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Die Fahne Budapests – Wenn Farben zum Politikum werden

Wird von den Farben eines Landes gesprochen, weiß jeder, dass damit die Fahne eines Staates gemeint ist. Diese haben besondere Bedeutung und sind symbolisch, wie emotional besonders aufgeladen. Auch Städte verwenden Fahnen als Hoheitszeichen. Besitzen diese auch die identitätsstiftende Kraft, wie Landesfahnen? Kann ihre Bedeutung sich verändern, wenn die vorhandene Fahne problematisch wird? Wie entsteht ein solcher Diskurs? Wer sind die maßgeblichen Akteure? Auf welchen Ebenen wird das Thema behandelt? Und wo findet die Diskussion überhaupt statt? Welche Rolle spielen die Farben dabei? Auf diese Fragen soll im Folgenden Antwort gesucht werden. Als Exempel hierfür dient der Austausch der Stadtflagge der ungarischen Hauptstadt Budapest im August 2011.

Die neue Fahne Budapests auf der Margaretenbrücke.

Die neue Fahne Budapests auf der Margaretenbrücke.

Ab dem Sommer 2008 waren in der ungarischen Presse vereinzelt Zeitungsartikel zu finden, die die Ähnlichkeit der Budapester Stadtflagge mit der Rumänischen Nationalflagge bemängelten.[1] Die Beiträge stammten meist aus ungarisch nationalkonservativen Kreisen, der in Siebenbürgen siedelnden Minderheitengruppe der Szekler. Diese befinden sich in Auseinandersetzungen um ihre Autonomierechte als ethnische Minderheit mit den rumänischen Behörden. Die einschlägigen ungarischen Zeitungen schrieben erst im Frühjahr 2011 über die Pläne des Budapester Bürgermeisters, István Tarlós, die er schon vor seiner Wahl zum Oberbürgermeister geäußert haben soll, an der Flagge der Hauptstadt etwas verändern zu wollen. Von Februar bis März 2011 tauchten immer Mehr Artikel auf, die sich mit der Fahne Budapests beschäftigten. Im Juni vervierfachte sich die Zahl der Beiträge, die über den damals schon bevorstehenden Fahnentausch schrieben. Zwischen dem 16. und 22. Juni erschienen ein Dutzend Artikel und unzählige Einträge in Internetforen, die sich konkret mit dem vorgestellten Entwurf der neuen Fahne und dem Für und Wider des Wechsels befassten.[2] Darauf hin initiierte das tagespolitische Nachrichtenportal Index.hu eine eigene Aktion, bei der die Leser ihre eigenen Fahnenentwürfe auf die Homepage des Nachrichtenportals einstellen durften. Bis Ende Juni erreichten an die 25 mehr oder weniger ernste Entwürfe die Redaktion.[3] Anfang Juli berichteten die Medien über den Beschluss des Stadtrates über die neue Flagge, die ab dem 15. August gelten sollte. Am 22. Juli reagierte der Stadtrat auf Bedenken des Innenministers und der „Symbolverantwortlichen der Regierung“, die Gestaltung der Fahne betreffend.[4] Diese Nachricht erreichte die Leser allerdings erst Ende August, als die darauf hin überarbeitete Stadtfahne schon galt.

Die ursprüngliche Fahne Budapests bestand aus den Farben der drei Ortschaften, die im Jahre 1873 zu einer Stadt vereinigt worden waren, Pest, Buda und Óbuda. Die Farben Rot, Gelb, Blau waren vertikal angeordnet und in der Mitte der Fläche war das Stadtwappen untergebracht.[5]

Die erste Fassung der neuen Stadtflagge Budapests, wie sie vom 15. bis 31. August 2011 in Geltung war, bestand aus dem Stadtwappen auf weißem Grund. Die Flagge war mit roten und grünen, mit ihren Spitzen zur Mitte gerichteten Dreiecken gesäumt.[6]

Es lässt sich nicht mit völliger Sicherheit sagen, welche Personen oder Gruppen den Stein ins Rollen gebracht haben. Waren es nationalistische Kreise, die in der alten Flagge die ‚falsche‘ Symbolik sahen, war es die Einzelperson István Tarlós, dem die Farben der Fahne ‚noch nie gefallen‘ haben. Erstaunlich ist, dass in den konsultierten Medien keinerlei Lobbys und feindliche Mächte als Profiteure des Fahnenwechsels vermutet wurden. Erstaunlich ist auch, dass sich keine Fachleute, wie Heraldiker, Vexillologen, Historiker oder Politikwissenschaftler zu Wort meldeten, geschweige denn, dass die Bevölkerung befragt worden wäre. Erst als das Kind in den Brunnen gefallen war, meldeten sich der Innenminister und die offiziellen „Symbolverantwortlichen“ des Landes zu Wort. Die Medien berichteten über vollendete Tatsachen und in den Blogs diskutierten die üblichen Interessierten. Die Stadtregierung ignorierte ihre Kritiken, denn die gewählte Stadtregierung darf, laut Satzung, die Insignien der Stadt verändern.

Neben der etwas subjektiv daherkommenden Begründung des Budapester Bürgermeisters für den Farbwechsel der Budapester Fahne, die Farben hätten ihm noch nie gefallen, spielte die Verwechselbarkeit der Farben der rumänischen Nationalflagge mit der Budapester Stadtfahne die größte Rolle. Erstere besteht aus drei gleich großen vertikal angeordneten Farbfeldern, blau, gelb, rot.[7] Lässt man die genaue Farbbestimmung außer Acht; berücksichtigt man die Regel der Flaggenkunde nicht, die besagt, dass die vertikale und horizontale Anordnung der Farbfelder für die Unterscheidung von Fahnen eminent sind; und ignoriert, dass Fahnen manchmal herunterhängen, so kann man zu dem Schluss kommen, dass Budapest an Feiertagen mit der rumänischen Nationalflagge dekoriert sei.[8] Um dieses Dilemma zu lösen, entwarfen der Oberbürgermeister und zwei weitere hohe Beamte der Stadtverwaltung eigenhändig eine neue Fahne für Budapest. Die Hauptstadt, so ihre Argumentation, stünde symbolisch für ganz Ungarn und sollte deshalb auch in ihren Farben das gesamte Land repräsentieren. Wohl um der Gefahr, die neue Fahne mit der Fahne eines anderen Landes zu verwechseln – was bei der ebenso oberflächlichen Betrachtung der ungarischen Nationalflagge mit den Fahnen Italiens, Mexikos, Nordrhein-Westfalens, Tadschikistans und Neuchâtels passieren kann – vorzubeugen, wählten die Planer der neuen Fahne eine besondere Vorlage. Sie wählten die mit Zacken in den Nationalfarben umrandete Flagge, die allerdings seit ihrer Einführung im 19. Jahrhundert für das Militär reserviert war.[9]

Die Entwerfer übersahen dabei auch, dass der 10. Bezirk der Hauptstadt bereits eine Fahne auf diese Grundlage basierend führt. Sie beachteten ebenfalls nicht, dass die Fahne der MIEP, der rechtsradikalen Ungarischen Wahrheits- und Lebenspartei, dem Entwurf sehr ähnlich ist. Als diese Mängel von der landespolitischen Ebene angemahnt wurden, waren die ersten Fahnen schon in der Produktion. Zum ersten Mal in der Nachkriegsgeschichte Budapests hatte die Stadt am Nationalfeiertag, am 20. August, keine passenden Fahnen für die Beflaggung. Seit dem 31. August 2011 ist die nachgebesserte Stadtflagge gültig. Sie besteht aus einem Saum aus ‚modern‘ gegeneinander gewendeten Dreiecken in den Nationalfarben: rot für das Land, grün für die Landwirtschaft. Das Weiß der Grundfläche soll für die Baumwollindustrie stehen.[10]

Die ursprünglichen Urheber der Kritik an der 150 Jahre alten Stadtfahne ließen sich an dieser Stelle nicht ermitteln. Als das zentrale Moment der Kritik hat sich die Ähnlichkeit der rumänischen Nationalfarben mit den Farben Budapests herausgestellt. Den Kritikern ging es nicht um die Farben Weiß, Gelb, Rot, Blau oder Grün im Einzelnen, sondern um eine Farbkombination aus diesen Farben, die mit besonderer Bedeutung aufgeladen ist, die salopp als die Farbe eines Landes oder einer Stadt bezeichnet wird.

Der demokratisch legitimierte Oberbürgermeister erprobte seine Macht, indem er die Farben der Stadt, wenn auch legal, aber dennoch eigenmächtig veränderte. Bei den Diskursen um die alte Fahne wurde der Stadtflagge künstlich eine größere Bedeutung beigemessen als sie tatsächlich innehatte. Indem ihre Farben mit der einer Nationalflagge verglichen wurden, erhöhte sich ihre Bedeutsamkeit. Hierzu waren, so lässt es sich vermuten, Vertreter der, mit dem rumänischen Staat im Clinch liegenden, ungarischen Minderheit nützlich. Sie konnten der rumänischen Flagge eine negative Bedeutung zuschreiben und damit die Verwechslungsgefahr erst zum Problem erheben. Die heftige aber nur kurze und wirkungslose Aufwallung in den Medien zeigt das Desinteresse der Budapester Bürger am Thema. Ihre ‚Blasiertheit‘ ließ dem neuen Bürgermeister einerseits den Freiraum für den symbolträchtigen Farbwechsel, andererseits stellt sich die Frage, ob er von diesem Farbwechsel profitieren wird, wenn die Frage der Farbe der Fahne wieder in der Bedeutungslosigkeit verschwunden sein wird.

 


[1] http://www.erdely.ma/publicisztika.php?id=46147

[2] http://www.pesterlloyd.net/2011_25/25budapestflagge/25budapestflagge.html

[3] http://indafoto.hu/tag/z%C3%A1szl%C3%B3p%C3%A1ly%C3%A1zat

[4]http://index.hu/belfold/2011/08/30/a_kormany_jelkepfelelosei_reklamaltak_a_tarlosnal_a_zaszlo_miatt/

[5] http://hu.wikipedia.org/wiki/Budapest_z%C3%A1szlaja

[6] http://csepel.info/?p=14648

[7] http://www.fahnenflaggen.com/flagge-rumanien.html

[8] http://static.orszagalbum.hu/kozepes/1238708054.jpg

[9]http://commons.wikimedia.org/wiki/File:Honv%C3%A9d_z%C3%A1szl%C3%B3_1848%E2%80%931849_A.JPG

[10] http://corrad.hu/uploads//webshop/budapest_zaszlo_fekvo.jpg