Die Polizei trägt Blau: Erkenntnisse nach einer Verkehrskontrolle

An einem sonnigen Mittwochnachmittag fahre ich mit meinem Auto durch Tübingen.
Auf dem großen Platz vor dem Feuerwehrgerätehaus stehen Polizeiautos und einige PolizistInnen. Einer von ihnen winkt mich aus dem Verkehr. Der Griff auf meine Schulter verrät mir meinen Fehler noch bevor ich das Fenster heruntergelassen habe: ich bin nicht angeschnallt. Während der Polizeibeamte meine Fahrzeugpapiere begutachtet, habe ich zum ersten Mal seit Einführung der neuen Uniformen Gelegenheit, die so viel diskutierte blaue Robe aus unmittelbarer Nähe zu betrachten. Mir stellt sich eine Frage: Wieso wurde ausgerechnet dieser Blauton für die Uniform gewählt?[1]

Verkehrskontrolle (2)

Abbildung 1: verschiedene Blautöne wirken auch unterschiedlich.

Ich rufe mir die Literatur über Farbe, die ich bereits gelesen habe, ins Gedächtnis. Blau ist nicht gleich Blau. Denn zahlreiche Einflussfaktoren spielen bei der Wahrnehmung von Farbe eine Rolle: die genaue Nuance des Tons, seine Helligkeit, umliegende Farben, der Bezugsrahmen in dem die Farbe verwendet wird.[2] Die Liste ist lang.

In meiner Situation steht das Blau in einem sehr speziellen Kontext, es ist die Farbe der Polizei geworden. Hinter der blauen Uniform steht nicht weniger als die ausführende Staatsgewalt, das Gesetz – und damit eine ihrer wichtigsten Bedeutungsdimensionen.[3]
Ich versuche mich aber auf die Farbe an sich zu konzentrieren. Sie ist sehr dunkel.
Ein „klassischer“ Blauton wäre meinem Farbempfinden nach sehr viel heller, eher wie das Blau der Polizeiautos. Dieses wiederum könnte ich aber als Uniformfarbe nicht ernst nehmen, es wäre unseriöser als der dunkle Ton. Insgesamt wirkt die Uniform, so wie sie ist, stimmig auf mich. Sie lässt ihren Träger selbstsicher und autoritär erscheinen. Hier wird klar, dass durch jahrelange Erfahrungen und Eindrücke meine Wahrnehmung sowie Bewertung der Farbe durch psychologische und symbolische Dimensionen stark beeinflusst ist.[4] Gleichzeitig merke ich auch, wie schwer es ist, die Farbe von der Uniform zu trennen. Die hervorgerufenen Eindrücke, Assoziationen und Emotionen beziehen sich auf die Kombination.

Mit vielen neuen (Farb)Eindrücken fahre ich nach Hause. In wissenschaftlicher Manier erstelle ich einen digitalen Fragebogen, den ich an 15 Personen im Alter von 21-62 Jahren schicke. Ich möchte von anderen erfahren, was sie vom „Polizeiblau“ halten, wie es auf sie wirkt und welche Assoziationen es auslöst. Zuerst frage ich nach den Wahrnehmungen von zwei Blautönen, die ich als Bilddateien in großem Abstand zueinander einfüge.[5] Das eine Blau im Ton der Polizeiautos (hell), das andere in dem der Uniform (sehr dunkel). Beim helleren Blauton belief sich der allgemeine Konsens auf Zuschreibungen wie ruhig, dezent, neutral, freundlich und angenehm. Diese Aussagen spiegeln die Wirkungen von Blau wieder, wie sie auch in der Fachliteratur beschrieben werden.[6] Die Assoziationen zum dunkleren, der Uniform entsprechenden Blauton, sind dagegen „negativer“ belegt. Es fallen Schlagworte wie düster, bedrohlich, Ungewissheit und Einsamkeit. Bewertungen, die allgemein eher zu Schwarz angeführt werden.[7]

Verkehrskontrolle (1)

Abbildung 2: Das neue Blau der Polizei. Hier das Uniformmodell der Bundesländer Hessen, Rheinland-Pfalz und Thüringen.

Zuletzt folgten in meinem Fragebogen ein Bild mit uniformierten Polizeibeamten und die Frage nach deren Wirkung. Das dunkle Blau wird im Kontext der Uniform nun ganz anders beschrieben: autoritär, seriös, attraktiv, vertrauenswürdig. Diese Beschreibungen decken sich auch mit meinem persönlichen Eindruck aus der Verkehrskontrolle.
Die Diskrepanz zwischen der reinen Farbwahrnehmung und deren Wirkung in einem spezifischen Kontext wird hier sehr deutlich. Durch die Literatur waren mir diese Wechselwirkungen von Farbton und Verwendungskontext bewusst, das wirkliche Verständnis dafür kam aber erst in einer Verkehrskontrolle.

Was lerne ich daraus? Farbe wirkt. Sie wirkt unter zahlreichen Einflussfaktoren und dadurch immer anders – Wenn auch in den meisten Alltagssituationen nur unterbewusst. Trotz der zahlreichen und aufschlussreichen Literatur zum Thema: Farbe muss erlebt werden.
Ein Gefühl für sie kann nicht nur durch das Lesen entwickelt werden. Erst die persönlichen Eindrücke und das permanente Hinterfragen schulen den Blick und eröffnen Forschungsfelder.
Und zuletzt eine weitere wichtige Erkenntnis: Auf keinen Fall das Anschnallen vergessen!
In meinem Fall drückt der Beamte letzten Endes beide Augen zu und lässt mich mit einer Verwarnung weiterfahren. Ich komme also mit einem „blauen Auge“ davon und sehe die Aufregung als Forschungsinvestition.

 


[1] In meinem Beitrag beziehe ich mich auf den dunklen Blauton der Jacken und Hosen. Das hellere Blau der Hemden und Autos wird vernachlässigt.
[2] Vgl. Harald Küppers: Das Grundgesetz der Farbenlehre. 9. überarb. u. aktual. Aufl. Köln 2000, S.14f.
[3] Vgl. Lutz Unterseher: Uniformierung: Ein Tableau von Bedeutungen. In: Sandro Wiggerich und Steven Kensy (Hg.): Staat Macht Uniform. Uniformen als Zeichen staatlicher Macht im Wandel? Stuttgart 2011, S.17-24, hier: S.18.
[4] Vgl. Eva Heller: Wie Farben wirken. Farbpsychologie, Farbsymbolik, kreative Farbgestaltung. 6. Aufl. Reinbeck bei Hamburg 2011, S.13f.
[5] Durch den Abstand soll der direkte Vergleich der beiden Farben durch den Leser vermieden werden.
[6] Vgl. Heller 2011, Farbtafeln ab S.49ff.
[7] Vgl. Ebd. S.92.

Abbildung 1 wurde von der Autorin zusammengestellt.
Abbildung 2 stammt von: http://commons.wikimedia.org/wiki/File:Uniformmodell_Hessen4.JPG?uselang=de [Zugriff: 15.03.2014].