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Verstehen durch Berühren – Taktilität in Ausstellungen

Verstehen durch Berühren – Taktilität in Ausstellungen

 

taktile Wahrnehmung klimahaus 4

Bild 1: Hands-On-Station im Klimahaus Bremerhaven. www.klimahaus-bremerhaven.de [letzter Zugriff 14.09.2015]

Unser alltäglicher Umgang mit Touchscreens und das Berührungsverbot im Museum passen nicht zusammen -Gerade ändert sich unser Tast-Verlangen gegenüber Artefakten in Museen aufgrund der neuen Bedeutung der Hand im Alltag, welche besonders durch das Benutzen von Smartphones hervorgerufen wird. Museen haben den Wandel der Taktilität im Alltag erkannt und ihre Ausstellungen danach ausgerichtet: In Museen gibt es fast keine Ausstellungskonzeptionen mehr, die nur über Visualität funktionieren. Es werden neueste Techniken verwendet, um den Besuchern Erkenntnisse durch taktile Wahrnehmung zu geben, beispielsweise durch Touchscreens oder Hands-On Stationen.

Durch Berührung Wissen aneignen

Hands-On-Stationen, wie die Kuhmelk-Station [siehe Bild 1] im Klimahaus in Bremerhaven, laden die Besucher ein, sich durch Berührung Wissen anzueignen. Dinge, wie das Melken einer Kuh per Hand sind so weit aus dem Alltag der Besucher entrückt, dass dieser vorindustrielle Arbeitsschritt mithilfe des Tastsinns wieder erfahrbar und nachvollziehbar wird. Zudem werden vermehrt Living-History-Programme eingesetzt, die dabei helfen sollen, Ausstellungen zeitgemäßer und interaktiver zu gestalten. Mit der Hilfe von „Living History als Vermittlungsmedium lassen sich ausgestellte Objekte sehr wirkungsvoll kontextualisieren.“¹  Ein Spinnrad ist beispielsweise im Alltag der Mehrheit der Gesellschaft nicht mehr vorzufinden und der Funktionsprozess ist weitgehend unbekannt. Ein beigestellter Text lässt den tatsächlichen Gebrauch nur unzureichend darstellen.

Ein Spinnrad, aus der Sachkultursammlung des Ludwig-Uhland-Instituts für Empirische Kulturwissenschaft der Universität Tübingen.

Bild 2: Ein Spinnrad aus der Sachkultursammlung des Ludwig-Uhland-Instituts für Empirische Kulturwissenschaft der Universität Tübingen.

Individuelle Erfahrung durch das Tasten

Ein Gebrauchsgegenstand, wie das Spinnrad [siehe Bild 2], erschließt sich den Besuchern nur bedingt ohne taktile Wahrnehmung. In Living-History-Programmen können Besucher den handwerklich anspruchsvollen Prozess des Spinnens ausprobieren und dabei noch den sozialen und wirtschaftlichen Hintergrund dieser häuslichen Arbeit dargelegt bekommen. Living History vermag aber noch viel mehr. Diese Vermittlungsmethode kann einer Ausstellung jene Komponenten von Geschichte hinzufügen, die im Laufe der Zeit verloren gegangen sind. Diese Art der Geschichtsvermittlung erinnert uns daran, dass die leblosen Objekte in den Museen einmal von Menschen geschaffen und gebraucht wurden. „Jene Menschen, die durch ihr Leben überhaupt erst das formten, was wir als Geschichte erfahren.“²  Die Ausstellungsstücke, welche die Besucher berühren dürfen und zu der sie eine individuelle Erfahrung mithilfe des Tastsinns hervorrufen können, bleiben nachhaltig im Gedächtnis. Die Besucher ertasten nicht nur die Funktionsweise des Gebrauchsgegenstandes, sondern die Kerben und die Form des bearbeiteten Holzes, sowie die zeitlichen Spuren, die am Material erfühlbar sind.

Tastsinn als selbstständige Aneignungsform von Wissen

In Living-History-Programmen wird für die Besucher eine „realistische Anwendungssituation“  geschaffen, in denen sie sich selbst durch Haptik und Taktilität das Wissen erschließen können.³  Aus „passiven Rezipienten avancieren sich aktive Teilnehmer und Gestalter des Lernprozesses.“ [Sturm 2011, S.41-54, hier S.43.] Living History-Programme sollen die Besucher zu selbstständiger Aneignung von Wissen animieren. Die Vermittlungsmethode soll die Besucher unterstützen, Objekte zu berühren und zu ertasten und sich so neues Wissen anzueignen. Durch Methoden, welche die taktile Wahrnehmung in den Ausstellungen ansprechen, kann „besonders immaterielle Kultur dargestellt werden“.4  Immaterielle Kultur umfasst Traditionen und lebendige kulturelle Ausdrucksformen. Beispielsweise mündlich überlieferte Traditionen, gesellschaftliche Bräuche, Rituale und Feste, sowie Fachwissen über traditionelle Handwerkstechniken können dargestellt werden. Es entsteht eine gelebte und lebendige Kultur zum Mitmachen.

Sturm, Andreas: Quo vadis Living History? Auf der suche nach dem richtigen Umgang mit Geschichte als Erlebniswelt. In: Vermittlung von Vergangenheit. Gelebte Geschichte als Dialog von Wissenschaft, Darstellung und Rezeption, Weinstadt 2011, S. 41- 54, hier S.42.

2 Sturm 2011, S.41-54, hier S.43.

3 Bloch Ravn, Thomas: Living History in Scandinavian Open Air Museums – especially Den Gamle By. In: Jan Carstensen/Uwe Meiners/Ruth-E. Mohrmann (Hg.): Living History im Museum. Möglichkeiten und Grenzen einer populären Vermittlungsform, Münster 2008, S.79-89, hier S.88.

De Jong, Adriaan: Gegenstand oder Vorstellung? Erfahrungen mit Living History, vor allem am Beispiel niederländischer Freilichtmuseen. In: Jan Carstensen/Uwe Meiners/Ruth-E. Mohrmann (Hg.): Living History im Museum. Möglichkeiten und Grenzen einer populären Vermittlungsform, Münster 2008, S. 61-78, hier S.73.

Literaturverzeichnis:

  • Bloch Ravn, Thomas: Living History in Scandinavian Open Air Museums – especially Den Gamle By. In: Jan Carstensen/Uwe Meiners/Ruth-E. Mohrmann (Hg.): Living History im Museum. Möglichkeiten und Grenzen einer populären Vermittlungsform, Münster 2008, S.79-89.
  • De Jong, Adriaan: Gegenstand oder Vorstellung? erfahrungen mit Living History, vor allem am Beispiel niederländischer Freilichtmuseen. In: Jan Carstensen/Uwe Meiners/Ruth-E. Mohrmann (Hg.): Living History im Museum. Möglichkeiten und Grenzen einer populären Vermittlungsform, Münster 2008, S. 61-78.
  • Sturm, Andreas: Quo vadis Living History? Auf der suche nach dem richtigen Umgang mit Geschichte als Erlebniswelt. In: Vermittlung von Vergangenheit. Gelebte Geschichte als Dialog von Wissenschaft, Darstellung und Rezeption, Weinstadt 2011, S. 41- 54.

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