Schlagwort-Archive: Körper

Theoretische Überlegungen zum Haare Färben

Der Frühling kehrte dieses Jahr ungewöhnlich früh ein. In Tübingen öffneten die Eisdielen bereits Ende Februar, der März lockte die Menschen mit seinen vielen Sonnenstunden aus den vier Wänden, sie genossen die Sonne und sie putzten sich heraus. Weg mit den Winterklamotten, her mit den Frühjahrs- und Sommerkleidern und – her mit der neuen Haarfarbe! Wer nicht weiß, was für eine, holt sich einfach Rat, beispielsweise bei Garnier. Dort gibt man gerne Auskunft über die aktuellen Trendfarben der Saison.[1]

Technische und chemische Erfindungen der Kosmetikindustrie machen es möglich, dass das Haare Färben immer einfacher, schneller[2] und preisgünstiger wird. Ist das der Grund, warum sich immer mehr Menschen die Haare färben? Umstände, die man nicht außer Acht lassen darf, doch als Erklärung sind sie nicht ausreichend. Was hat es mit dem Haare[3] Färben auf sich?

Der Körper – und damit auch Haare – ist eine Schnittstelle von Natur und Kultur.[4] Man kommt mit ihm auf die Welt und sogleich tritt er in die kulturelle Sphäre über. Alles, was fortan an ihm geschieht, ist kulturell geprägt. Jeder Mensch bringt seinen Körper in Form, modifiziert ihn. Manche mehr, manche weniger. Dies geschieht durch Kleidung, Sport, Essen (oder Nicht-Essen wie bei Diäten), Körperpflege (waschen, eincremen, rasieren, Nägel schneiden), Schminke, Tattoos und Piercings, Haare schneiden oder färben, um nur einige Arten der Körpermodellierungen zu nennen. Der Reiz an Haaren ist folgender: Sie sind „leichter als andere Körpersymbole (wie etwa Statur und Größe) kulturell modifizierbar und manipulierbar“[5]. Haare schneiden und färben tut nicht weh und geht schnell, ganz im Gegensatz zu dem eher langwierigen Prozess des Abnehmens von Körpergewicht. Der Soziologe Günther Burkart bezeichnet Haare deshalb als Element der Körpersprache. Man verändert die Haare nicht nur, sie selbst werden zum Handlungsobjekt.

Ähnlichkeiten zu Burkarts Konzept lassen sich bei Nina Degele beobachten. Sie forschte zum Schönheitshandeln und fragte Menschen, was es für sie bedeute, sich schön zu machen. Die Erkenntnis, die Degele aus ihrer Forschung ziehen konnte, war, dass Schönheitshandeln immer eine soziale Positionierung darstellt. Man macht sich nicht nur „für sich selbst schön“. Auch ist Schönheitshandeln nichts, was sich im privaten Raum abspielt; Schönheit unterliegt einem gewissen Zwang, einem Muss, es bedeutet Arbeit (an sich selbst und seinem Körper); Schönheit ist nicht nur oberflächlich, irgendwie scheint das äußere Erscheinungsbild doch mit den inneren Werten und dem Charakter eines Menschen zusammenzuhängen; Schönheit ist keine Frauensache, sie betrifft alle Menschen. Denn: Sich schön machen ist instrumentelles Handeln. Immer wieder belegen Studien, dass „schöne Menschen (im Sinn der statistisch-mehrheitlichen Auffassung von Schönheit) mehr Erfolg in der Liebe, im Beruf und im Leben überhaupt [haben].“[6] Sich schön machen: „ein Medium der Kommunikation, das der Inszenierung der eigenen Außenwirkung dient, das Aufmerksamkeit verschafft (oder auch vermeidet) und die eigene Identität sichert.“[7]


[1] Vgl. Garnier. URL: http://www.garnier.de/_de/_de/haarstudio/coloration/tipps-tricks.aspx (Zugriff: 09.03.2014).

[2] Vgl. Ralf Junkerjürgen: Haarfarben. Eine Kulturgeschichte in Europa seit der Antike. Köln u.a. 2009. Der Autor schreibt hierzu: „2008 kam ein Produkt auf den Markt, das Haare in nur 10 Minuten effizient färben soll.“ (S. 258) Eines Tages, so seine Prognose, könne Haarfarbe so leicht aufzutragen sein wie Lippenstift.

[3] Wenn im Nachfolgenden von Haaren die Rede ist, so meine ich stets die Kopfhaare. Körperbehaarung wird in diesem Beitrag außen vor gelassen.

[4] Günter Burkart: Zwischen und Körper und Klasse. Zur Kulturbedeutung der Haare. In: Cornelia Koppetsch (Hg.): Körper und Status. Zur Soziologie der Attraktivität. Konstanz 2000, S. 62.

[5] Ebd.

[6] Nina Degele: Sich schön machen. Zur Soziologie von Geschlecht und Schönheitshandeln. Wiesbaden 2004, S. 14.

[7] Ebd., Buchrücken.

Hinweis: Bildmaterial aus privatem Fotobestand.