Transzendierende Geschlechter #2

Frauen zeigen Männermode, Männer zeigen Frauenmode, Transgender-Models zeigen sowohl Frauen- als auch Männermode: Der gegenwärtige Trans-Diskurs (siehe The Danish Girl, Caitlyn Jenner, Transparent) ist in der Mode angekommen (oder vice versa) und das heteronormative Diktum der Geschlechter löst sich (zumindest teilweise) auf. Der Blogbeitrag „Transzendierende Geschlechter #1“ (erster Beitrag) hat die Veränderung der Körper in der Modewelt aufgezeigt und kam zu dem Schluss, dass es für die Präsentation von Mode zunehmend egal ist, welchen Geschlechts ein Model ist, solange es dem gängigen Schönheitsideal entspricht. Wie verändert sich Mode vor diesem Hintergrund? Welchen Anteil hat Mode an dieser Entwicklung? Und nicht zuletzt: Lösen sich die klassischen Geschlechtercodes der Kleidung ebenfalls auf?

Unisex

Im Jahr 1999 erkannte die Modetheoretikerin Gertrud Lehnert einzig in Rei Kawabuko eine Modeschöpferin, die mit ihrem Label Comme des Garçons nicht nach Geschlechtern fragte, sondern menschliche Körper als dreidimensionale, einzukleidende Raumkörper auffasste. Comme des Garçons gibt es immer noch, darüber hinaus aber eine Vielzahl weiterer ModeschöpferInnen, die vom Geschlecht unabhängige Mode machen. Beispielsweise der deutsche Designer Patrick Mohr, der mit seiner Kollektion Monovular auf der Mercedes Benz Fashion Week 2011 Unisex-Mode präsentierte und damit Kategorien wie Männer- oder Frauenkleidung einfach ignorierte. Oder der 2012 vom British Fashion Council zum besten Nachwuchsdesigner gewählte Brite J.W. Anderson. Mit seinem gleichnamigen Label verwischt er die Grenzen zwischen Männer- und Frauenmode und geht mit einer Selbstverständlichkeit über die sonst üblichen Gender-Initiativen wie die von Karl Lagerfeld für Chanel hinaus. Rad Hourani wurde sogar vom Chambre Syndicale de la Haute Couture 2013 eingeladen eine eigene Haute-Couture-Linie zu entwerfen. Hourani präsentierte erstmals in der Geschichte der Haute Couture überhaupt eine Unisex-Linie mit klaren Linien, geometrischen Schnitten und glatten Materialien. Wie Anderson denkt Hourani seine Entwürfe v.a. von den Stoffen her und nicht von der Zielgruppe. Und selbst Gucci, eine klassische Modemarke im besten Wortsinn, hat unter dem neuen Kreativdirektor Alessandro Michele bei der Herbst/Winter Kollektion 2015 ein Oberteil aus roter Spitze für Männer und Frauen präsentiert. Noch einen Schritt weiter in puncto Geschlechtslosigkeit ging der in vielerlei Hinsicht extreme (siehe Highland Rape) Designer Alexander McQueen mit seinen Entwürfen aus Federn, Muscheln, Dornen und ausgestopften Tieren, die einen Aspekt von Queernes schaffen, der nicht mehr vorrangig mit Gender verknüpft ist, sondern „über Konzepte von Heteronormativität weit hinaus“ (Lehnert 2013) geht. Letztes Beispiel: Inspiriert von McQueens Arbeiten, ließ Gareth Pugh für seine Kollektion Frühjahr/Sommer 2012 Models in futuristischen Konstruktionen und geschlechtsneutralen Bodystockings über den Laufsteg gehen und machte die Geschlechter nur durch einen weißen Lidstrich unterscheidbar.

„Doing gender“ als „dressing gender“

Mode, verstanden als lesbare Zeichen, vermittelt immer eine Ahnung davon, wie es um die Geschlechterbilder steht und schlägt gleichzeitig neue Geschlechterbilder vor, prägt Körperbilder, Bewegungen und Wahrnehmungen. Mit den Worten der Modetheoretikerin Gertrud Lehnert: „Mode ist eines der wichtigsten und wirkungsvollsten Instrumente der Erzeugung von Geschlecht.“ (Lehnert 1999) Spätestens seit Judith Butlers Gender Trouble und Bodies that Matter wissen wir, dass die Geschlechterdifferenz nicht auf einer natürlichen, biologischen Unterscheidung basiert, sondern eine in sozialen Zusammenhängen geschaffene Kategorie, sex nicht gleich gender, ja beides für sich nicht einmal eindeutig ist. Da man also, wie Simone de Beauvoir schrieb, nicht als Frau geboren, sondern zu einer gemacht wird (gleiches gilt für Mann), ist eine kleine, aber sich ständig wiederholende Alltagssituation des „doing gender“, das tägliche Sich-Anziehen. „Kleidung [ist] ein soziales Phänomen [und] Veränderungen in der Kleidung sind soziale Veränderungen“ (Hollander 1995) wie Anne Hollander in Anzug und Eros schreibt. Bis ins 18. Jahrhundert war Mode in erster Linie ein Indikator für Standeszugehörigkeit in der Öffentlichkeit, in der Folge wurde jedoch Geschlecht (verstehbar nur als Geschlechterdifferenz) zum dominanten Strukturmuster unserer Gesellschaft. Und so war das große Thema der Mode des 19. und 20. Jahrhunderts die Befreiung der Frau. Modisch betrachtet war die Emanzipation allerdings immer eine „Vermännlichung“ der Frauenmode. Das gilt für Coco Chanels vom Reitanzug inspirierte funktionale, schlichte und undekorierte Kleidung genauso, wie für die Smoking und Zylinder tragende Marlene Dietrich in Marlene Hose. Yves Saint Laurent schließlich verhalf den Frauen in den 60ern mit seinem Hosenanzug Le Smoking endgültig in den „gnadenlos modernen männlichen Anzug“ (Hollander 1995). Auch das regelmäßig wiederkehrende Phänomen der Androgynie (Dandys im 19. Jahrhundert, Glam-Rock der 1970er Jahre, Mode und Popkultur der 1990er) hat „das Geschlecht nicht auflöst, im Gegenteil ist es von überaus großer Bedeutung“ (Lehnert 1999). Stets ließ es sich in eine bestimmte Richtung ergo Geschlecht hin auflösen.

Agender

Zum ersten Mal in der Geschichte der Mode (mit Ausnahme der 60er/70er, als Männer und Frauen T-Shirts, Jeans und Turnschuhe trugen und abgesehen von Avantgardisten wie Rudi Gernreich, dem Schöpfer des legendären Monokini) wird das Arrangement der Kleidung immer häufiger nicht im Hinblick auf das andere Geschlecht gemacht. ModeschöpferInnen wie J.W. Anderson und Rad Hourani verlassen die heteronormative Matrix und produzieren neutrale, geschlechtslose Mode, sprich Unisex-Mode – für große Schauen, die Haute Couture und ein wachsenden Publikum. V.a. letzteres, der Schritt vom Laufsteg in die Lebenswirklichkeit der Gesellschaft, wird darüber entscheiden, wie ephemer das vestimäre Phänomen der Unisex-Mode ist. Denn was nützt Aufmerksamkeit im Modekosmos und Feuilleton, solange Mode im Geschäft und online weiterhin in Frauen- und Männermode unterschieden wird? Wie ein Gegenentwurf aussehen könnte, hat das britische Kaufhaus Selfridge mit seinem Pop-up-Store Agender vorgemacht. Der radikale Entwurf versuchte eine Raum zu schaffen, „in which you are given the freedom to transcend notions of ‚his‘ and ‚hers‘“ – mit geschlechtsloser Mode, die ohne Unterscheidung zusammen verkauft und auf dreidimensionalen Formen und nicht auf Figuren präsentiert wird.

 

Literatur

Bachmann, Cordula: Kleidung und Geschlecht. Ethnographische Erkundungen einer Alltagspraxis. Bielefeld 2008.

Hollander, Anne: Anzug und Eros. Eine Geschichte der modernen Kleidung. Berlin 1995.

Lehnert, Gertrud: Androgynie und Mode. In: Bock, Ulla/ Alfermann, Dorothee (Hg.): Querelles. Jahrbuch für Frauenforschung 1999. Androgynie. Vielfalt der Möglichkeiten. Stuttgart 1999. S. 118-130.

Scholz, Jana: Von der Abweichung zum Mainstream. Die Modetheoretikern Gertrud Lehnert über „Queer Fashion“. In: Portal. Das Potsdamer Universitätsmagazin. 1/2016. S. 35.