Die Welt in Rot&Grün II – Den falschen Knopf gedrückt

Farben im Kontrast

Hartmut war sich sicher, die Hebebühne abgestellt zu haben. Dabei hätte er es besser wissen müssen. Er war in Eile und unter diesen Umständen passierten ihm immer die schlimmsten Dinge. Bereits dreimal in dieser Woche war er zu spät zum Abendessen gekommen und seine Frau war kein einziges Mal erfreut darüber gewesen. Er hatte gerade die Autobahnauffahrt in Richtung Heimat genommen, als sein Mobiltelefon klingelte. „Sie Idiot! Wissen Sie denn nicht, wo man ein Gerät an und aus schaltet? Rot steht für Aus, Grün für An. Sie haben die Hebebühne nicht abgestellt. Wenn Sie nicht sofort zurückkommen und helfen das Chaos zu beseitigen, gibt es Ärger!“ Der rhythmische Signalton am anderen Ende verriet ihm, dass sein Chef aufgelegt hatte. Dass dieser zu cholerischen Anfällen neigte, war Hartmut nicht lange verborgen geblieben. Seufzend nahm er die nächste Ausfahrt und fuhr zurück zur Firma.

Bild on_off

An vielen Geräteknöpfen sind die Farben Rot und Grün komplementär angeordnet. Bildquelle: http://commons.wikimedia.org/wiki/File:On_Off_-_Za%C5%82_Wy%C5%82_%283086204137%29.jpg?uselang=de

Und eigentlich kannte Hartmut die wie ein Automatismus funktionierende gegensätzliche Signalwirkung der Farben Rot und Grün. Ein kleiner Einblick in die Farbforschung hätte ihm wohl dennoch nicht geschadet.

Rot und Grün sind nicht nur beides Primärfarben, sondern in vielen Farblehren als komplementär zueinander dargestellt. Bereits Goethes Farbkreis zeigte, dass die beiden Farben in ihrer Darstellung gegensätzlich zu begreifen sind. Und gerade diese Gegensätzlichkeit führt dazu, dass beide Farben zu ihrer höchst möglichen Wirkungskraft gelangen.[i] Seit jeher ist Rot eine Farbe mit universellem Charakter; sie spricht an und hat zweifellos eine psychologisch-programmierte Wirkung auf Menschen. Durch die Empfindlichkeit des Auges wurde Rot in der kulturellen Praxis des Alltags schnell als Signalfarbe markiert, die andere Farben übertrumpft.[ii] Verbote, Warnungen und sonstige negativen Handlungen werden durch sie zum Ausdruck gebracht. Grün als Komplementärfarbe zu Rot symbolisiert in seiner funktionalen Logik daher das Gegenteil: Erlaubnis, Durchfahrt und das in Gangbringen werden zum Ausdruck gebracht.[iii] Es entsteht die gegensätzlich konstruierte Bedeutung von Rot und Grün im Alltag.

Es lassen sich unzählige Beispiele finden. Wie die von Hartmut missachteten An- und Ausknöpfe, die oftmals in grün und rot gehalten sind. Oder rote Schilder, die uns im Gegensatz zu grünen die Einfahrt verweigern. Aber auch die Ampel, die uns mit der Farbe Grün ein positives Signal sendet, ist ein passendes Beispiel. Mit dem roten Licht hingegen signalisiert sie uns, dass ein Weiterfahren nicht nur verboten ist, sondern auch Gefahr bedeuten kann. Auch einer der weltweit größten Fastfood-Konzerne nutzt diese komplementären Bedeutungsdimensionen der beiden Farben für seine Marketingstrategien. 2010 kündigte McDonald’s an, die Grundfarbe der Corporate Identity zu wechseln. Von Rot zu Grün. Eine durchaus erfolgreiche, wenn auch mutige Veränderung. Jahrelang war der Konzern für das goldene M auf rotem Grund bekannt gewesen. Doch Hand in Hand mit dem Farbwechsel geht bei McDonald’s ein Imagewechsel. Mehr gesunde Produkte wie Wraps, Suppen und Salate sollen wegführen vom Image der ungesunden, dickmachenden Lebensmittel. In diesem Kontext wird durch den Farbwechsel Rot zum Symbol für das Ungesunde. Das neue frische Grün hingegen steht für nicht nur gesunde, sondern auch ökologische Produkte.[iv] Rot für das Verbotene, Grün für das Erlaubte – die beiden Farben als Gegensätze konstruiert. Dass weiterhin Burger, Pommes und Ketchup für den Konzern am absatzstärksten sind, würde nicht allzu sehr überraschen.

Hartmut knurrte der Magen. Bereits seit einer Stunde räumten er und die ebenfalls verdonnerten Kollegen auf, was er angerichtet hatte. Und nur weil er in der Hektik den falschen Knopf gedrückt hatte. Seine Frau hatte bereits mehrmals versucht ihn zu erreichen, nach dem zweiten Anruf hatte er sein Handy dann auf lautlos gestellt. Ärger gab es sowieso. Das könne er nicht mehr ändern, sagte sich Hartmut im Stillen. Priorität hatte jetzt, dass er in seiner zweiten Woche im neuen Betrieb nicht gleich wieder hochkant rausflog. Er ignorierte seinen Magen und griff nach einem der Kartons, die die herabstürzende Hebebühne aus dem Regal in die Tiefe gerissen hatte. Auf der Heimfahrt würde er in den nächst gelegenen McDrive fahren und seinen Hunger stillen, nahm sich Hartmut vor.


[i] Welsch, Norbert / Liebmann, Claus Chr. (Hg.): Farben. Natur – Technik – Kunst. Heidelberg 2012, S.126.

[ii] Knuf, Joachim: Unsere Welt der Farben. Symbole zwischen Natur und Kultur. Köln 1988. S.81-83.

[iii] Heller, Eva: Wie Farben wirken. Farbpsychologie – Farbsymbolik – Kreative Farbgestaltung. Reinbek bei Hamburg 1989, S. 83.

[iv] SpiegelOnline: Farbentausch beim Logo: McDonald’s hat Rot nicht mehr lieb. http://www.spiegel.de/wirtschaft/unternehmen/farbentausch-beim-logo-mcdonald-s-hat-rot-nicht-mehr-lieb-a-662846.html (letzter Zugriff 29.03.2014).

Süddeutsche: Ökostrategie von McDonald’s. Grün allein genügt nicht. http://www.sueddeutsche.de/wirtschaft/oeko-strategie-von-mcdonalds-gruen-allein-genuegt-nicht-1.150589 (letzter Zugriff 29.03.2014)