Unten ist Oben – Wann wird die Unterwäsche zur Oberbekleidung?

Die Unterwäsche – ob Schlafwäsche, Bademode oder Erotika – definiert sich als die erste Lage Kleidung auf der Haut. Schon der Ausdruck „Unter“-wäsche vermittelt den Eindruck, dass darüber etwas getragen werden muss. Gar nicht zu reden von dem Vorläufer unseres heutigen Begriffes genannt „die Unaussprechlichen“, der ein Kleidungsstück der Scham suggeriert, beziehungsweise eine (Blick-)Grenze zieht, wo die Oberkleidung endet und die Unterwäsche beginnt.

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„Es ist einfach für eine bestimmte Situation gemacht und außerhalb ist es seltsam.“ Lingerie_wikimedia commons.jpg

Wie kommt es also, dass über der Badehose oder dem Bikini keine Lage mehr getragen wird? Welche Begründungen bringen die Tragenden vor, die erklären, wie ein solches Trageverhalten zur sozialen Norm geworden ist, obwohl sich der Bikini äußerlich immer mehr dem Büstenhalter und dem Slip angleicht? Wie kommt es, dass Tanktops und Muscleshirts, die dem ursprünglichen Unterhemd zum Verwechseln ähnlich sehen, als „obere Lage“ zur Mode werden?
In einem Leitfaden-Interview wurden vier Personen zu ihrem Trageverhalten und ihrer Meinung über das Trageverhalten anderer befragt. Die Begründungen, warum das Tragen der Unterwäsche als Oberkleidung sozial gestattet ist, variierten von den unterschiedlichen Situationen, in denen die Unterwäsche getragen wird, zu den differierenden Funktionen der jeweiligen Unterwäsche und der verschiedenen Zielsetzung der Träger und Trägerinnen.

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„Im Festival ist eh alles ausgehebelt.“ Festival_Caracas_Pop_Festival,_2009_wikimedia commons.jpg

Ob es die Modenschau ist, der Urlaubsstrand oder das Festival – der gemeinsame Nenner dieser Situationen ist, dass sie aus dem Alltag herausgegriffen sind. (Zitat: „Es ist sozial akzeptiert, dass in der Modenschau nur Unterwäsche getragen wird, denn es ist eine Veranstaltung, kein Alltag.“ ) Das Festival ist das wohl stärker als der Urlaubsstrand. (Zitat: „Beim Festival ist sowieso alles ausgehebelt.“) Dort scheint es gewöhnlich, in Unterwäsche und einem Hemd vor dem Zelt zu sitzen, denn „die Nachbarn machen es ja auch“.
Sobald eine Situation nur ein kurzer Vorgang ist, wie beispielsweise das Umziehen, scheint das Zeigen der Unterwäsche ebenfalls mit keinen Konventionen zu brechen. Auch im Sommer, wenn das Schwimmbad in der Nähe ist, wird oft die Badehose als Hose angesehen. Hier wird zur  Begründung durch die Situation meist das Wetter hinzugefügt. „Ich komme im Urlaub auch nur auf die Idee, das Bikini-Oberteil [als Oberkleidung in der Stadt] zu tragen,“ begründet eine Befragte, „zuhause hat man die andere Unterwäsche schneller zur Hand.“
„Es ist einfach für eine bestimmte Situation gemacht und außerhalb ist es seltsam.“

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Wie kommt es also, dass über der Badehose oder dem Bikini keine Lage mehr getragen wird? Yellow_bikini_45545_wikimedia commons.jpg

Drei unterschiedliche Zielsetzungen der Tragenden wurden von den Befragten festgemacht: Das Präsentieren des Körpers in der Unterwäsche, das im Sportstudio mit dem Sport-BH zum Tragen kommt, wo sich zur Schau gestellt wird, um „seinen Körper zu zeigen, einen Lohn für die Arbeit“ zu erhalten.  Das Inszenieren von Unterwäsche bei einer Modenschau und das Inszenieren einer bestimmten Stimmung und eines Vorhabens am Strand in der Bademode.
Auch die Funktion der Unterwäschesorte ist ausschlaggebend für die Situation und die Art, in der sie getragen wird. Es scheint eine große Vorsicht zu herrschen, was mögliche Übertretungen angeht in Hinsicht auf Erotik in Unterwäsche . Bei einem durchsichtigen Top im Sommer, so eine Befragte, „ziehe ich lieber einen Bikini mit Muster an, als dass ich dann einen weißen Spitzen-Bh anziehe, […], das ist weniger sexualisiert“. „Ich denke, dass es beim Sportstudio nicht um Erotik geht, sondern darum, sich zu präsentieren.“

Wo übertragen sich Situationen wie bei einem Festival in den Alltag? Warum ist es sozial akzeptiert, einen Bikini als Unterwäsche anzuziehen, aber nicht umgekehrt? Obwohl der Trend, Unterwäsche auch als Oberbekleidung zu tragen Offenheit suggeriert, wird bei dem Thema Erotik eine klare Grenze gezogen, warum?
Sicherlich kann dieser Blogbeitrag nur einen Ansatz in das Thema Unterwäsche als Oberbekleidung bieten. Festzustellen ist, dass Situationen, die aus dem Alltag herausgenommen sind, gewisse Freiheiten mit sich bringen, die das Alltagsleben nicht erlaubt, die aber dennoch, sollten sie von vielen Leuten übernommen werden, im Alltag durchgesetzt werden können.