Ausstellungstipp: Geschmackssachen. Formen, Normen, Kaffeekanne

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Auf die Frage „Was ist eigentlich Geschmack?“ fällt es auf den ersten Blick schwer eine klare Antwort zu geben. Man könnte direkt an den kulinarischen Bereich denken. Jeder weiß in etwa, was er/sie mag und was nicht. Ähnlich verhält es sich bei der Betrachtung bzw. Auswahl von Alltagsgegenständen aller Art. Ob und welche Schutzhülle zum Smartphone kombiniert wird oder welche Möbel in der Stundeten-WG stehen, sagt auch immer etwas darüber aus, wer den Gegenstand benutz oder mit ihm lebt. Besonders im Bereich der Mode ist der gute und schlechte Geschmack ein sehr präsentes Thema. Die Literaturwissenschaftlerin Barbara Vinken beschäftigte sich 2013 in ihrem Buch „Angezogen: Das Geheimnis der Mode“ unter anderem damit. Im Interview kommt sie zum Ergebnis, dass jede Mode, wenn sie modisch wird, „eine Geschmacksüberschreitung hin zum schlechten Geschmack“ durchlaufen muss. (https://www.youtube.com/watch?v=fex-9qVigCw , bei Min. 3:55). Sie verfolgt dabei einen Ansatz, nachdem Regeln (nämlich die das guten Geschmacks) gebrochen werden müssen, um etwas Neues entstehen zu lassen. Dabei bleibt die Frage offen, woher überhaupt Regeln kommen, die den guten oder schlechten Geschmack bestimmen.

Die studentisch konzipierte und realisierte Ausstellung „Geschmackssachen. Formen, Normen, Kaffeekanne“ im Archiv der ehemaligen Hochschule für Gestaltung in Ulm gibt Antworten auf diese Frage. In sieben Ensembles werden über 30 Alltags- und Designgegenstände in den Dialog miteinander gebracht. Durch die Kombination dieser oft sehr unterschiedlichen Objekte eröffnen sich neue Perspektiven. So finden sich in einem Ensemble z.B. ein  Häs (Fastnachtsgewand) der Konstanzer Blätzlebuebe und ein Overall der Olympischen Spielen 1972 gegenübergestellt. Das Ensemble trägt die Überschrift „Uniform“. Auf den ersten Blick ordnet man die Kostümierung dem wilden Treiben der Fasnacht zu, also der Zeit des Regelbruchs. Der Olympia-Overall hingegen wurde von Otl Aicher in verschiedenen Farben als Uniform für Service- und Ordnungskräfte entworfen. Eine Abweichung vom Farbkonzept war nicht vorgesehen. Schaut man noch einmal genau auf das Gewand und seine Geschichte fällt auf, dass es auch für das Erscheinungsbild der selbstgefertigten Verkleidung  genaue Vorgaben gibt. Form, Größe und Anzahl der willkürlich scheinenden Schuppen sind z.B. genau festgeschrieben. Auch hier ist also ein Brechen mit den Regeln nicht denkbar. Nun sind ein Häs und ein Olympia-Overall nur im weitesten Sinn dem Thema Mode zuzuordnen. Allerdings zeigt das Beispiel, dass so generelle Aussagen, wie sie Vinken trifft im konkreten Fall oft nur schwierig haltbar bleiben können. Dabei ist hier die Perspektive auf die HfG Ulm als regelgebende Institution im Bezug auf die Alltagsgegenstände interessant. Der Architekt und Designer Max Bill, der auch Mitbegründer der HfG Ulm war, würde Vinkens Ansatz unterstützen, dass nur mit dem Überwinden des Alten etwas Neues entstehen kann. Allerdings ist Bills Ansatz viel absoluter. Das Konzept der Guten Form steht auch für die Positionierung der HfG in der Nachkriegszeit als Gegenbewegung zum Geschmacksdiktat der Nationalsozialisten. Jedoch würde Bill die einmal gefundene Gute Form als finale und nicht weiter anzweifelbare Institution sehen. Für den Bereich der Mode könnte dies bedeuten, dass es einzelne Klassiker gibt, die ihre finale Form bereits erreicht haben. Nur bleibt hier auch wieder die Frage offen, wer eigentlich bestimmt, was zu einem zeitlosen Klassiker wird und was nicht.

Ensemble "Uniform" in der Ausstellung Geschmackssachen. Formen, Normen, Kaffeekanne.

Ensemble „Uniform“ in der Ausstellung Geschmackssachen. Formen, Normen, Kaffeekanne.

Für alle, die auf dem Geschmack gekommen sind und sich näher mit der Konstruktion und Dekonstruktion von Geschmacksbildern beschäftigen wollen, wird es am 17. April 2016  studentische Kuratorenführungen durch die Ausstellung Geschmackssache. Formen, Normen, Kaffeekanne geben.

Nähere Informationen zu den Ausstellungsführungen: http://www.hfg-archiv.ulm.de/
Alles zur Ausstellung: http://geschmackssachen-ausstellung.de/

 

Quellen:
Vinken, Barbara: Angezogen. Das Geheimnis der Mode. Stuttgart 2013.
Zur „Guten Form“ nach Max Bill siehe auch http://www.designwissen.net/seiten/die-gute-form

Zu den Kleiderregeln der Blätzlebuebe Zunft: http://www.blaetzlebuebe-zunft.de/index.php/home/erscheinungsbild-des-blaetz