Ein performativer Akt: Das Anlegen des Schleiers und des Kopftuches

 

Das Anlegen von Kleidung kann einen performativen Akt darstellen, mit dem sich Körper, Identität und Bild nach innen und nach außen verändern. Körper und Kleidung sind eng verwoben, formen einander nicht nur materiell sondern auch in ihrer Bedeutung: Sie bilden eine „Art Brücke zwischen dem Subjekt und der umgebenden Umwelt, ebenso wie zwischen dem einzelnen Menschen und der Kultur, in der der Mensch lebt.“[i]

Die Frau, die in einen christlichen Orden eintritt, nimmt den Schleier. Mit dem Schleier wird sie Teil einer Gemeinschaft, die für Gott und die Mitmenschen lebt. Sie legt ein Gelübde ab, das sie zu einem anderen Mensch macht als bisher. Die neue Identität betrifft auch ihren Körper, der zu einem entsagenden Körper wird.  Der Schleier visualisiert das Gelübde, das neue Leben, die neue Foto Vera RomeuIdentität. Wenn sie ihn trägt, wird sie für Außenstehenden als Klosterfrau sichtbar. Der Schleier wird zu einem Zeichen, das von Gegenübern gelesen und verstanden wird. Genau dies beschreibt Gabriele Mentges: „Die zentralen Begriffen situieren sich um die Interaktion zwischen Mensch und Objekt, Bedeutung und Zeichen, Kommunikation und Identitätsprozessen sozialer wie individueller Art.“[ii] Der Schleier an sich ist nur ein Stück Stoff; Bedeutung bekommt er erst, wenn ihm in Kommunikationsprozessen beidseitig eine Bedeutung zugewiesen wird. Der Schleier der Klosterfrau ist ein Zeichen, das in der westlichen Gesellschaft von Vielen eher wohlwollend, zuweilen mit einer gewissen Bewunderung gelesen wird. Offene Abneigung wird ihr eher selten signalisiert, eher ein übermäßiges Vertrauen.[iii] Auch schöpft in der Regel niemand den Verdacht, sie sei unterdrückt, sie habe den Schleier unfreiwillig genommen. Sie wird als Teil der Gesellschaft betrachtet.

Fast dasselbe Stück Stoff, nämlich das Kopftuch der Muslimin, wird zunehmend als ein Zeichen gelesen, der eine kulturelle Differenz markiert. Das Kopftuch schließt die Trägerin so zu sagen aus Foto Vera Romeu (2)der Mehrheitsgesellschaft aus, macht aus ihr eine Muslimin, Mitglied einer religiösen Minderheit. Der Kopftuch tragenden Frau wird unterstellt, sie sei von ihrem Vater oder ihrem Mann unterdrückt. Dabei erklären muslimische Frauen[iv], dass sie das Kopftuch freiwillig anlegen, dass sie damit ihre Gottesbeziehung sichtbar machen. Damit markieren sie ihre Religiöse Zugehörigkeit. Dies würde die christliche Klosterfrau genauso sagen. Die Muslimin berichtet, dass sie mit diesem Kopftuch als Frau eine andere Haltung fremden Männern gegenüber einnimmt, geprägt von Zurückhaltung, was sich auch in den Formen des Umgangs niederschlägt.[v] Mentges schreibt: „Daher können wir auch von kulturelle Identitäten, kulturellen Körperbildern und Körpersprache sprechen, die mittels vestimentären Modelle gestaltet und markiert werden. Durch sie wird kulturelle Differenz sichtbar, aber ebenso auch festgelegt und verhandelt.“[vi]

In der Tat, das Kopftuch und der Schleier haben für die jeweilige Trägerin fast dieselbe Bedeutung und haben dieselbe performative Wirkmacht: Sie verändern auf ähnlicher Weise Körper und Identität, Bild und Begegnung. Kopftuch und Schleier werden aber von dem Gegenüber verschieden rezipiert. „Denn `von außen´ wird religiös konnotierte Kleidung oft mit bestimmten Motiven, Wertvorstellungen und entsprechend konsistentem Verhalten in Verbindung gebracht, die nicht mit der Selbstwahrnehmung der Betroffenen übereinstimmen.“[vii] Das Kopftuch ist bei der Mehrheitsgesellschaft eher negativ konnotiert. Das sind Zuschreibungen. Die performative Wirkmacht des Kleidungsstückes wird dadurch nicht beeinträchtigt. Vielleicht sollte das Gegenüber im Kommunikationsprozess Kopftuch und Schleier im Zusammenhang neu betrachten und verhandeln. (mvr)

[i] Aida Bosch: Identität und Dinge. In: Samida, Stefanie/Eggert, Manfred/Hahn, Hans-Peter: Handbuch Materielle Kultur. Stuttgart, 2014.

[ii] Gabriele Mentges: Kleidung als Technik und Strategie am Körper. In: Holenstein, André/Meyer Schweizer, Ruth (Hg.): Zweite Haut. Bern/Stuttgart/Wien, 2010. S. 17.

[iii] Jacqueline Grigo: Religiöse Kleidung – Vestimentäre Praxis zwischen Identität und Differenz. Bielefeld, 2015. S. 129.

[iv] Gespräch Nalan Kandemir/Sebahat Akyldiz. Meßkirch, am 26.05.2016, in der Moschee.

[v] Gespräch Nalan Kandemir/Sebahat Akyldiz. Meßkirch, am 26.06.2016, in der Moschee.

[vi] Mentges: S. 19.

[vii] Jacqueline Grigo: Religiöse Kleidung. Bielefeld, 2015.