Transzendierende Geschlechter #1

Das Jahr war noch jung, als die Nachricht von David Bowies Tod worldwide für Bestürzung sorgte und zu einer Vielzahl ausnahmslos – kleines Wortspiel – heroisierender Nachrufe führte. Egal welcher Couleur, alle AutorInnen waren sich einig: Eine Ikone ist von uns gegangen, deren gesellschaftlicher und popkultureller Einfluss kaum hoch genug bewertet werden kann. Begründet wird sein Ikonen-Status kurioserweise nicht mit seiner Musik, sondern in erster Linie mit den durch seine exzentrische Art, sein androgynes Aussehen und seine ausgefallenen Kostüme geschaffenen Kunstfiguren. Unisono wird sein Spiel mit den Geschlechterrollen und die daraus resultierende Verwischung der Grenzen zwischen männlich und weiblich hervorgehoben. Die wichtigsten Instrumente: sein Körper und seine Kleidung. Die richtige Kombination von Mode und Körper scheint die klassischen Geschlechtervorstellungen irgendwie in Bewegung bringen zu können. Blickt man auf die Laufstege und Schauen der letzten Jahre, lässt sich für die Modewelt genau das beobachten: Geschlechterstereotype und Gendercodes beginnen sich aufzulösen, die Kategorien „männlich“ und „weiblich“ verlieren zunehmend an Bedeutung. Und zwar in Bezug auf beides, Mode und Körper. Mode war schon immer vielfältig und vieldeutig, aber auf die Polarität zwischen Mann und Frau (abgesehen von vielleicht barocker Mode) war Verlass. Auch wenn Heteronormativität immer noch das Maß der allermeisten Kollektionen ist, wird sie doch in den letzten Jahren zunehmend in Frage gestellt, wie die folgende explorative Erkundung für die Körper der Mode zeigt.

Er ist ein Model und sie sieht gut aus

Startpunkt David Bowie. Der Union-Jack-Mantel , der das Plattencover seines Albums Earthling aus dem Jahr 1997 ziert, sowie die gesamte Garderobe für die begleitende Tour, wurde vom ebenfalls vor wenigen Jahren (zu) früh verstorbenen Designer Alexander McQueen geschneidert. McQueens Vorgänger beim Modeunternehmen Givenchy war John Galliano. Und dieser, nach seiner Ich-liebe-Hitler-Episode mittlerweile bei Maison Margiela verantwortlich, ließ bei seiner Artisanal Herbst/Winter Kollektion (scheint eine Spezialität des Hauses zu sein) im letzten Jahr in London männliche Models Frauenmode präsentieren. Damit löste er zugegebenermaßen die heteronormative Matrix nicht auf, sorgte aber für Verwirrung. Bereits 2010 machte der Nachfolger von McQueen bei Givenchy, Riccardo Tisci, seinen früheren Assistenten Leonardo zum weiblichen Gesicht der Kampagne des Hauses und damit Lea T (so der Künstlername aus Leonardo und Tisci nach Geschlechtsumwandlung zur Frau) zum ersten transsexuellen Supermodel. Lea T zierte in der Folge das Cover der Elle und war im gleichen Jahr auf dem Titel der Love beim innigen Kuss mit Kate Moss zu sehen. Das wohl bekannteste „living between genders“ (eigene Aussage) Model der Welt ist Andrej (seit 2014 und Genitalienanpassung Andreja) Pejić. Seit sie 2011 für Gaultier bei den Pariser Fashion Weeks (und später u.a. mehrfach für Michalsky) sowohl Herren- als auch Damenmode präsentierte, zählt sie ohne Zweifel zu den momentan bekanntesten und gefragtesten Models. 2014 ließ das New Yorker Kaufhaus Barneys Transgender-Models die Frühjahrsmode zeigen und 2015 nahm die New Yorker Agentur IMG Models das Transgender Model Hari Nef unter Vertrag. Elliott Sailors schnitt sich die Haare ab und präsentiert seither nur noch Männermode, die ehemalige Schwimmerin Casey Legler unterzeichnete als erste Frau einen Vertrag als Männermodel bei Ford Model. Die Trans-Diskussion ist sogar in der Automobilbranche, dem heterosexuellsten aller Geschlechtersysteme angekommen. In einem Clip für Toyota aus dem Jahr 2012 ist eine langbeinige und langhaarige Schönheit zu sehen die, nur mit einem roten Slip bekleidet und mit schwingendem Po, auf ein Auto zuläuft. So weit, so klischeehaft, bis sich das Transgender-Model Stav Strashko umdreht und eine flache Männerbrust präsentiert. Aufsehen erregt auch die Unterwäschemarke Jane Pain, als sie für eine Werbekampagne Fotos so verschneiden, verkleben und retuschieren ließ, dass man keine weiblichen Genitalien sieht, obwohl die Models in aufreizender und provokanter Weise die Beine spreizen. Das Ergebnis ist im wahrsten Sinne des Wortes geschlechtslos.

Er oder sie? Egal, Hauptsache schön!

Also gut. Frauen zeigen Männermode, Männer zeigen Frauenmode, Transgender-Models zeigen sowohl Frauen- als auch Männermode. All diese Beispiele spielen auf unterschiedliche Weise mit den herkömmlichen Geschlechterbildern und erregen Irritation und Faszination. Der Reiz entsteht gerade durch die Ungewissheit und Vieldeutigkeit, die der Bruch mit Heteronormativität auslöst. Eine Ungewissheit, die sich auch in den Begrifflichkeiten widerspiegelt. Die Suche nach androgynen Models liefert mehr oder weniger dieselben Resultate wie die Suche nach Transgender-Models. Sinnbildlich hierfür: Andreja Pejić landete 2011 auf Platz 16 der Top 50 männlichen Models und schaffte es gleichzeitig auf die Liste der 100 Sexiest Women der FHM. Ob Androgynie, Transgender oder Transsexualität scheint zweitrangig (Begriffsklärung hier). Die neue Kategorie für Körper in der Modewelt lautet anscheinend nicht mehr männlich oder weiblich, sondern schön. Dabei lösen sich die Körper nicht auf, im Gegenteil. Mann, Frau oder Transgender – Size zero gilt nach wie vor für alle, die Teil der Vermarktungsmaschinerie Haute-Couture-Mode werden, aber die Geschlechtergrenze beginnen zu transformieren und transzendieren. Andreja Pejić spielt übrigens in David Bowies Video zur Single „The Stars (Are Out Tonight)“ einen Glamour-Star. Dieses wunderbare geschlechtliche Verwirrspiel irritiert und zieht an. David Bowie war seiner Zeit stets voraus, auch das vergisst keine Auseinandersetzung mit ihm zu betonen. Von seiner Musik ganz zu schweigen.

Auflösung der Geschlechter – neue Mode? Lesen sie demnächst hier weiter.