Schlagwort-Archive: Mode

Tattoos – Kunst oder versteckte Sprache? – Teil 1

 

Quelle (Zugriff: 26.03.2017): http://monk.com.ua/images/articles/kriminalnie-tatuirovki-sovetskogo-period_1.jpg

Schon als kleines Kind wurde mir eindringlich erklärt, dass tätowierte Menschen, egal mit welchem Tattoo, gefährlich sein können, weil sie zur kriminellen Welt gehören können. Ob in Gesprächen zwischen Erwachsenen oder in TV-Sendungen, fast immer wenn Täter gesucht wurden, wurden auch seine Tattoos erwähnt.

In den Zeiten der UdSSR wurde die Anwesenheit jeglicher Körperbilder von Jung und Alt mit Kriminalität assoziiert, Weiterlesen

“This is fucking awesome” – Second-Hand als Modephänomen

Coppin‘ it, washin‘ it, bout to go and get some compliments // Passin‘ up on those moccasins someone else’s been walkin‘ in

[…]

I’m gonna pop some tags // Only got twenty dollars in my pocket // I – I’m – I’m hunting, looking for a come up // This is fucking awesome

[Auszug aus Thrift Shop – von Macklemore und Ryan Lewis][1]

 

Macklemore und Ryan Lewis müssen beim Shoppen vermutlich keine Preisschilder mehr abreißen. Thrift Shop ist eine Hommage an den Gebrauchtwarenladen, gleichzeitig eine Kritik am Markenfetischismus und der Modeindustrie – und irgendwie auch eine ironische Abhandlung über den Second-Hand-Style und seine gegenwärtige Konjunktur. Was hat es damit auf sich?

Was Second-Hand zur Mode macht…

Der Handel mit gebrauchten Textilien ist nichts Neues: Kleider wurden schon immer mehrfach aufgetragen und, wenn sie dazu nicht mehr gut genug waren, umgestaltet und wiederverwendet. Es muss aber unterschieden werden zwischen der einfachen Wiederverwendung von Kleidern und dem bewussten, modisch-intendierten Zusammenstellen eines Second-Hand-Looks.[2] Second-Hand als Modeerscheinung bezeichnet einen Stil, dem man sein Aus-Zweiter-Hand-Sein ansehen soll. Den Stücken, die sichtlich alt oder gebraucht sind, wird ein besonderer ästhetischer Wert zugeschrieben. Ihre Patina verleiht ihnen Authentizität, die den Individualismus-Drang ihrer Träger*innen stillt.[3] Second-Hand als Mode gehört zu den Retro-Phänomenen, die gerne als postmodernes Symptom gedeutet und als Ausdruck der postmodernen Ideenlosigkeit gelesen werden.[4] Eine Kritik, die das kreative Potential der Second-Hand-Mode und vor allem derjenigen, die sie sich zu Eigen machen, völlig außer Acht lässt. Forscher*innen wie Sabine Trosse gestehen dem Experimentieren mit den geschichtsträchtigen Stoffen sogar ein dekonstruktivistisches Potential zu: Die Träger*innen schaffen textile Tatsachen, die teilweise den herrschenden Diskursen entgegengesetzt und ihnen zuwider gedacht sind.[5] Mode als Praxis ist wirkmächtig, sie ist – wie Gertrude Lehnert konstatiert – eine ästhetische Arbeit am Selbst und an unserer alltäglichen Welt, sie ist ein „Spiel mit Grenzen und Möglichkeiten“.[6]

Wie Second-Hand in Mode kam…

Die Grenzen des vermeintlich ‚guten Geschmacks’ sprengen und so gegen eingefahrene Gesellschaftsstrukturen protestieren wollten die Hippies der 1960er Jahre. Sie trugen Second-Hand-Stücke, um gegen die biedere Kleiderordnung aufzubegehren und drückten damit ihren Unmut an Konsum und Gesellschaft aus. Alte Militäruniformen kombiniert mit bunten Seidenblusen aus den 1920er und 1930er Jahren, Unterröcke und Wolljacken – das war der Look, der Second-Hand erstmals zur Mode machte. Die Beatles brachten den Style mit dem Albumcover von Stg. Pepper in die Jugendzimmer, die Jugend ihn auf die Straße. Der Second-Hand-Look war mehr als nur textiler Körperschutz – er formulierte eine Botschaft und war Ausdruck einer Bewegung.

Bunt und unangepasst - dieses Image hat Second-Hand-Mode seit den 1960ern.

Bunt und unangepasst – dieses Image hat Second-Hand-Mode seit den 1960ern.

Warum Second-Hand in Mode ist…

Das Rebellische ist eng mit der Second-Hand-Mode verquickt: Nach den Hippies waren es die Punks, die mit und in alter, kaputter Kleidung protestierten. Das bewusste Down-Dressing, das textile Kokettieren mit der Armut – oder zumindest deren vermeintlichem Antlitz – findet sich als Stil-Element auch im Grunge der 1990er Jahre und im Used-Look der 2000er. Noch heute ist das Image des Rebellischen, des Subkulturellen und Individuellen mit der Second-Hand-Kleidung verknüpft. Man könnte – mit Pierre Bourdieu – auch sagen: über die Jahre hat sie ein gewisses kulturelles Kapital angehäuft, auf das ihre Träger*innen heute zurückgreifen. Diese zeigen durch die Wahl eines Second-Hand-Kleidungstücks, dass sie um die Geschichte und Geschichtlichkeit der Mode wissen, mit ihr umgehen können und sich gar ironisch dazu positionieren – ganz so wie Macklemore.

 

[1] Musikvideo zu Macklemore & Ryan Lewis: Thrift Shop. URL: https://www.youtube.com/watch?v=QK8mJJJvaes (Zugriff: 31.03.2016).

[2] Angela McRobbie: Second-Hand Dresses and the Roleif the Ragmarket. In: Dies. (Hg.): Postmodernism and Popular Culture. London 1994, S. 135-154, hier S. 140: „Second-hand style continually emphasizes its distance from second-hand clothing.“

[3] Heike Jenß: Sixties Dress Only. Mode und Konsum in der Retro-Szene der Mods. Frankfurt am Main 2007, hier S. 144: „Der Trendforscher Matthias Horx spricht von einem übergreifenden Retro-Trend als einer spezifischen Stimmung, quasi einem ‚Retro-Mood’ in der Gesellschaft, in der er eine übergreifende Sehnsucht nach Echtheit und Authentizität verborgen sieht.“

[4] Dies., hier S. 10.

[5] Sabine Trosse: Geschichten im Anzug. Der Retro-Trend im Kleidungsdesign. Münster / New York / München / Berlin 2000, hier S. 164.

[6] Getrud Lehnert: Mode. Theorie, Geschichte und Ästhetik einer kulturellen Praxis. Bielefeld 2013, hier S. 93.

Zur Inaktualität der Mode

Aktuelle Mode im Visier der (post-)strukturalistischen Zeichentheorie

Die aktuelle Mode präsentiert sich als etwas Neues und Einzigartiges. Ein Modeartikel scheint nur dann relevant zu sein, wenn er sich von der Mode aus den Vorjahren abhebt. Warum man dennoch das Gefühl nicht loswird, weshalb einem die Schnitte, Muster oder Farbkombinationen der aktuellen Mode so bekannt vorkommen, der findet im Poststrukturalismus eine Antwort darauf. Für (Post-)Strukturalisten sind Kleidungsstücke Teil eines Zeichensystems.  In diesem System sind Bilder[1] als Codes deutbar. Diese Codes sind unverzichtbare Grundlagen des sozialen Lebens. Sie schaffen Eindeutigkeit und tilgen Unbestimmtheiten im Alltag. Die Codes stiften Ordnung in der Gesellschaft. Besonders in den sozialen Medien, auf Instagram oder Facebook, verwandeln sich die Modeartikel in Zeichen und Bilder. Diese Bilderflut wird von dem französischem Soziologen Jean Baudrillard als eine fiktionale Überspitzung beschrieben.  Für Baudrillard ist es in diesem Zustand der Verbildlichung und der andauernden Bilderflut für den Betrachter zunehmend schwieriger zwischen Bild und Wirklichkeit zu unterscheiden. Baudrillard beschreibt diesen Dauerzustand der Verbildlichung als eine Simulation der Gegenwart: „Die Mode ist eine bloße Simulation der Unschuld des Werdens. Die Mode ist eine bloße Wiederverwertung (recyclage) des Zyklus‘ der Erscheinungen.[2]

 

Simulakren: Ordnungen für den hyperrealen Alltag

Seine Theorie der Simulation beschreibt Baudrillard in drei Phasen, auch drei Zeitalter genannt, welche das Zeichen durchlaufen muss. Diese vorangeschrittenen Zeitalter des Zeichens nennt er die drei Ordnungen des Simulakrums. Baudrillard definiert Simulakren wie folgt: „Simulakren sind wirklichkeitsmächtige Kulturmuster, mit denen die soziale Welt semantisch beschrieben und vorgestellt wird […]. Ein Simulakrum ist ein abstraktes System von Zeichen, das in einer spezifischen Beziehung zur materiellen Welt steht und ein Konstruktionsmodell von Wirklichkeit bildet, aus dessen Sinnfundus Welt symbolisch erzeugt und gedeutet, abgestützt und reproduziert wird.[3]

Modemuseum in Ludwigsburg

Bild 1: Privataufnahme im Modemuseum in Ludwigsburg

Die erste Ordnung der sinnstiftendend Simulakren nennt er die Imitation und datiert sie auf das Zeitalter der Renaissance und des Barocks, also auf den Beginn der europäischen Neuzeit. Mit der Imitation datiert  er zugleich den Wendepunkt zwischen vormodernen und modernen Zeichen bzw. zwischen zweiter und dritter Stufe des Bildes. Die zweite Ordnung, die Produktion, legt er auf das 19. Jahrhundert sowie die erste Hälfte des 20. Jahrhunderts. Die dritte Ordnung betitelt  er als Simulation und ist für ihn bestimmend für die Nachkriegszeit und Gegenwart.

Unser Zeitalter der Simulation wird überall eröffnet durch die Austauschbarkeit von ehemals sich widersprechenden Begriffen. Für die Simulakren in der Mode bedeutet dies, dass das Schöne und das Hässliche oder das Neue und das Alte austauschbar sind. Die Zeichen haben sich für Baudrillard von ihrem Bezeichneten gelöst und sind referenzlos geworden. Die Zeichencodes der Mode und der Medien gäben nur noch vor, soziale Codes zu sein, welche die Ordnung in den Alltag beibehalten. In Wahrheit dagegen haben sie nur die Absicht, das Gesamtsystem der Gesellschaft aufrechtzuerhalten. Die Zeichen simulieren eine künstliche Realität. Eine Hyperrealität entsteht, welche weitaus realer die Realität abbildet, als der eigentliche Alltag sie jemals abzubilden vermag.

Screenshot des Artikels "Neuer Trend Hochwasser-Schaghose".

Bild 2: Screenshot des Artikels „Neuer Trend Hochwasser-Schaghose“ auf Elle.de

(In-)aktuelle Mode

Für Baudrillard steht fest: „Die Mode ist […] inaktuell. Die Mode setzt immer eine tote, abgestorbene Zeit von Formen voraus, also ein [sic!] Art von Abstraktion, durch die  die Formen […] zu effektiven Zeichen werden, die – gewissermaßen durch eine Verkehrung der Zeit – zurückkehren können und die Gegenwart mit ihrer Inaktualität besetzen, das heißt  mit dem ganzen Charme der Wiederholung von Vergangenem, die der Entwicklung von Struktur entgegengesetzt ist. […]Die Mode bezieht ihre Frivolität aus dem Tod und ihre Modernität aus dem déja-vu.[4] Mode war und ist inaktuell. Sie besticht durch eine Ästhetik der Wiederholung in unserem gegenwärtigen und zukünftigen Alltag.

 

Fußnoten:

[1] Im Beitrag werden Zeichen und Bild als Synonyme verwendet.

[2] Jean Baudrillard: Der symbolischer Tod und Tausch. München 1982, hier S.135.

[3] Ebd., S. 79.

[4] Ebd., S. 134.

 

Literaturnachweis:

Baudrillard, Jean: Der symblische Tod und Tausch. München 1982.

Bildnachweis Bild 2:

http://www.elle.de/cropped-flare-so-cool-sind-die-neuen-hochwasserjeans-258031.html [Letzter Zugriff: 01.04.2016]

„Wear the black!“

Farbe als Kommunikationsmittel in der Mode anhand des Schwarz-Weiß-Dualismus in einer Szene aus der Serie „House of Cards“.

Die Szene dauert nur ein-zwei Minuten, das Telefonat wohl noch weniger: „Wear the black!“, sagt ihre Mutter zum Abschied zu ihr. Claire, die gerade auflegt, wird sich für das elfenbein-farbene Kleid entscheiden. Es ist eine Entscheidung mit Symbolkraft, aber machen wir erst einmal einen Schritt zurück.

Selten war das internationale Serienpublikum in den letzten Jahren so angezogen von einem Schauspielpaar wie von den Figuren Frank und Claire Underwood aus der amerikanischen Serie „House of Cards“. Gespielt von Kevin Spacey und Robin Wright, die für ihre Leistungen unter anderem den Golden Globe für die besten Serienschauspieler bekamen, sind die Underwoods ein Duo mit Sprengkraft. Sie haben sich gemeinsam von „unten“ bis an die Spitze des amerikanischen Politikestablishments gekämpft. Sie ehemalige Chefin einer wohltätigen Stiftung, UN Botschafterin und nun First Lady, er ehemaliger Kongressman und nun Präsident der Vereinigten Staaten von Amerika. Nach drei Staffeln gemeinsamen Kampfes bekommt die Geschichte einen entscheidenden Wendepunkt. Es kriselt in der Ehe der Underwoods. Längst sind sie nicht mehr eine Einheit oder Verbündete, sie sind Einzelkämpfer. Claire wirft ihrem Mann vor, in letzter Zeit nur noch sich selbst stärker gemacht und nicht mehr für ein gemeinsames Ziel gekämpft zu haben: Claire will ihn verlassen. Sie begibt sich nur noch für Gegenleistungen in die Nähe ihres Mannes Frank. In der weiteren Folge der Serie steht die jährliche Ansprache des Präsidenten an, und Frank braucht die Unterstützung seiner Frau. Längst steckt er in einem knappen Wahlkampf um eine zweite Amtsperiode. Im Gegenzug verspricht Frank, die Bestrebungen Claires um einen Sitz im Kongress zu unterstützen. So kommt Claire Underwood (wieder) in die Situation, ein Kleid für einen besonderen Anlass auswählen zu müssen.

Die Figur Claire Underwood ist stets klassisch, elegant und nicht zu auffällig gekleidet, wie es der Kurier beschreibt.[1] Das hat einerseits mit ihrer offiziellen Position als First Lady und ihrem sozialen Hintergrund (wohlhabende texanische Familie) zu tun, als auch ihrer Stellung innerhalb ihrer Ehe. Claire trägt nie ein zu grelles, gar zu farbiges, noch zu aufreizendes Kleid. Doch heute wird sie aus dem Schatten ihres Ehemannes heraustreten und ihr Kleid wird eine Botschaft senden.

Das Gespräch mit ihrer Mutter ist kurz. Claires Mutter konnte ihren Schwiegersohn noch nie leiden und macht daraus keinen Hehl. Sie unterstützt Claire in ihren Bemühungen für eine Kandidatur um einen Kongresssitz und nutzt dabei jede Möglichkeit, ihre Tochter von ihrem Ehemann zu entfernen.

Bildausschnitt aus House of Cards Staffel 4 Episode 2. © Netflix Inc.

Bildausschnitt aus House of Cards Staffel 4 Episode 2. © Netflix Inc.

Claire hat nun die Wahl zwischen einem weißen oder einem schwarzen Kleid. „Wähle das schwarze Kleid.“ Doch was Claires Mutter wirklich sagt ist: Mach dich stark, Claire. Hier geht es um Farbpsychologie. Wir verbinden Farben stets auch mit Emotionen und Erinnerungen. Farben können uns unterbewusst stark beeinflussen. Sie sind ein subtiles Kommunikationsmittel. So ist es nicht überraschend, dass für Die Presse unter anderem die „kühlen Farben von In- und Exterieur“ auffällig sind, die zu dem „ständig unter Hochdruck“ befindlichen Frank Underwood im schönen Kontrast stehen.[2] Und auch im wahren Politikleben zeigt sich anhand der Kleiderwahl oft so manches Signal. Beliebtes Kleidungsmittel zur Überbringung der Signale bei den überwiegend männlichen Protagonisten der deutschen Politik: die Krawatte. So titelt nach den Landtagswahlen 2016 die Süddeutsche Zeitung zu den aktuellen Koalitionssondierungen im Land Baden-Württemberg: „Baden-Württemberg – Die Sprache der Krawatten“[3] und analysiert dabei die Farbmuster der Binder. Dass es sich bei diesen Bindern um ein mächtiges Instrument handelt, zeigte sich unter anderem 2011, als eine Diskussion um eine Krawattenpflicht bei den Schriftführern im Bundestag entbrannte[4], aber auch als der griechische Ministerpräsident Alexis Tsipras während der griechischen Finanzkrise ankündigte, erst wieder eine Krawatte zu tragen, wenn die Krise vorbei sei. Dass ihm Anfang 2015 vom italienischen Ministerpräsidenten Matteo Renzi eine italienische Krawatte in neutralem Grau geschenkt wurde, kann getrost als Signal gewertet werden.[5] „Eine Krawatte ist also nicht nur eine Krawatte, sie steht für etwas.“[6]

Die Natur nutzt ebenfalls Farben zur Signalüberbringung. So ist der Fliegenpilz nicht umsonst im Kontrast zum Grün des Waldes rot gekleidet. Im Tierreich gibt es einige Arten wie den Erdbeerfrosch, die durch ihre für ihre Umgebung untypische Farbe Gefahr beziehungsweise Giftigkeit signalisieren. Auch wir Menschen nutzen dies unter anderem für unser Verkehrssystem, Kennzeichnung von Chemikalien beziehungsweise Kenntlichmachung von Aufgaben und Rechten. Der Designer Otl Aicher hat zum Beispiel mit verschiedenen Farben von Anzügen verschiedene Aufgabenbereiche des Personals[7] während der Olympischen Sommerspiele 1972 in München kenntlich zu machen versucht. So war das Servicepersonal gelb, die Ordner in blau gekleidet.[8] Durch den „Verzicht auf Gold und das Spektrum zwischen Rot, Purpur und Violett, die für ihn als Farben weltlicher oder kirchlicher Macht kontaminiert waren (Aicher sprach von den „Farben der Diktatoren“)“, wollte er ein farbpsychologisch möglichst neutrales System schaffen. Positiv konnotierte Farben (Hellblau, Hellgrün, Gelb, Dunkelblau, Dunkelgrün und Orange), sollten im Kontrast zu den letzten Olympischen Spielen in Deutschland (1936) stehen und ein weltoffenes und demokratisches Bild Deutschlands zeichnen. [9][10]

Für Claires Kleiderwahl haben sich die Drehbuchschreiber den ultimativen Dualismus von schwarz und weiß ausgesucht. Weiß als Zeichen des Lichts, des Friedens (vgl. weiße Flagge), der Unschuld und Reinheit (vgl. weißes Hochzeitskleid) und des Neubeginns (vgl. weißes, unbeschriebenes Blatt). Schwarz als Zeichen der Nacht, der Macht und Stärke (vgl. schwarze Anzüge in einer heteronormativen Gesellschaft), aber auch des Endes, gar Todes. Dass es bei House of Cards vor allem um Macht und Stärke, Intrigen geht, wird ebenfalls sofort klar, wenn zum Beispiel der Spiegel die Serie als einen „düsteren Politkrimi“[11] bezeichnet oder der Focus von den „dunklen Machenschaften“[12] der Underwoods spricht.

Im Sprachgebrauch ist uns die Kombination „schwarz-weiß“ als Idiom bekannt. Schwarz-weiß-Malerei bezeichnet eine undifferenzierte Sichtweise beziehungsweise starke Polarisierung. Sie werden neben grau auch als „unbunte“ Farben klassifiziert. Diese bestehen nur aus Licht oder der Abwesenheit von Licht und weisen keinen Farbton oder Sättigung auf. Dadurch wirken sie rudimentär, ursprünglich, neutral und lassen keine Zwischentöne oder Nuancen zu. Trotzdem haben wir Menschen ihnen unterschiedliche Bedeutungen gegeben. Goethe hat in seiner Farbenlehre folgende emotionale Zuwendungen zu beiden Farben formuliert: Weiß steht für Reinheit, Sauberkeit, Ordnung, Unschuld, Vollkommenheit, Beruhigung. Schwarz steht für Tod, Trauer, Einengung, Abgeschlossenheit, pessimistisch, hoffnungslos, schwer.[13]

Claires Mutter weiß um diese Bedeutungen und empfiehlt ihrer Tochter ein Kleid, ohne es vorher gesehen zu haben, nur anhand der Farbe.

Claires Mutter: „What are you gonna wear tonight? […]“

Claire: „Well its between black and ivory and to tell you the truth its ivory. Its so beautiful.“

Claires Mutter: „Ohh for god sackes, don´t wear ivory. Even with your figure, it´ll accentuate all the wrong places.“[14]

Claires Mutter: „Was wirst du heute Abend tragen? […]“

Claire: „Entweder schwarz oder elfenbein-farben, aber eher elfenbein-farben. Es ist so schön.“

Claires Mutter: „Um Gottes Willen, trag nicht das Efenbein-farbene. Selbst mit deiner Figur betont es alle falschen Stellen.“

„[…] Es betont alle falschen Stellen“, dass damit nicht die Figur gemeint ist, darauf wird sogar im Halbsatz davor hingewiesen. Das schwarze Kleid uniformiert. Später werden viele Anzugträger um sie herum stehen, das weiß Claire Underwood. Ohne Zweifel ist Schwarz hier die beliebteste Farbe. Sie macht stark, individuell wie kollektiv. Claire will ein Signal aussenden. Dass sich die Figuren selbst auch um die Psychologie und Bedeutung der Farben im Klaren sind, zeigt eine Szene aus der zehnten Episode der dritten Staffel, in der sich Claire ihre Haare wieder blond färbt, nachdem eine Umfrage ergeben hat, dass dies bei der Bevölkerung die beliebteste Haarfarbe für sie sei. Sie will also auch hier mit ihrer Farbwahl Signale aussenden und Sympathien gewinnen. Doch zurück zur Rede zur Lage der Nation und Claires Kleiderwahl: Claire will nicht nur als starke und selbstbewusste First Lady kontrastreich aus der Masse heraus stechen, sie will Frank auch ihren guten Willen demonstrieren, denn sie sind sich einig: kommt sie zur Rede, unterstützt er ihre Kampagne zur Erlangung eines Sitzes. Sie trägt also Weiß. Frieden, Reinheit, Neuanfang. Frank wird dieses Zeichen nicht lesen. Stattdessen wird er während seiner Ansprache die Kandidatur einer anderen Kandidatin verkünden. Eine brutal unabänderliche Wahl, die sich in den folgenden Szenen und Folgen auch in Claires Kleiderwahl widerspiegeln wird. Als sie nach der Rede ihres Mannes wieder ins Weiße Haus[15] zurückkehrt, trägt sie einen Mantel in schwarzer Farbe. Das weiße Kleid ist kaum noch zu sehen, und auch ihr weißes Tuch trägt sie zur Hälfte geknüllt in ihrer Hand. Das Weiß ist fest in Ihrer Hand – gedrückt, gestaucht, zerknüllt, auch das könnte als ein subtiles Signal verstanden werden. Es ist Abend (=dunkel), der Privattrakt des Präsidentenpaares ist nur spärlich beleuchtet. Sie steht vor ihm, aufrecht, geradeaus blickend. Die Körpersprache von Spacey und Wright in diesem Moment lässt den Boden erbeben. Alles ist in diesem Moment von schwarz umhüllt, die Gemüter, der Schatten, der über der Szene liegt und auch Claire Underwoods Kleid.

Bildausschnitt aus House of Cards Staffel 4 Episode 2. © Netflix Inc.

Bildausschnitt aus House of Cards Staffel 4 Episode 2. © Netflix Inc.


Beitragsbild: Bildausschnitt aus House of Cards Staffel 4 Episode 2. © Netflix Inc.

[1] http://kurier.at/lebensart/style/der-stilvolle-snob-die-serie-house-of-cards-wird-zur-mode-inspiration/116.444.450/slideshow

Hier kann auch eine Übersicht der Kleider von Claire Underwood begutachtet werden, die meist in gedeckten dunklen Tönen oder weiß gehalten sind.

[2] http://diepresse.com/home/blogs/phaenomedial/4888924/House-of-Cards_Erster-Trailer-zu-Staffel-vier-

[3]http://www.sueddeutsche.de/politik/baden-wuerttemberg-die-sprache-der-krawatten-1.2912047

[4] http://www.welt.de/kultur/article12278840/Wer-die-Krawatte-nicht-ehrt-macht-keinen-Aufstand.html

[5] http://www.faz.net/aktuell/wirtschaft/tsipras-in-rom-eine-krawatte-fuer-bessere-zeiten-13407519.html

[6] http://www.faz.net/aktuell/stil/mode-design/der-niedergang-der-krawatte-und-ihre-gruende-13961387.html?printPagedArticle=true#pageIndex_2

[7] „Selbst die Uniformen des Personals der Olympischen Spiele folgten (bis auf die Bundeswehr) der Corporate Identity.“ http://www.muenchenarchitektur.com/news/25-kunst-kultur-design/16876-otl-aicher-design-olympia-72

[8] http://www.zeit.de/1972/11/vorbild-courreges

[9] http://www.muenchenarchitektur.com/news/25-kunst-kultur-design/16876-otl-aicher-design-olympia-72

[10] Die Anzüge des Olympiapersonals von 1972 können unter anderem in der aktuellen Ausstellung des Ludwig-Uhland-Instituts im HfG-Archiv in Ulm betrachtet werden. Die Ausstellung „Geschmackssachen. Normen, Formen, Kaffeekanne.“ ist noch bis Mitte Mai 2016 zu sehen und thematisiert unter anderem Geschmack als Produkt von Normen. www.geschmackssachen-ausstellung.de

[11] http://www.spiegel.de/netzwelt/web/house-of-cards-intro-von-washington-nach-wien-verlegt-a-976758.html

[12] http://www.focus.de/kultur/kino_tv/house-of-cards-house-of-cards-so-kommt-staffel-drei-an_id_4509346.html

[13] www.zeichnen-lernen.net/kunstkurse/farbenlehre.php

[14] House of Cards. Staffel 4 Episode 2

[15] Zu beachten ist hier auch, dass nicht umsonst das Haus des Präsidenten weiß ist.

 


 

Quellen

 

  • Links zuletzt abgerufen am 22. März 2016
  • https://agadugu.wordpress.com/2010/11/16/farbsymbolik-–-bedeutung-der-farben-iv-schwarz-und-weiss/
  • http://www.faz.net/aktuell/stil/mode-design/der-niedergang-der-krawatte-und-ihre-gruende-13961387.html?printPagedArticle=true#pageIndex_2
  • http://www.faz.net/aktuell/wirtschaft/tsipras-in-rom-eine-krawatte-fuer-bessere-zeiten-13407519.html
  • http://focus.de/kultur/kino_tv/house-of-cards-house-of-cards-so-kommt-staffel-drei-an_id_4509346.html
  • http://kurier.at/lebensart/style/der-stilvolle-snob-die-serie-house-of-cards-wird-zur-mode-inspiration/116.444.450/slideshow
  • http://www.muenchenarchitektur.com/news/25-kunst-kultur-design/16876-otl-aicher-design-olympia-72
  • http://diepresse.com/home/blogs/phaenomedial/4888924/House-of-Cards_Erster-Trailer-zu-Staffel-vier-
  • http://www.spiegel.de/netzwelt/web/house-of-cards-intro-von-washington-nach-wien-verlegt-a-976758.html
  • http://www.sueddeutsche.de/politik/baden-wuerttemberg-die-sprache-der-krawatten-1.2912047
  • http://www.welt.de/kultur/article12278840/Wer-die-Krawatte-nicht-ehrt-macht-keinen-Aufstand.html
  • http://www.zeichnen-lernen.net/kunstkurse/farbenlehre.php
  • http://www.zeit.de/1972/11/vorbild-courreges

 

  • House of Cards. Staffel 4 Episode 2

Die Qual der Zahl – Was Konfektionsmode mit sich bringt

Eigentlich soll sie das Kleiderkaufen erleichtern, die Konfektionsgröße. Gefällt mir ein Teil, muss ich nur noch meine Größe auswählen und das Ding wird passen. Soweit zur Theorie. In der Praxis sieht das anders aus: Eine Studie eines Online-Portals besagt, dass 93% der Frauen in Deutschland mehrere Größen im Schrank haben.[1] In die üblichen Bekleidungsgrößen von 36 bis 42 passen angeblich nur 21%.[2]

SuperSkinny

Ein Grund dafür: Die Textil-Hersteller in Europa können die Maße für eine Größe selbst definieren. Ergebnisse aus regelmäßig durchgeführten Reihenmessungen geben zwar Bereiche für z.B. Brust-, Taillen- und Hüftumfang vor. Dies sind aber keine verbindlichen Normen. So können die Kleider von Marke zu Marke sehr unterschiedlich ausfallen. Dazu kommt, dass dieses Größensystem international nicht einheitlich ist: In Italien ist eine deutsche 36 eine 40, in Frankreich eine 38.

Diese Erfahrung macht auch eine junge Frau in einem Magazin-Beitrag.[3] Bei dem vorgestellten Experiment probiert sie Oberteile und Hosen aus verschiedenen Geschäften an, jedes Mal in Größe 38. Die Mode-Expertin legt das Maßband an, um zu schauen, um welche Größe es sich laut Reihenmessung-Definition tatsächlich handelt. Das Resultat: Die Kleider sind in den meisten Fällen zu eng und entsprechen laut Zentimetermaßen nicht den Angaben einer Größe 38. Ärgerlich, wenn man sich darauf verlässt, aber im Grunde leicht lösbar, indem die junge Frau es in Zukunft tendenziell mit einer Größe größer probiert.

Ist doch nur eine Zahl! – oder?

Die Rhetorik des Magazin-Beitrags deutet etwas anderes an: „Jetzt kommt der Albtraum jeder Frau – die Hose geht gar nicht zu“ und „ausgerechnet eine Hose in Größe 42 passt Marie am besten“, ist aus dem Off zu hören. „Jetzt sei bitte nicht frustriert“, kommentiert das die Mode-Expertin.

Welche Größe passt? Und wie fühlt sich das an?

Nicht nur: „Welche Größe passt?“, sondern: „Wie fühle ich mich damit?“

Marie passt nicht in die Hose und ihr erster Gedanke ist: „Was stimmt nicht mit meinem Körper?“ Die Konfektionsgröße dient damit nicht nur der Orientierung im Laden, sondern ist ein Mittel zur Selbsteinschätzung und Selbstvergewisserung über Körperformen und -proportionen. Denn es wird von einem Standard ausgegangen. „Individualität und Unverwechselbarkeit der Körperformen werden als Abweichung und nicht als Bereicherung gesehen“, erklärt die Soziologin Waltraud Posch in ihrem Buch „Körper machen Leute. Der Kult um die Schönheit.“ [4] Woher kommt dieser Gedanke: Von einem bestimmten Schönheitsideal, von dem sich die Praxis des Einheitslooks abgeleitet hat? Oder hat sich das Ideal aus den Praxen entwickelt?

Einheitliche Konfektionsgrößen gibt es in Deutschland seit 1900, als von Einzelfertigung auf industrielle Produktion umgestellt wurde. Trotzdem fand ein Schneider damals Beschäftigung, denn Anpassungen galten als völlig normal. Seit 1957 werden in Deutschland regelmäßig Reihenmessungen von den Hohensteiner Instituten durchgeführt. Die Durchschnittswerte sollen Anhaltspunkte dafür geben, wie Kleidung für die Menschen in Deutschland geschnitten sein sollte, damit sie möglichst vielen passt. Genau das gleiche macht auch das Deutsche Institut für Normierung, um die Höhen von Türrahmen, Schreibtischen und Notfallschaltern für möglichst viele Menschen möglichst angenehm zu gestalten. Auch hier ist nicht garantiert, dass dies gelingt, schließlich handelt es sich nur um statistische Werte. Doch in diesen Fällen würde man seinen Körper bei Abweichungen viel weniger in Zweifel ziehen als bei der Kleidung. Das Einordnen in Konfektionsgrößen umfasst aber mehr als eine Zahl, speziell für Frauen. Kleinere Größen sind positiver konnotiert als große Größen. Eva Hillers, Dozentin für Textil- und Bekleidungstechnik an der Hochschule Niederrhein erklärt, dass viele Unternehmen ihre Ware grundsätzlich kleiner auszeichnen, damit der Käufer sich „besser fühle“, „weil da eine kleinere Größe draufsteht“.[5]

Schlanksein – sexy oder ungesund?

In diesen Praktiken verdeutlicht sich das Schlankheitsideal der heutigen Zeit. Dieses hat sich aber ebenfalls erst mit der vorletzten Jahrhundertwende ergeben. Davor galt deutliche Schlankheit als kränklich.[6] In den 1960er-Jahren wurde das Schlankheitsideal durch das Aufkommen von Diät-Industrie und Massenmedien forciert. Einen Höhepunkt fand das bis jetzt in den 2000ern mit dem Hollywood-Trend „Size Zero“ – eine Marke, die bald für sich selbst stand und nicht mehr hinterfragt wurde. Übersetzt ins Deutsche bedeutet sie Größe 32 – eine Größe, die normalerweise von etwa 12-jährigen Mädchen getragen wird, nicht aber von erwachsenen Frauen. Trotzdem war „Size Zero“ damals Ausdruck dafür, es zur perfekten Figur geschafft zu haben.

Dabei stand die Größe für sich selbst ohne Relationen, etwa, wie groß diejenige Person war oder wie alt. Denn der Körper verändert sich automatisch im Laufe eines Lebens, sodass Änderungen bei der Konfektionsgröße nicht nur wahrscheinlich, sondern auch gesund sind. Diese Dynamiken werden bei solchen „Zahlendebatten“ jedoch komplett ausgeblendet. Glück und Wohlbefinden werden von bestimmten Maßen abhängig gemacht. Doch dabei läuft man Gefahr, auf einen Etikettenschwindel hereinzufallen.

[1] Myriam Siegert: Der Frust mit der Klamotte. In: Abendzeitung München, 01.03.2013 15:49 Uhr. http://www.abendzeitung-muenchen.de/inhalt.konfektionsgroessen-der-frust-mit-der-klamotte.a9792bd1-7323-4c9c-b96c-1a93c11c1622.html Zugriff: 11.01.2016 10:28 Uhr.

[2] Quarks & Co: Mensch nach Maß? Von DIN-Normen und Körpergrößen, S.15. http://www.wdr.de/tv/applications/fernsehen/wissen/quarks/pdf/Q_DIN.pdf Zugriff: 29.02.2016 13:33 Uhr.

[3] http://web.de/magazine/geld-karriere/echte-kleidergroessen-30945640

[4] Waltraud Posch: Körper machen Leute. Der Kult um die Schönheit. Frankfurt a.M. 1999, S.74.

[5]Nicole Scherschun: Europa im Größenwahn.09.03.2009 http://www.dw.com/de/europa-im-gr%C3%B6%C3%9Fenwahn/a-4083395 Zugriff:11.01.2016 11:17 Uhr.

[6] Vgl. Posch 1999, S.138-144.