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Unser Pink – Erinnerungen an eine Farbe

Das Ehepaar Erika und Wolfgang1 sitzt an seinem Wohnzimmertisch, auf dem ein magentafarbenes Blatt liegt, und erzählt von seinen Begegnungen mit der Farbe Pink. Auf der assoziativen Suche nach der gesellschaftlichen Rolle dieser Farbe streift ihre Erinnerung immer wieder biografische Stationen. So ist nun eine kleine ‚Farbbiografie‘ entstanden.

Pfarrer und Pfingstrosen. Betritt man heute ein Geschäft für Kinderbekleidung, so sind die Farbtendenzen doch recht eindeutig: Pink- und Rosatöne dominieren unübersehbar das Angebot für Mädchenkleidung. Das war in den 50er Jahren noch anders. „Ich hab als kleines Mädchen so ’ne Farbe nicht gehabt“, bemerkt Erika, die 1948 geboren ist, „die Leute waren ja alle grau in grau und schwarz angezogen, alle die gleichen Frisuren.“ Erinnerungen an die Farbe Pink teilen aber die beiden Gesprächspartner dennoch: „Meine Großmutter, die hatte einen Garten und da kann ich mich schon dran erinnern an diese Farbe, also in der Kindheit, des gab’s“, erzählt Wolfgang, nachdem seine Frau eine prägende Kindheitserinnerung an die Fronleichnamsprozessionen bei ihr im Dorf aufleben ließ. Dort durften die Kinder Blüten auf die Straße werfen und am eindrücklichsten waren dabei für sie die Pfingstrosenblüten:

"so eine Fülle mit dieser Farbe" - Pfingstrosenblüte

„so eine Fülle mit dieser Farbe“ – Pfingstrosenblüte

„Das war so eine Fülle mit dieser Farbe. Meine Mutter hat mir wenig Blüten gegeben zum auf den Boden werfen, weil sie musste die kaufen. […] Und ich hab diese Pfingstrosen gesehen, ich lieb die heute noch, und ich war so neidisch auf die, die Pfingstrosen in ihrem Körbchen hatten und konnten diese Pfingstrosen auf den Boden werfen.“

Mit dem kirchlichen Kontext assoziiert auch Wolfgang die Farbe. So erinnert sich der in einer katholischen Gemeinde aufgewachsene, dass die Priester zu bestimmten Zeiten ihre Gewänder in ebendieser Farbe trugen. Die Farbe weckt bei beiden aber auch die Erinnerung an „diese Himbeerbonbons beim Jahrmarkt, als wir noch klein waren. […] Das war ’ne Offenbarung!“

Die Kindheitserinnerungen an die Farbe Pink sind bei beiden durchweg positiv und emotional aufgeladen und zeichnen sich durch ihren Seltenheitswert aus. Es ist die Freude an Frühlings- und Sommerblumen und der seltene Genuss von Himbeerbonbons, mit dem die Farbe verbunden wird.

Breitcord und Mokassins. Mit dem Erwachsenwerden eroberten Erika und Wolfgang für sich die Farbe in der Kleidung, aber Pink wurde zunächst noch mit Vorsicht verwendet. „Das hat jemand an, der in den Puff geht, oder ’n kleines Schlämpchen“, paraphrasiert Erika die herrschende Einstellung in den 60er Jahren. Angeregt durch die Hippiebewegung neigten aber beide bald dazu, Konfrontationen aufgrund ihrer Kleidung in Kauf zu nehmen. „Ich hab mit meiner Kleidung große Probleme gehabt, beruflicher Natur“, erinnert sich Erika, die als 23jährige bei ihrer kurzen Karriere als Regierungsinspektorin ihre himbeerfarbene Breitcordhose nicht gegen ein dunkelblaues Kostüm eintauschen wollte. Wolfgang hatte während dieser Zeit bei seinen Aufenthalten in den Staaten „’ne bunte Welt“ kennengelernt, die er sich sogleich aneignete. Schwärmend berichtet Erika über die Kleidung ihres späteren Mannes, als sie sich mit Mitte 20 kennenlernten: Knallblaue Breitcordhose, lila Pullover, Indianerkettchen und Jesuslatschen und einen gelben Käfer habe er gehabt.

Überreste aus der "Rosa-Pink-Phase"

Überreste aus der „Rosa-Pink-Phase“

In den 80er Jahren hatte sich das Tabu um die Farbe Pink dann soweit gelöst, dass sie Einzug in die Kleiderwelt des Ehepaars, mittlerweile beide Lehrer, fand. Erika hatte ihre „Rosa-Pink-Phase, wo [sie] ganz extrem dies trug“ und Wolfgang erinnert sich mit ein bisschen Wehmut an ein Paar pinkfarbene Mokassins, die er auch als Lehrer anhatte. „Da gab’s Schüler, die haben gesagt, sie finden die affengeil, die Schuhe“, bemerkt Erika.

Obwohl die Farbe von beiden in ihrer Kindheit sehr positiv erlebt wurde, bedurfte es zunächst noch etwas Zeit, bis sie selbstverständlich in Kleidung und Alltag eingesetzt werden konnte. Wolfgang und Erika verweisen dabei häufig auf eine gesellschaftliche Restriktion, die sich ihren Aussagen nach erst in den 80er Jahren lockerte.

Strickmützchen für die Jungs

Strickmützchen für die Jungs

Lila Jäckchen und Lillyfee. Anfang der 80er Jahre kamen dann auch die beiden Söhne zur Welt. Für die Babykleidung wählte Erika auch gerne mal Rosa-, Lila- und Pinktöne, weil sie „das einfach schöner fand als Blau.“

Knapp 30 Jahre später kommen die lila Jäckchen und pinken Mützchen wieder zum Einsatz, als eine Enkeltochter geboren wird. Heute rollt ein pinkfarbener Lillifeeball durch die Wohnung. Durch den Umgang mit der Enkelin sehen sich Erika und Wolfgang mit einer neuen Dimension der Farbe konfrontiert.

Sandeleimer der Enkeltochter

Sandeleimer der Enkeltochter

„Wir waren jetzt im Spielwarenladen, da ist es in allen Variationen, siehst du die Farbe. […] Das ist ja ein Überfluss ohne Ende, wenn du mit so ’nem kleinen Kind in so ’nen Laden gehst, oder ’nen Bilderbuch anschaust, oder egal, die werden ja so schon, die kriegen ja so viele Angebote, und dann ist das Mädchenfarben, bamm. […] Das erschlägt mich, das mag ich nicht. Also möcht ich auch nicht, dass die Maja aufwächst, das ist so: Pink, Rosa, Mädchen. Sondern ich finde, ich möchte den ganzen Spannungsbogen von allen Farben.“

Und hier verweist Erika wieder auf sich, wie sie sich die Farbe als Kind aus der Natur geholt habe und selber entscheiden konnte, dass sie die Farbe der Blume schön fand. Das, was den beiden gewissermaßen ein emanzipatorischer Akt über Jahrzehnte war, nämlich Kleidung und Gegenstände in der Farbe Pink selbst zu wählen, wird der Enkelgeneration – sofern sie weiblich ist – von vorn herein übergestülpt.

Herbstfarben? Am Schluss des Gespräches wagt Wolfgang noch eine These: Die Bevorzugung einer Farbe habe auch etwas mit dem Alter zu tun, mit dem „Lebensbogen“ oder der persönlichen „Saison“ wie er es nennt. Die Farbe Pink sei dabei eher etwas für die jüngeren Jahre, „Erika, wir sind mitten im Herbst“. Doch ein Blick auf seine Frau genügt, um diese These zu relativieren. Seit ein paar Tagen trägt sie wieder eine pinkfarbene Mütze und heute zufällig sogar ein Oberteil in derselben Farbe. „Fängt jetzt wieder an“, kommentiert sie und erinnert Wolfgang: „Deine Mutter trägt auch so ’ne Farbe.“

Erikas momentane Lieblingsmütze

Erikas momentane Lieblingsmütze

Was kann diese kleine Farbgeschichte aus der Perspektive zweier Menschen über die gesellschaftliche Bedeutung der Farbe Pink erzählen? Sicherlich ist Farbwahrnehmung eine äußerst subjektive Angelegenheit. Die Erfahrungen eines Menschen mit einer Farbe sind stark an Ereignisse geknüpft und daher sehr individuell. Dennoch sind die Deutungsmuster und Erlebnisse nicht ohne den gesellschaftlichen Kontext zu denken. So zum Beispiel das Bunter-werden der Mode ab den 60er-Jahren, oder die Pinkwelle in den 80ern. Was aber beim Thema Farberinnerung berücksichtigt werden muss, ist – wie bei jeder Erinnerung – der jeweilige gegenwärtige Moment des Erinnerns. Unter welchem Einfluss wird die eigene Erfahrung erzählt und werden durch die Narration Konstanten und Entwicklungen möglicherweise erst konstruiert? So wurde hier eine Art emanzipatorische Aneignungsgeschichte erzählt, die aus der gegenwärtigen Haltung des selbstbestimmten Umgangs mit der Farbe Pink, der sich scheinbar von gesellschaftlichen Trends freimacht, entspringt.

 

1 Namen anonymisiert. Das Material für diesen Beitrag und alle verwendeten Zitate stammen aus einem knapp zweistündigen Interview.

 

 

Kontroverses Pink – Die Grenzen einer Farbe

 „People seem to know exactly where pink belongs and where it doesn’t.“1 So äußert es Barbara Nemitz in ihrem Essay Pink – The Exposed Color. Tatsächlich scheint diese Farbe mit bestimmten Konnotationen und Klischees aufgeladen zu sein, die eine neutrale Verwendung beinahe unmöglich machen. In meinen Gesprächen2 über die Farbe Pink wurde diese Tendenz sehr deutlich. So äußerte eine Studentin im Laufe des Gesprächs: „Ich find’s eigentlich schon ’ne schöne Farbe. Aber ich würde mir nichts in der Farbe kaufen, oder auch keine Möbel in der Farbe in die Wohnung stellen, weil ich finde, dass es nicht zu mir passt.“

Was sie ablehnt, ist also nicht die Farbe an sich, sondern der Kontext mit dem die Farbe assoziiert wird. Was nicht „passt“ ist demnach das Bild, das die Studentin von sich hat und transportieren will und das Bild, dem sie die Farbe zuordnet. „Weil ich nicht so der Mädchentyp bin,“ umschreibt sie es vage, während ein anderer Interviewpartner in diesem Zusammenhang den Begriff „Barbie-Bitchy-Girlystyle“ kreiert. „Das ist so ne Farbe, wenn man die trägt, dann ist das schon was Spezielles. Wenn man kein Mädchen mehr ist, weil die tragen das ja immer.“

Junge?

Junge?

Es scheint also Personengruppen zu geben, bei denen die Farbe erwartungsgemäß Verwendung findet. Dazu gehören in erster Linie Mädchen im Kindergarten- und Grundschulalter, aber auch Frauen, die sich ihr Mädchenimage erhalten wollen. Bei anderen dagegen wirkt ein pinkfarbenes Kleidungsstück irritierend, wenn nicht gar provozierend. Nach Aussagen der meisten Interviewpartner sind es Erwachsene und vor allem Männer, bei denen die Farbe nicht akzeptiert, oder zumindest mit verstörten Reaktionen verbunden ist. So erinnert sich ein Gesprächspartner an den ‚Skandal‘ im deutschen Fußball, als Torhüter Tim Wiese im pinken Trikot auflief. „Das heißt, der hatte hinter sich 60 000 Leute, die ihn einfach 90 Minuten lang ausgelacht haben für sein Trikot. […] Also der hat mega die Eier bewiesen.“ Der Gesprächspartner deutet den Vorfall so, dass hier eine Normgrenze überschritten wurde: Fußball als Männersport, bei dem die Farbe Pink nichts zu suchen hat, da sie der weiblichen Domäne zugerechnet wird. Die Irritation löst gemischte Emotionen aus, die von Entrüstung über Spott bis hin zu Bewunderung reichen: der Träger – oder Initiator der Provokation – „hat Eier bewiesen“.

oder Mädchen

… oder Mädchen?

Die Erfahrung, dass die Farbe Pink nicht bei jedem Träger Akzeptanz findet, machte auch ein sechsjähriger Gesprächspartner:

„Einmal, das fand ich voll blöd im Kindergarten, als ich ein rosa Kleidchen angehabt hab, dann: Du bist ein Mädchen! Du bist ein Mädchen! – Ich hab das ganz schön gefunden, aber die Klara hat mich schon… Und dann als sie dann was blaues anhatte, hab ich gesagt: Du bist ’n Junge, du bist ’n Junge!“

Hier war die Provokation nicht intendiert und führte bei diesem Kind stattdessen zu einer Verfestigung der erfahrenen Rollenbilder. Kaum eine Farbe ist derzeit noch so geschlechtsgebunden und mit Stereotypen behaftet wie Pink, auch wenn dies von vielen Seiten stark kritisiert wird.

Obwohl die meisten Gesprächspartner und -partnerinnen von einem Prozess sprachen, bei dem die Farbe langsam ihre stigmatisierende Wirkung verliere, reproduzierten sie ebendiese Bilder: Pink hat „was Nuttiges“, „was Flashiges“, ist „Shocking“ und der Einsatz der Farbe wirkt häufig exzentrisch.

„Hat mit Anderssein zu tun, diese Farbe“, meint eine ältere Gesprächspartnerin. Oder, wie es ein anderer formulierte: „So emanzipiert ist die Farbe noch nicht“, dass sie frei von bestimmten Assoziationen eingesetzt werden könnte. In diesem Sinne wirkt sie als Distinktionsmittel, was sich vor allem in der Ablehnung äußert.

Pink, pink, pink sind alle meine Kleider, weil ich ein Mädchen bin!

Pink, pink, pink sind alle meine Kleider,                               – weil ich ein Mädchen bin!

Am Beispiel von Pink zeigt sich, wie Farben eine temporäre kulturelle Bedeutungsprägung erhalten können, die wandelbar, aber im momentanen kulturellen Kontext schwer zu umgehen ist. Es wird eine Symbolkraft entwickelt, die bestimmte Konnotationen hervorruft und der unkonventionelle Einsatz der Farbe kann zu einem gewollten oder ungewollten Normverstoß werden. Ebendiese Normverstöße jedoch relativieren mit der Zeit die festgelegte Symbolkraft und setzen nach und nach einen Bedeutungswandel in Gang. Farbe hat keine Bedeutung, erst der gesellschaftliche Gebrauch verleiht sie ihr.

1Barbara Nemtiz: Pink. The Exposed Color. In: Barbara Nemitz, Hideto Fuse (Hg.): Pink. The Exposed Color in Contemporary Art and Culture. Ostfildern/New York 2006, S. 27.

2Es wurden vier ca. einstündige Interviews mit jeweils einem männlichen Gesprächspartner und einer weiblichen Gesprächspartnerin im Alter zwischen sechs und 66 Jahren geführt.