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“This is fucking awesome” – Second-Hand als Modephänomen

Coppin‘ it, washin‘ it, bout to go and get some compliments // Passin‘ up on those moccasins someone else’s been walkin‘ in

[…]

I’m gonna pop some tags // Only got twenty dollars in my pocket // I – I’m – I’m hunting, looking for a come up // This is fucking awesome

[Auszug aus Thrift Shop – von Macklemore und Ryan Lewis][1]

 

Macklemore und Ryan Lewis müssen beim Shoppen vermutlich keine Preisschilder mehr abreißen. Thrift Shop ist eine Hommage an den Gebrauchtwarenladen, gleichzeitig eine Kritik am Markenfetischismus und der Modeindustrie – und irgendwie auch eine ironische Abhandlung über den Second-Hand-Style und seine gegenwärtige Konjunktur. Was hat es damit auf sich?

Was Second-Hand zur Mode macht…

Der Handel mit gebrauchten Textilien ist nichts Neues: Kleider wurden schon immer mehrfach aufgetragen und, wenn sie dazu nicht mehr gut genug waren, umgestaltet und wiederverwendet. Es muss aber unterschieden werden zwischen der einfachen Wiederverwendung von Kleidern und dem bewussten, modisch-intendierten Zusammenstellen eines Second-Hand-Looks.[2] Second-Hand als Modeerscheinung bezeichnet einen Stil, dem man sein Aus-Zweiter-Hand-Sein ansehen soll. Den Stücken, die sichtlich alt oder gebraucht sind, wird ein besonderer ästhetischer Wert zugeschrieben. Ihre Patina verleiht ihnen Authentizität, die den Individualismus-Drang ihrer Träger*innen stillt.[3] Second-Hand als Mode gehört zu den Retro-Phänomenen, die gerne als postmodernes Symptom gedeutet und als Ausdruck der postmodernen Ideenlosigkeit gelesen werden.[4] Eine Kritik, die das kreative Potential der Second-Hand-Mode und vor allem derjenigen, die sie sich zu Eigen machen, völlig außer Acht lässt. Forscher*innen wie Sabine Trosse gestehen dem Experimentieren mit den geschichtsträchtigen Stoffen sogar ein dekonstruktivistisches Potential zu: Die Träger*innen schaffen textile Tatsachen, die teilweise den herrschenden Diskursen entgegengesetzt und ihnen zuwider gedacht sind.[5] Mode als Praxis ist wirkmächtig, sie ist – wie Gertrude Lehnert konstatiert – eine ästhetische Arbeit am Selbst und an unserer alltäglichen Welt, sie ist ein „Spiel mit Grenzen und Möglichkeiten“.[6]

Wie Second-Hand in Mode kam…

Die Grenzen des vermeintlich ‚guten Geschmacks’ sprengen und so gegen eingefahrene Gesellschaftsstrukturen protestieren wollten die Hippies der 1960er Jahre. Sie trugen Second-Hand-Stücke, um gegen die biedere Kleiderordnung aufzubegehren und drückten damit ihren Unmut an Konsum und Gesellschaft aus. Alte Militäruniformen kombiniert mit bunten Seidenblusen aus den 1920er und 1930er Jahren, Unterröcke und Wolljacken – das war der Look, der Second-Hand erstmals zur Mode machte. Die Beatles brachten den Style mit dem Albumcover von Stg. Pepper in die Jugendzimmer, die Jugend ihn auf die Straße. Der Second-Hand-Look war mehr als nur textiler Körperschutz – er formulierte eine Botschaft und war Ausdruck einer Bewegung.

Bunt und unangepasst - dieses Image hat Second-Hand-Mode seit den 1960ern.

Bunt und unangepasst – dieses Image hat Second-Hand-Mode seit den 1960ern.

Warum Second-Hand in Mode ist…

Das Rebellische ist eng mit der Second-Hand-Mode verquickt: Nach den Hippies waren es die Punks, die mit und in alter, kaputter Kleidung protestierten. Das bewusste Down-Dressing, das textile Kokettieren mit der Armut – oder zumindest deren vermeintlichem Antlitz – findet sich als Stil-Element auch im Grunge der 1990er Jahre und im Used-Look der 2000er. Noch heute ist das Image des Rebellischen, des Subkulturellen und Individuellen mit der Second-Hand-Kleidung verknüpft. Man könnte – mit Pierre Bourdieu – auch sagen: über die Jahre hat sie ein gewisses kulturelles Kapital angehäuft, auf das ihre Träger*innen heute zurückgreifen. Diese zeigen durch die Wahl eines Second-Hand-Kleidungstücks, dass sie um die Geschichte und Geschichtlichkeit der Mode wissen, mit ihr umgehen können und sich gar ironisch dazu positionieren – ganz so wie Macklemore.

 

[1] Musikvideo zu Macklemore & Ryan Lewis: Thrift Shop. URL: https://www.youtube.com/watch?v=QK8mJJJvaes (Zugriff: 31.03.2016).

[2] Angela McRobbie: Second-Hand Dresses and the Roleif the Ragmarket. In: Dies. (Hg.): Postmodernism and Popular Culture. London 1994, S. 135-154, hier S. 140: „Second-hand style continually emphasizes its distance from second-hand clothing.“

[3] Heike Jenß: Sixties Dress Only. Mode und Konsum in der Retro-Szene der Mods. Frankfurt am Main 2007, hier S. 144: „Der Trendforscher Matthias Horx spricht von einem übergreifenden Retro-Trend als einer spezifischen Stimmung, quasi einem ‚Retro-Mood’ in der Gesellschaft, in der er eine übergreifende Sehnsucht nach Echtheit und Authentizität verborgen sieht.“

[4] Dies., hier S. 10.

[5] Sabine Trosse: Geschichten im Anzug. Der Retro-Trend im Kleidungsdesign. Münster / New York / München / Berlin 2000, hier S. 164.

[6] Getrud Lehnert: Mode. Theorie, Geschichte und Ästhetik einer kulturellen Praxis. Bielefeld 2013, hier S. 93.