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Achtung, die Ampel wird blau! Zur Wechselwirkung zwischen Sprache und Farbwahrnehmung.

Green, verde, zelyoniy, yeşil, akhdar, , grön, harā … so lautet das deutsche Wort grün in einigen anderen Sprachen. Doch so eindeutig die Übersetzung zunächst scheint, der damit bezeichnete Farbraum ist weder zwangsläufig identisch noch über die Zeit konstant. Eine gewagte These? Mitnichten. Die ‚Türkisierung‘ der japanischen Verkehrsampeln kann dies auf charmante Weise zeigen.1

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Eine Ampel vor dem Yahiko Shrine bei Niigata/Japan, Aufnahme von 2007. Foto: Chrissam42/Flickr, CC BY-NC 2.0, Original bearbeitet.

Im Zuge der Internationalisierung von Ampelanlagen, die ab den 1930er Jahren auch in Japan den Verkehr regeln sollten, verankerte sich im kulturellen Gedächtnis gleichzeitig die jeweilige landessprachliche Benennung der Farbfolge Rot–Gelb–Grün. Die drei Farben, hintereinander genannt, stehen gar symbolisch für eine Ampel. Die japanische Bevölkerung empfand mit den Jahrzehnten zunehmend eine Diskrepanz zwischen der Nennung der Ampelfarben – aka–kiiro–ao 赤黄色青 – und der farblichen Wahrnehmung, die sie beim drittgenannten Licht machten. Ließ sich bei der Einführung der Ampel unter der Farbbezeichnung ao noch ein weiter Farbraum einfassen, assoziierte man darunter später vorrangig Blautöne. Das dritte Ampellicht fiel also nicht mehr unter den Farbton, den man typischerweise mit ao bezeichnen wollte. An seine Stelle rückte vielmehr das wiederentdeckte Wort midori , das fortan sprachlich den grünen Bereich abbildete. Was war hier passiert?

Das Farbvokabular einer Sprache ist nie abgeschlossen und verändert sich weiter, oft bedingt durch Wortneuschöpfungen oder das Überführen von Fachtermini aus dem Mode- und Marketingbereich in die Umgangssprache.2 Damit etablieren sich gleichzeitig neue Grenzziehungen im an sich fließenden Farbspektrum. Welcher Wellenlängenbereich des Lichts fällt nun unter das Wort ao, welcher unter midori? Der Wortschatz einer jeweiligen Sprache und die Wahrnehmung farblicher Reize korrespondieren dabei miteinander: Mit dem Erlernen und Einüben eines neuen Farbwortes erhöht sich auch die kognitive Sensibilität, den entsprechenden Farbraum als eigenständige Farbe zu empfinden.3 Werden die im jeweiligen kulturellen Kontext gebräuchlichen Sprachbezeichnungen zu einer verinnerlichten Routine, dann erleben wir einzelne Farbtöne entlang der entsprechenden Farbwörter auch als passend.4 Die eine farbliche Nuance erscheint uns typisch für den Farbnamen, eine andere schon nicht mehr.

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Normfarbtafel der CIE (1931) für das Spektrum des sichtbaren Lichts. Die englischen Farbbezeichnungen sind dem Munsell-Farbsystem entlehnt. Foto: Wikimedia Commons.

Im Fall Japan sah man keine Übereinstimmung mehr zwischen den Farbraum-Assoziationen, die man an das Farbwort ao knüpfte, und dem Farbton, den die Ampel doch täglich anzeigte. Wie stark die Macht der Sprache ist, wird anhand der Verfügung deutlich, mit der die japanische Regierung 1973 schließlich das Problem löste: Alle Ampeln auf japanischem Boden wurden umgerüstet. Statt die Bezeichnung für das dritte Licht einfach von ao in midori umzuändern, passte man die physische Realität der Sprache an, soweit wie es das internationale Abkommen über Verkehrszeichen möglich machte. Die bisherigen Streuscheiben wurden mit neu eingefärbten Teilen ersetzt und leuchten seitdem in einem ao, das man in deutscher Sprache als bläulichen Grünton oder Türkis bezeichnen könnte.

Das Beispiel Japan ist näher als wir denken. Denn was hat es mit der fehlenden Eindeutigkeit auf sich, die im deutschen Kontext mit dem Gelb der Ampel verbunden ist: Passt nicht eher, die Farbe des mittleren Ampellichts mit dem Wort orange zu benennen…? Sprache formt unsere Wahrnehmung und unser Denken.5 Wir nehmen Farbreize als die Farben wahr, die uns durch Sprechgewohnheiten unserer Muttersprache(n) eingeprägt worden sind. Erst mit einem kulturell vermittelten Farbvokabular erlangen Farbtöne ihre Eindeutigkeit.

 

1 Die folgende Schilderung ist entnommen Guy Deutscher: Im Spiegel der Sprache. Warum die Welt in anderen Sprachen anders aussieht. München 2010, S. 247f.

2 Norbert Welsch/Claus Chr. Liebmann: Farben. Natur – Technik – Kunst. Heidelberg 2012, S. 16.

3 Vgl. Lera Boroditsky: Wie die Sprache das Denken formt. In: Spektrum.de, 15.03.2012. Verfügbar unter: http://www.spektrum.de/alias/linguistik/wie-die-sprache-das-denken-formt/1145804 (Zugriff am 20.02.2014).

4 Joachim Knuf: Unsere Welt der Farben. Symbole zwischen Natur und Kultur. Köln 1988, S. 20.

5 Deutscher 2010, S. 32.

Rot–Gelb–Grün im Takt. Wie Farben im Straßenverkehr zum Handlungsanweiser werden.

Mal schwimmen wir auf der grünen Welle, mal verfluchen wir das Dauerrot an einer unbefahrenen Kreuzung: Ampeln sind im urbanen Alltag selbstverständlicher Wegbegleiter. Es sind dabei die drei Farben Rot, Gelb und Grün, die unsere Bewegungen steuern, ein Gehen und Stehen auf Befehl. Wir zollen diesen drei Farben täglich Sekunden des Gehorsams.1

Eingeführt wurden Lichtsignalanlagen um die Jahrhundertwende. Sie sollen den Verkehrsablauf auf den Straßen flüssiger und sicherer machen. Eingebettet sind sie in entstehende Verkehrsleitsysteme, in denen nicht allein Piktogramme und Schrift, sondern auch Farben zu zentralen Codes werden.2 Im Laufe des 20. Jahrhunderts erfährt die Ampel ihre internationale Standardisierung und Verbreitung: Rot bedeutet stop, Grün go. Und das weltweit.

„Achtung Ampel“ – Verkehrsschild der deutschen Straßenverkehrsordnung.

„Achtung Ampel“ – Verkehrsschild der deutschen Straßenverkehrsordnung.
Foto: Wikimedia Commons.

Warum schafften es genau diese drei Farben in den Olymp der Straßenverkehrsordnung? Ästhetischer Geschmack oder nationaler Distinktionswunsch mögen für die Ingenieure und Gesetzgeber nicht ausschlaggebend gewesen sein. Die Spuren führen zurück in die englische Schifffahrt und den im 19. Jahrhundert beginnenden Schienenverkehr, in der sich Rot und Grün schon als Warn- und Signalfarben bewährt hatten.3 Gelb wird später als Mittlerfarbe eingeführt. Dass diese Wahl nach physiologischen Gesichtspunkten äußerst geschickt war, wusste man damals noch nicht. Erst in späteren medizinischen Studien zeigt sich, wie gut das menschliche Auge auf Wellenlängen im gesättigten roten und grünen Farbbereich reagiert.4 Um welche genauen Farbtöne des Spektrums es sich bei den drei Farben zu handeln hat, regelt die Normfarbtafel der CIE (Internationale Beleuchtungskommission). Bestehende Konventionen fanden hierüber ihre Festlegung, auch wenn die sich verändernden Lichtverhältnisse auf den Straßen diese täglich untergraben mögen.

Die festgelegte Ampel-Farbfolge lebt vom Gegenüber von Rot und Grün, denen gegensätzliche Handlungsanweisungen eingeschrieben sind. Was beispielsweise bei Rot zu tun ist, lässt sich jedoch nicht über eine vermeintlich biologische Verankerung begründen. Würde rote Farbe qua natura auf Gefahr verweisen, sollte man den Gang zur Sparkasse oder das Wählen der SPD noch mal gründlich überdenken. Zeichen – und Farben fungieren als eben solche – sind erst im Handlungszusammenhang richtig zu verstehen. Auch muss man die Bedeutung der drei Ampelfarben lesen gelernt haben, wie Eltern heranwachsender Kinder gut wissen. Verstöße gegen das urbane Ordnungsprinzip der Ampel werden bestraft. Und doch zeigt sich, dass Menschen auf die Signalfolge nicht in einem Automatismus reagieren.5 Hier und da entwickeln sich individuelle Anpassungsstrategien: Man reizt die Länge des Grüns bis zum Anschlag aus oder geht auch mal quer über die Straße.

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Die Leuchtkraft einer roten Ampel bei Nacht.
Foto: 生活童話/Flickr, CC BY-SA 2.0.

Die Anweisungen hinter Rot, Gelb und Grün liegen also nicht in den Farbtönen selbst, sondern in ihrer soziokulturellen Codierung.6 Die Farbsemantik wird so zur Sprache der Verkehrsampel, die mit ihrer Schaltung Ordnung vermitteln und schaffen will. Ihre Farbfolge wird dabei zum konstitutiven Element, das auch losgelöst vom schwarzen Gehäuse eine Ampel assoziieren lässt. Durch ihre konsequente Umsetzung verankert sich die Bedeutung der Dreier-Farbfolge und es verwundert nicht, dass die Farbkombination als Bewertungsmuster in anderen Lebensbereichen Einzug hielt: Ob beim Energieverbrauch von Elektrogeräten, der Nährwertampel oder einer Hygieneampel für die Gastronomie, hier wird die Wertigkeit der drei Farben aufgegriffen. Zwischen den Polen von gut und schlecht, erlaubt und verboten bewegen wir uns im grünen Bereichoder bekommen gar die ‚rote Karte‘ gezeigt.

Bei der Wahl des Farbpaares Rot–Grün, das den Takt der Ampel bestimmt, überlagern sich in besonderer Weise physikalische, physiologische und kulturelle Bedingungen:7 In den Farben der Ampel begegnen sich Natur und Kultur.

1 Monika R. Rulfs: Rot-Gelb-Grün. Sekundenphasen der Ordnung. Ethnographische Betrachtungen über die Ampel. In: kea. Zeitschrift für Kulturwissenschaften, 1995, H. 8, S. 61-78, hier S. 76.

2 Vgl. Martin Krampen: Geschichte der Straßenverkehrszeichen. Diachrone Analyse eines Zeichensystems. Tübingen 1988, S. 146f.

3 Krampen 1988, S. 27. Man beachte: Bis heute bestehen zwischen dem amerikanischen und europäischen Straßenverkehrszeichensystem Uneinheitlichkeiten, Gefahrenzeichen werden dort Gelb, hier Rot gekennzeichnet. Daran zeigt sich, dass die Botschaft nicht in der Farbe selbst angelegt ist, sondern erst das Ergebnis von Erprobungen und Festlegungen ist.

4 Vgl. Max J. Kobbert: Das Buch der Farben. Darmstadt 2011, S. 88f.

5 Rulfs 1995, S. 71.

6 Hans Peter Thurn: Farbwirkungen. Soziologie der Farbe. Köln 2007, S. 66.

7 Joachim Knuf: Unsere Welt der Farben. Symbole zwischen Natur und Kultur. Köln 1988, S. 111.