.
Das neue Symbol der Marianne konnte also an ein schon bestehendes und bei der Bevölkerung positiv etabliertes Symbol anknüpfen. Eine Form von „Symbolrecycling“, wie die Berliner Politikwissenschaftlerin Paula Diehl die Verwendung alter Symbole mit neuer Bedeutung bezeichnet, das in Zeiten des Umbruchs besonders oft festzustellen ist.2

Dieses „Symbolrecycling“ findet sich bei Marianne gleich in doppelter Form, denn neben der Frau selbst steht vor allem ihre Kopfbedeckung für ein politisches Programm: Marianne trägt auf den meisten Darstellungen eine rote Mütze mit einem kleinen Zipfel, der nach vorne in Richtung Stirn gebogen ist. Diese „phrygische Mütze“, die durch die französische Revolution auch als „Freiheitshut“ bekannt geworden ist, ist eine symbolische Anlehnung an jene Mützen, die römische Sklaven nach ihrer Freilassung erhielten.3

Flagge von Argentinien

Die argentinische Flagge beinhaltet bis heute das Symbol der phrygischen Mütze.4

Ähnlich den römischen Sklaven, die durch die Mütze ihre neu gewonnene Freiheit ausdrücken konnten, wollten auch die Revolutionäre frei sein von Unterdrückung und Fremdherrschaft durch die Monarchie, weshalb sich die Jakobiner bereits 1792 des alten Symbols bedienten. Rasch wurde die „Jakobinermütze“ ein universelles Symbol der Revolution5, weshalb sie auf vielen Darstellungen der französischen Revolution zu sehen ist. Als republikanisches Symbol sollte sie sich später auch auf dem amerikanischen Kontinent etablieren, als die lateinamerikanischen Republiken sich zwischen 1810 und 1820 von der spanischen Kolonialherrschaft befreiten.6 Daher ist die phrygische Mütze bis heute in den Wappen vieler südamerikanischer Länder enthalten, wie etwa in der Flagge von Argentinien, auf der zu sehen ist, wie zwei Menschen sich die Hände reichen und dabei auf einem Stab die phrygische Mütze tragen.

Mit der Etablierung der (roten) phrygischen Mütze als einem Symbol der Freiheit beginnt der Erfolg der Farbe Rot als politische Signalfarbe. Die rote Fahne als Zeichen der internationalen Arbeitersolidarität verbreitet sich schnell in ganz Europa, in Deutschland wird sie anlässlich der Deutschen Revolution von 1848 populär.

Der Erfolg der Fahne als Symbol begründet sich durch ihren hohen emotionalen Appellwert sowie ihre leichte Reproduzierbarkeit. Oft wurden schnell und spontan Kleidungsstücke, Bettlaken, Tischdecken oder Gardinen rot eingefärbt und damit zum politischen Symbol umfunktioniert.7

Sovietunion (UDSSR)

Die Flagge der Sovietunion (UDSSR)8

Als die rote Fahne im Jahr 1922 zur Staatsflagge der UDSSR und 1949 zum Banner der Volksrepublik China wurde, entwickelte sich das vormals revolutionäre Symbol zu einer Form von Herrschaftssymbolik. Somit konnten nun symbolische Protesthandlungen, die sich gegen die rote Fahne richteten, zum revolutionären Akt werden, etwa als im Juni 1953 als Zeichen des Protests gegen die DDR-Führung Demonstranten rote Fahnen verbrannten.

Die Nazis verkehrten die rote Symbolik besonders ins Negative, indem sie die Farbe als Mittel der Massenagitation für sich in Anspruch nahmen. Hitler war begeistert von der Wirkung der Farbe, wie die Schilderung einer kommunistischen Demonstration in seinem Pamphlet „Mein Kampf“ dokumentiert: „Ein Meer von roten Fahnen, roter Binden und roter Blumen gab dieser Kundgebung, an der schätzungsweise hundertzwanzigtausend Personen teilnahmen, ein schon rein äußerlich gewaltiges Aussehen. Ich konnte selbst fühlen und verstehen, wie leicht der Mann aus dem Volke dem suggestiven Zauber eines solchen grandios wirkenden Schauspiels unterliegt.“9a
Die Aneignung der Farbe folgte allerdings nicht nur aufgrund ihrer farblichen Wirkung, sondern auch um die Arbeiter mit der ihnen bereits positiv vertrauten Farbe zu gewinnen.9b

Sowjetisches Plakat mit der Roten Fahne anlässlich des 5. Jahrestages der Oktoberrevolution

Sowjetisches Plakat mit der Roten Fahne anlässlich des 5. Jahrestages der Oktoberrevolution10

Heute benutzen zahlreiche sozialistische und ehemals sozialistische Parteien die Farbe Rot, was die Aussagekraft der Farbe ohne weiteren Kontext stark verringert. So sind es in Deutschland in den Parlamenten sowohl SPD als auch Die Linke, die die Farbe für sich in Anspruch nehmen, aber auch DKP und MLPD verwenden das traditionelle Rot der Arbeiterbewegung, in deren Tradition sie sich offenbar sehen.

Das Logo der schweizer Partei der Arbeit

Das Logo der schweizer Partei der Arbeit

Nicht nur in Staatsflaggen wird das ursprünglich für den Erfolg der Farbe so wichtige Symbol der phrygischen Mütze bis heute weiterverwendet, die Schweizer „Partei der Arbeit“ benutzt sie sogar als Logo und kombiniert das traditionelle Symbol mit der Schweizer Flagge: Dazu haben die Schweizer an der Stirn-Seite ihrer roten phrygischen Mütze ein kleines weißes Schweizer Kreuz angebracht. Damit schaffen es die Eidgenossen die Symbolik der „Freiheitsmütze“ mit der Symbolik der Schweizer Flagge (weißes Kreuz auf rotem Grund) zu verbinden.

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