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„THE GREAT GATSBY“ – FARBSYMBOLIK ZWISCHEN DEN JAHRHUNDERTEN

Baz Luhrmann lädt ein in die schillernde Welt der Goldenen Zwanziger. Der Zuschauer verliert sich in der Erzählung des jungen Brokers Nick Carraway, der durch den Selfmade-Millionär Jay Gatsby, den Glanz und das Elend des amerikanischen Traums sowie das Leben der oberen Zehntausend miterlebt. Explodierende Farbwelten und bildgewaltige Inszenierungen rauschender Feste geleiten durch die Oscar prämierte Romanverfilmung “The Great Gatsby“, dessen episches Finale durch seinen heimlichen Hauptdarsteller, die allgegenwärtige Symbolik der Farben, bestritten wird.

Der Blockbuster aus dem Jahr 2013 lebt durch die universelle Sprache der Farben. Doch wie gestaltet sich dieser Sachverhalt bei der Verfilmung seines älteren Bruders aus dem Jahr 1974? Ein Blick in die Filmgeschichte soll enthüllen, ob sich die Farbsymbolik in rund 40 Jahren signifikant geändert hat und die dadurch transportieren Motive aus der Perspektive der Filmästhetik eine abweichende Handlung erzählen? Um diesen Fragen nachzugehen werden im Folgenden zwei identische Filmsequenzen aus dem großen Gatsby analysiert, die unter der Regie von Baz Luhrmann (2013) und Jack Clayton (1974) entstanden sind:

Das türkisblaue Wasser des Pools, das Ornament einer blaue Blume auf seinem Grund und die Weiten des Himmels über der blauen Bucht, es sind die subtilen Boten des Todes die das Publikum auf das Lebensende Jay Gatsby´s, gespielt von Leonardo DiCaprio, hinweisen. Blau als die Farbe des Todes übernimmt in dieser Filmsequenz das leitende Motiv der Handlung, die der Regisseur Baz Luhrmann geschickt in Szene setzt. (http://youtu.be/WfNE-pTRTH8?t=8s – Jay Gatsby in seinem Pool (2013))

In der Minute seines Todes steht Gatsby auf den Treppenstufen seines Swimmingpools. Den Blick starr über das Meer gerichtet, hin zu dem Anwesen seiner Jugendliebe Daisy. Ein Schuss fällt, Jay Gatsby ist getroffen. Wissend um sein Schicksal, blickt der Zuschauer in seine durchdringenden hellblauen Augen (http://youtu.be/WfNE-pTRTH8?t=1m7s – Gatsby wird von einer Kugel getroffen (2013)), bis dieser, wie von einer unsichtbaren Kraft angezogen, nach hinten in den Pool fällt. Das “Wassergrab“ bemächtigt sich seiner. Zu Boden sinkend umhüllt ihn dass lichtdurchflutete Blau des Pools, das in diesem Moment die Existenz aller Farben zu verdrängen scheint. Es ist ein wiederkehrender Charakter, allgegenwärtig und dominierend, der “Blaue Tod“ (Blockbeitrag “Der blaue Tod“ – Hollywood stirbt in einer Farbe), erzählt die letzten Minuten aus Jay Gatsby´s Leben. – SCHNITT!

Der Sprung in die 70´er Jahre Hollywoods. Eine neue Szene, ein fremdes Filmset aber der Anblick eines seltsam vertrauten Stimmungsbildes widerfährt dem Zuschauer. Der Wind streift langsam durch die blauen Vorhänge von Gatsby´s Terrasse, sein Anwesen spiegelt sich in der hellblauen Wasseroberfläche des Pools und eine marineblaue Luftmatratze schwimmt unbemannt auf dessen Mitte. Bereits 40 Jahre zuvor schlich sich das drohende Unheil über die Sprache der Farbe in die Kinosäle und Blau war ihr Hauptdarsteller.(http://youtu.be/c1jh57Kn96s?t=2s – Anwesen Jay Gatsby´s (1974))

Ungeahnt dessen bahnt sich Jay Gatsby, verkörpert durch Robert Redford, den Weg zu der auf dem Pool treibenden Luftmatratze und lässt sich gedankenversunken auf ihr nieder. Es ist die Ruhe vor dem Sturm, es ist die blaue Luftmatratze, die Jay Gatsby noch über Wasser hält, es ist eine fast friedliche Stimmung, die sich in dieser Sequenz abzeichnet. Unbeobachtet nähert sich ein weiterer Darsteller. Verborgen durch die blauen Vorhänge richtet er die Waffe auf Gatsby und schießt. Nicht aufhaltbar zieht ihn das Wasser in die Tiefe, verschlingt ihn und gibt ihn nicht mehr frei. Nur noch schemenhaft sind Gatsby´s Umrisse zu erkennen. Was bleibt ist das Rot seines Blutes vor dem blauen Hintergrund des Todes.

Zeit verstreicht, unaufhaltsam, kontinuierlich, rund vier Jahrzehnte liegen zwischen Baz Luhrmanns und Jack Claytons Interpretation des großen Gatsby. Ihre Farbwelten verblassen nicht, wie dargestellt transportieren sie identische Motive und gleichen sich in ihren Handlungssträngen. Die Farben des Filmes sprechen dieselbe Sprache. So scheint es, dass der “blaue Tod“ über die Jahrhunderte hinweg ein zeitloses, jedoch kein farbloses Erscheinungsbild ist, welches durch die Regisseure Hollywoods ausdrucksstark inszeniert wird.

„DER BLAUE TOD“ – HOLLYWOOD STIRBT IN EINER FARBE

Zu Beginn des 19. Jahrhunderts erschien Farbe zum ersten Mal im Film. Mit Hilfe der Schablonenkolorierung wurde der Farbwelt im Kino zu jener Zeit erstes Leben eingehaucht. 60 Jahre später löste die Farbfilmtechnologie den Schwarzweißfilm ab und eroberte das Genre des Westerns und des Musicals.[1] Gegenwärtig werden die Grundfarben in Mehrschichtfarbfilmen in mehr als einem dutzend Farbschichten übereinandergelegt und das Farbverfahren somit scheinbar perfektioniert.[2]

Eine Existenz Hollywoods vor dem Angesicht abstinenter Farbwelten ist daher nur noch mit wenigen Ausnahmen, wie dem Oscar prämierten Schwarzweißfilm „The Artist“ aus dem Jahr 2011, vorstellbar. Ausschlaggebend ist die Geschichte und Symbolkraft jener Farben, die dem Zuschauer auf einer Metaebene begegnen, welche die Filmklassiker zum Leben erwecken und die Hauptdarsteller in ihrem Schein sterben lassen.

Blau ist hierbei die zentrale Farbe, die den Ton angibt. Filmästhetisch betrachtet erscheint sie neben den nächtlichen, trübseligen und melancholischen Assoziationen, als die Farbe des Todes.[3] Schicksalshafte Begegnungen mit der ausdrucksstarken Farbkomponente definieren die Handlung diverser Filmepen. Ridley Scott thematisiert sie in seinem Werk „Gladiator“ aus dem Jahr 2000. Der Held Maximus Decimus Meridius, versunken in seiner Todesvision, steht inmitten einer blau melierten Asphodelenwiese, dem Jenseitsland der Unterwelt. [4] (http://youtu.be/72uwmHsFSAg?t=2m23s – Maximus Decimus Meridius Todesvision) Tom Tykwers gescheiterten Helden des Dramas „Heaven“ aus dem Jahr 2002 erscheint der Tod als bildliche Metapher des hellblauen Himmels, dem sie in einem Helikopter entgegen fliegen.[5] Eine inszenierte Himmelfahrt im religiösen Kontext, eine Flucht in die Unendlichkeit des Blauen, die den Akteuren über den Tod hinaus eine neue Perspektive eröffnet. (http://youtu.be/RDLNnCwq4dQ?t=10m – Tom Tykwers gescheiterte Helden fliegen Richtung Himmel)

Als symbolische Erscheinung vertreibt der blaue Tod in vielen Sequenzen den realistisch in Szene gesetzten Tod aus dem Film.[6] So tritt auch das tiefe und meist undurchdringliche Blau des Wassers als Gespiele des Todes auf. Der amerikanische Lyriker Walt Whitman beschreibt diese Erscheinung folgendermaßen: „Das Wassergrab ist stets bereit, den Körper des Ertrinkenden zu bergen und ihm ein neues Leben in einer anderen Existenzform, eine Wiedergeburt, zu schenken. Der blaue Tod im Wasser vollzieht sich – so verstanden – mitten im Leben.“[7] Darsteller versinken sinnbildlich im Unbekannten und Grenzenlosen, in der blauen Ewigkeit, die sie umhüllt und verschlingt, die ihnen das Ende und zugleich einen Neuanfang ihres Lebens offenbart.

So geschehen in dem Antikriegsfilm „The thin red line“ von Terrence Malick aus dem Jahr 1998. Private Witt, gefangen im Pazifikkrieg, fällt auf dem Schlachtfeld. Witts Charakter wird erschossen, seinen eigenen Tod erlebt dieser jedoch durch das gleichnishafte Eintauchen in das blaue Meer. Fern der blutigen Realität nimmt sich das Wasser seiner an und überführt ihn in eine weit entfernte Welt. Es ist ein friedlicher, ein leichter Zustand den Witt erlebt, befreit von Schmerz und Angst.[8]

Der blaue Tod beschreibt keine eindimensionale Begegnung mit den gefallenen Helden Hollywoods. Unendliche Weiten des Himmels, grenzenlose Tiefe des Meeres, Flucht in die Mythologie, es wird variationsreich gestorben und die Farbe Blau spielt dabei den unbeirrten Begleiter.


[1] Vgl. Gert Koshofer: Color. Die Farben des Films. Mit einer Einführung von Raymond borde. Berlin 1988, S.7-9.
[2] Vgl. Susanne Marschall: Farbe im Kino. 2. überarbeitete Auflage. Marburg 2009, S. 314-315.[3] Vgl. ebd., S.61.
[4] Vgl. ebd., S.64.
[5] Vgl. ebd., S.66.
[6] Vgl. ebd., S.64.
[7] Ebd., S.63.
[8] Vgl. ebd.