KÖRPER MIT GEWICHT #2

Politische Körper

Spiekermanns historische Analyse verdeutlicht die relative Zyklik der (historischen) Debatten um Idealkörper bei gleichzeitiger Konstanz der Argumente und Bekämpfungsstrategien, wie sie sich in den eingangs erwähnten Postings ( http://blog.kulturding.de/?p=3978) wieder finden (Spiekermann 2008: 53). Spiekermann weist deutlich darauf hin, dass Körper mehr sind als funktionale Maschinen und Repräsentationen gesellschaftlicher Strukturen „sie sind vielmehr verbunden mit Sehnsüchten, Träumen und Wünschen“ (Spiekermann 2008: 53). Diese Mehrdimensionalität des Körpers hilft zu verstehen, wie die eingangs erwähnten Postings im Alltag funktionieren, in welchem Körper gleichermaßen Projektionsflächen und Bewährungsfelder unserer Wünsche und Vorstellungen sind. Die Postings zeigen, „wie sehr hier soziale Ausgrenzung und Stigmatisierung salonfähig geworden sind“ (Spiekermann 2008: 53) und verweisen auf eine zunehmende Strukturierung der Gesellschaft über Gewichtsnormen, verbunden mit einer Inklusion und Exklusion bestimmter Körper, unter der zu Hilfenahme von (kaum reflektierten) Gewichtsindikatoren. (Klotter 2008: 23). Der Kulturhistoriker Christoph Klotter geht sogar davon aus, dass die Problematisierung des Gewichts zu innergesellschaftlichen Kriegen zwischen Dicken und Dünnen führe, die sinnstiftend für die Gesellschaft seien, da dort traditionelle ethische Werte und historische Entwicklungen verdeckt verhandelt würden. Er stellt die These auf, dass „die Thematisierung der Adipositas in der gesamten abendländischen Geschichte ein Mittel gesellschaftlicher Kontrolle des individuellen Körpers gewesen ist“ (Klotter 2008: 31). Davon ausgehend zeigt sich, dass die Diskurse um Körper mit Gewicht eine politische Dimension haben und als gesellschaftliches Problem verhandelt werden.

Die ehemalige Verbraucherschutzministerin Renate Künast

Die ehemalige Verbraucherschutzministerin Renate Künasthttps://de.wikipedia.org/wiki/Renate_K%C3%BCnast#/media/File:Renate-kuenast-2006.jpg

Bereits 2003 problematisierte die ehemalige Verbaucherschutzministerin Renate Künast die zu dicken Deutschen im Bundestag und erklärte Übergewicht damit zu einem nicht nur medizinischen, wie ästhetischen, sondern zu einem gesellschaftlichen Problem (Schmidt-Semisch/Schorb 2008: 7). Der Adipositas, von vielen Mediziner als chronische Krankheit eingestuft, wurde unter großer Anteilnahme der Öffentlichkeit der Kampf angesagt.

 

„Size Acceptance“ – Übergewicht als körperliche Vielfalt

Doch neben dieser Problemwahrnehmung von Übergewicht, rühren sich alternative Stimmen. Der Kulturwissenschaftler Friedrich Schorb weist auf die stetig wachsende „Size Acceptance“ und „Fat-Acceptance“ Bewegung aus den USA hin, die das Bild des „fitten Fetten“ (Schorb 2008: 71) propagiert und aufzeigt, dass sich fit und fett nicht ausschließen und eine reine Bewertung des Körpergewichts und der Körperform mittels Body Mass Index (BMI), nichts über den Gesundheitszustand eines Menschen aussagen.

(Schorb 2008: 71). Die Anhänger dieser Bewegungen begreifen dicke Körper als eine von vielen Ausprägungen körperlicher Vielfalt: „Adipositas als körperliche Vielfalt ist weniger ein Erklärungsansatz als der Versuch, die Kategorien Adipositas und Übergewicht aufzuheben und den BMI zu einer Fußnote der Medizingeschichte werden zu lassen“ (Schorb 2008: 74). Auch in den Sozialwissenschaften werden neue Ansätze zur Betrachtung dicker Körper verhandelt: „Fat Studies“ beschäftigen sich kritisch mit den sozialen und politischen Konsequenzen der vorherrschenden Wahrnehmung von Adipositas und Übergewicht. Dabei sieht sich diese Disziplin in der Tradition der Gender-, Queer-, Behinderten-, und Black-Studies, also solchen Disziplinen, die sich mit Menschen befassen, die vom gesellschaftlichen Mainstream benachteiligt und unterdrückt werden (Schorb 2008: 75). Damit bilden diese Untersuchungen, so Schorb, wichtige Korrektive in einer Gesellschaft, in der der Umgang mit Übergewicht immer restriktiver wird und bieten vielleicht sogar das Potential, eine echte Alternative zum „gegenwärtigen Kreuzzug gegen Fette“ (Schorb 2008: 75) zu etablieren.


Literaturverzeichnis

Klotter, Christoph: Von der Diätetik zur Diät – Zur Ideengeschichte der Adipositas. In: Schmidt-Semisch, Henning/Schorb, Friedrich (Hrsg.): Kreuzzug gegen Fette. Sozialwissenschaftliche Aspekte des gesellschaftlichen Umgangs mit Übergewicht und Adipositas. Wiesbaden, 2008 (S. 22-34).

Schorb, Friedrich: Adipositas in Form gebracht. Vier Problemwahrnehmungen. In: Schmidt-Semisch, Henning/Schorb, Friedrich (Hrsg.): Kreuzzug gegen Fette. Sozialwissenschaftliche Aspekte des gesellschaftlichen Umgangs mit Übergewicht und Adipositas. Wiesbaden, 2008 (S. 57-78).

Spiekermann, sh. Beitrag 1. Teil