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Bärtige Vergangenheit

Die Phänomenologie der Bärte weist durch die  Jahrhunderte eine große stilistische Bandbreite auf. Die unterschiedlichen Bartformen waren und sind dem jeweils herrschenden modischen Zeitgeschmack unterworfen und ändern sich kontinuierlich. In diesem Blogbeitrag werden historische Bartmoden betrachtet, in einem weiteren wird der Trend des Barttragens heutzutage thematisiert.

Aus kulturwissenschaftlicher Sicht kann man den Bart als exponiertes Körpersignal begreifen, das sowohl als Symbol für Männlichkeit, Vitalität, Dominanz als auch für  politische Gesinnung und Individualität verstanden werden kann. Er kann also auf Zugehörigkeit zu politischen, religiösen, geschlechtlichen und zeitgeschichtlichen Gruppen verweisen.

In den früheren europäischen Monarchien galt ein wuchernder, ungepflegter Bart als Ausdruck unzivilisierter Wildheit, während sich ein gezähmter und gepflegter Bart als sozialer Code in ständisch orientierten Gesellschaften herausbildete und sich als Zeichen für Macht, Würde und Ansehen etablierte. Ende des 19. und zu Beginn des 20. Jahrhunderts war es gang und gäbe, einen Bart zu tragen. Hier waren möglichst imposante Bärte beliebt: Als Vorbilder galten beispielsweise der aufgebauschte Bart des österreichischen Kaisers Franz Joseph I. oder der des deutschen Kaisers Wilhelm II., dessen Spitzen mittels einer Bartbinde über Nacht nach oben gebogen wurden und dieser so seine spezielle Form erhielt. Der Bart des letzten deutschen Kaisers war so markant, dass seine Nachahmung bei seinen Untertanen zum Symbol für Konformität und Kaisertreue wurde.[1]

Zu Zeiten der beiden Weltkriege schrumpften die Bärte, unter anderem aufgrund einer disziplinarisch vorgeschriebenen Rasur durch das Militär, wodurch die Wehrtüchtigkeit der Soldaten optimiert werden sollte. Und auch die Entwicklung des ersten industriell gefertigten Rasierers durch die Firma Gillette zu Beginn des 20. Jahrhunderts, sowie das aufkommende Hygienebewusstsein und eine damit einhergehende Körperkult- und Sportbewegung, sorgten dafür, dass die Gesichtsbehaarung in dieser Zeit eher ab- als zunahm.

Ab den 1920er-Jahren übte zunehmend das Medium des Films großen Einfluss auf das modische Verhalten aus, denn die hier transportierten Botschaften boten Muster für identitätsstiftende Rollenbilder an. So gaben Filme auch modische Impulse für Bartträger. Die Bärte berühmter Persönlichkeiten rückten zunehmend in den Fokus des Interesses und eine Art „Starkult“ kündigte sich an. So wurde beispielsweise der schmale Oberlippen-Bart des amerikanischen Schauspielers Clark Gable zum Sinnbild für einen verführerischen Liebhaber. Auch der als Zweifinger- oder Fliegenbart bezeichnete Bart Charlie Chaplins wurde zum Phänomen. Dieser war jedoch nicht nur charakteristisch für den amerikanischen Schauspieler, sondern ebenso für Adolf Hitler. Dieser Zweifingerbart ist bis heute auch unter dem Namen „Hitler-Bärtchen“ bekannt und mit dem Bild des Diktators, sowie dessen Gräueltaten während des Zweiten Weltkrieges verknüpft und somit noch immer ideologisch aufgeladen.[2]

Um sich klar von der problematischen Vergangenheit zu distanzieren, waren ab den 1950er-Jahren bei den meisten Politikern die Gesichter glatt und auch in der breiten Bevölkerung wurde Bartlosigkeit im Allgemeinen bevorzugt.  Im Zuge der 1968er-Revolution hingegen wurde der Vollbart als rebellische Geste gegen das Establishment wiederentdeckt. Für Hippies, Revolutionäre und Individualisten stand der Bart als Symbol für Freiheit und Natürlichkeit. In den 1980er-Jahren wurde das Kinn wieder zunehmend kahler. Beliebt wurden jedoch Schnurrbärte, wie beispielsweise der sogenannte „Pornobalken“, dessen vermutlich bekanntester Träger der amerikanische Schauspieler Tom Selleck alias der Serienermittler Magnum war. In den 1990er- und 2000er-Jahren kam das Thema der Metrosexualität auf. Kosmetische Produkte für Männer (sowohl für die Rasur, als auch zur ausgiebigen Bartpflege) kamen vermehrt auf den Markt und intensive Körperpflege wurde nun auch für den Mann groß geschrieben. Hier waren die Gesichter meist glatt oder von einem Drei-Tage-Bart geziert, der im Lauf der letzten Jahre immer populärer wurde.

Heutzutage lassen sich zahlreiche individuelle Bartformen ausmachen, die sich oft an massenmedialen Vorbildern orientieren. Hier finden sich unterschiedlichste Varianten der Gesichtsbehaarung:  vom Vollbart, der als Retrozitat in deutschen Großstädten präsent ist und Autonomie und individuelles Stilbewusstsein ausdrücken soll, bis zum ironischen Schnauzer, wie er beispielsweise saisonal während des sogenannten Movembers [3] getragen wird.

Die Entwicklungsgeschichte des Bartes während der unterschiedlichen Stilepochen führt deutlich den immerwährenden Wandel der unterschiedlichen Erscheinungsbilder des jeweiligen Bartbewusstseins vor Augen und bestätigt damit als modisches Phänomen, die geschichtliche und gesellschaftliche Entwicklung der Menschen und ihrer Körpergestaltung.

Bild 1: Porträtlithographie Kaiser Franz Joseph I. in Uniform mit Ordensschmuck (um 1880).

Online abrufbar unter: https://commons.wikimedia.org/wiki/File:Portr%C3%A4tlitho_Kaiser_Franz_Joseph_I_c1880.jpg?uselang=de (letzter Zugriff: 30.03.2016)

Bild 2: Kaiser Wilhelm II. and Germany 1890–1914. Head and shoulders portrait of the Kaiser by Court Photographer T. H. Voigt of Frankfurt, 1902.

Online abrufbar unter: https://commons.wikimedia.org/wiki/File:Kaiser_Wilhelm_II_of_Germany_-_1902.jpg?uselang=de#/media/File:Kaiser_Wilhelm_II_of_Germany_-_1902.jpg (letzter Zugriff: 30.03.2016)

Bild 3:  Clark Gable mit Oberlippenbart.

Online abrufbar unter: https://pixabay.com/de/clark-gable-hauptdarsteller-stern-403840/ (letzter Zugriff: 30.03.2016)

Bild 4: Charlie Chaplin mit Zweifingerbart (1921).

Online abrufbar unter: https://pixabay.com/de/charlie-chaplin-schauspieler-mann-392926/ (letzter Zugriff: 30.03.2016)

 

[1] Vgl.: Wietig, Christina: Der Bart. Zur Kulturgeschichte des Bartes von der Antike bis zur Gegenwart. Hamburg 2005, S. 27.

[2] Vgl.: Wietig 2005, S. 30f.

[3] Siehe hierzu: Movember Foundation. URL: https://de.movember.com/ (letzter Zugriff: 30.03.2016)