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Fasching als ‚doing gender‘? – Kinderfasching

Cowboy oder Prinzessin? Drache oder Marienkäfer? Fasching, Fastnacht, Karneval[1] – aus dem Alltag ausbrechen, unserer Fantasie freien Lauf lassen? Das Verkleiden wird zur wichtigsten Körperpraxis und die (Ver-)Kleidung, ob gekauft oder selbstgemacht, zum wichtigsten Aktanten. Mit jedem Kostüm streifen wir uns eine bestimmte Identität und damit verknüpfte Bilder und Erwartungen über. „Als was gehst du dieses Jahr?“ Für Kinder (und auch für Erwachsene) ist die Frage nach der Verkleidung dann von geradezu existenzieller Bedeutung.

Kostüme als Bedeutungsgewebe
Bei der Wahl unserer Verkleidung(en) kommt es auf den eigenen Geschmack, Vorstellungen und Träume an, die aber auch mit unserem Habitus – unsere Vorprägungen und Lebensweise – zusammenhängen. (Ver-)Kleidung setzt unseren Körper auf eine bestimmte Art und Weise in Szene; gleichzeitig machen wir uns das Kleidungsstück zu Eigen, nehmen eine weitere Identität an – beispielsweise Prinzessin, Pirat oder Rotkäppchen. Diese wird als solche erkannt, weil (Ver-)Kleidung mit Zeichen, Symbolen und sogar Emotionen aufgeladen, codiert und so im kulturellen Gedächtnis abgespeichert ist. Im Allgemeinen ist Kleidung mehr als eine textile Hülle: Mit ihr sind das soziale Umfeld, gesellschaftliche Strukturen, Mode- und Körperdiskurse verwoben. Durch sie werden wir nicht nur bestimmten sozialen Gruppen zugeordnet, es wird auch eine bestimmte (Geschlechts-) Identität erzeugt.

Von glitzernden Prinzessinnen…
Auf einer Faschingsveranstaltung für Kinder in Tübingen und in einem Laden, der eine große Auswahl an Kostümen bot, fiel mir auf, dass wohl vor allem Märchengestalten, (Super-)Helden aus Film und Comic sowie Tiere zu den beliebtesten Verkleidungen zählen mussten.

Abb. 1 Marienkaefer, Fee, Rotkaeppchen©Anne-J. Schneider

Abb. 1 Marienkaefer, Fee, Rotkaeppchen©Anne-J. Schneider

Für Jungen und Mädchen gibt es (nach wie vor) bestimmte Kostüm-Klassiker: Mädchen gehen beispielsweise gerne als Prinzessin, Fee, Squaw, Katze oder Marienkäfer.

Abb. 2 Cowboy, Polizist, Drache©Anne-J. Schneider

Abb. 2 Cowboy, Polizist, Drache©Anne-J. Schneider

 

 

 

 

Viele Jungs verkleiden sich als Cowboy, Polizist, Indianer, Pirat oder Drache. (s. Abb. 2) Klar, dass auch aktuell beliebte Filme die Kostümwelt beeinflussen: Neben Star Wars-Charakteren sind auch die „Minions“ häufig vertreten – letztere sind an sich geschlechtslos – Mädchen und Jungen gehen als diese knuffigen, gelben Wesen.

Dabei sticht sofort ins Auge: Anhand klarer, gewohnter Zeichen können die Kostüme eindeutig dem jeweiligen Geschlecht zugeordnet werden. Vor allem die Mädchenkostüme, sogar die Tierkostüme, bestehen fast ausnahmslos aus einem Rock oder Kleid – ein wahres Meer aus Pink, Glitzer und Tüll (oder Blau im Falle von Elsa aus „Frozen“). Mehr noch: Sie imitieren durch Korsage, Taillierung und Rock einen weiblichen, erwachsenen Körper.

… und bärtigen Cowboys
Die Kostüme der Jungen sind ‚männlich‘ gestaltet (Hose und Hemd oder Shirt). Kleinen Cowboys oder Piraten wird mitunter ein Bart aufgemalt. Und Pink? Keine Spur!

Abb. 3 Indianer, Squaw©Anne-J. Schneider

Abb. 3 Indianer, Squaw©Anne-J. Schneider

Manche Kostümierungen gibt es aber als weibliche und männliche Version: Indianerinnen (Squaws) und Piratinnen tragen Kleider oder Röcke anstelle von Hosen oder Overalls. (s. Abb. 3) Und damit man sich ja nicht ‚ver-kauft‘: Auf den Etiketten der Kostüme ist jeweils ein Mädchen oder Junge in diesem Kostüm abgebildet. Ist das freie Kostümwahl?

Abb. 4 SchlafwandlerIn©Anne-J. Schneider

Abb. 4 SchlafwandlerIn©Anne-J. Schneider

 

Im Laden gab es sogar ein als neutral gelabeltes Kostüm: Jungen und Mädchen dürfen SchlafwandlerIn sein. (s. Abb. 4). Die Kostüme machen aus Kindern Erwachsene, verstärken oder antizipieren sogar eine gewisse Rollenerwartung. Vor allem bei den Mädchenkostümen findet eine „gezielte Sexualisierung“ der Kleidung statt. (Mentges, S. 21) Auch Accessoires sind ‚eindeutig‘ gegendert: Welcher Cowboy würde zu einer rosafarbenen Knarre greifen?

Prinzessin in der Hose?
Fasching ist insofern als ‚doing gender‘ lesbar, als sich in den gängigsten (Kinder-)Kostümen der binäre Geschlechterdiskurs unserer Gesellschaft manifestiert, materialisiert und performativ bestätigt wird. Märchenprinzessinnen oder Feen tragen keine Hosen, weil wir es so gelernt haben (Ausnahme: Prinzessin aus Tausendundeine Nacht in Pluderhose); weil die Bilder solcher Gestalten aus einer Zeit stammen, in der Frauen keine Hosen trugen? Vielleicht sollte Klein-Lisa nächstes Jahr als Prinzessin mit Hose gehen. Ich wäre auf die Reaktionen gespannt.

[1] Die Bezeichnung ist abhängig von der Region. Für diesen Beitrag wähle ich den Begriff „Fasching“, da ich mich zwar im Raum der schwäbisch-alemannischen Fastnacht bewege, mich aber nicht auf die traditionelle Fastnacht/Fasnet beziehe. (s. Blogeintrag „Fasching als ‚doing gender‘? – Die Hexe in der Fasnacht“ für die südwestdeutsche Fasnacht als Bezugsrahmen.)

 

Literatur:
Bourdieu, Pierre: Die feinen Unterschiede. Kritik der gesellschaftlichen Urteilskraft. Frankfurt/Main 1982.
Butler, Judith: Das Unbehagen der Geschlechter. Frankfurt/Main 1991, S. 190-218.
Latour, Bruno: Eine neue Soziologie für eine neue Gesellschaft. Einführung in die Akteur-Netzwerk-Theorie. Frankfurt/Main 2007, S. 76-127.
Lehnert, Getrud: Wenn Frauen Männerkleider tragen. Geschlecht und Maskerade in Literatur und Geschichte. München 1997.
Lunin, Vincent: Kleid und Verkleidung. Untersuchungen zum Verkleidungsmotiv unter besonderer Berücksichtigung der altfranzösischen Literatur. Bern 1954.
Mentges, Gabriele: Uniform – Kostüm – Maskerade. Einführende Überlegungen. In: Gabriele Mentges/Dagmar Neuland-Kitzerow/Birgit Richard (Hg.): Uniformierungen in Bewegung. Vestimentäre Praktiken zwischen Vereinheitlichung, Kostümierung und Maskerade. Münster u.a. 2007, S. 13-28.