Archiv des Autors: Melanie R.

Die Polizei in Grün und Blau: ein 178 Jahre altes Farbkarussell

Wie bereits in meinem ersten Beitrag beschrieben (http://blog.kulturding.de/?p=2305), ist die Farbe der Polizeiuniform nicht nur ein für sich stehender Farbton. Das persönliche Farbempfinden des Betrachters wird durch die Uniform beeinflusst. Betrachten wir die Uniformfarbe nun aus einer weiteren Perspektive: welche gesellschaftlichen Kontexte liegen den Farbwechseln der Polizeiuniform zu Grunde und wie hat sich die Bedeutung der Farbe dadurch in der Öffentlichkeit geändert? Besonders interessant natürlich der jüngste Farbwechsel von Grün zu Blau, den wir alle selbst miterlebt haben. Beginnen wir aber zunächst am Anfang und unternehmen eine kleine Zeitreise durch die Geschichte der deutschen Polizeiuniform und deren Farben[1]:

Ihre Geburtsstunde hat sie 1836 in Preußen. Die frühen Uniformen waren an Militärkleidung angelehnt und sowohl in Grün- als auch Blautönen gestaltet. 1848, im Rahmen der bürgerlichen Revolution und der damit einhergehenden Ablehnung des Militärs, wechselte die Uniformfarbe komplett zu Blau. Grün, da Symbol des Militärs, wurde abgeschafft und gleichzeitig der Uniformenschnitt ziviler gestaltet. Das Blau hielt sich bis zur nächsten Revolution: Nach dem Sturz der Monarchie im Jahr 1918 kehrte das Grün in die Uniformen zurück. Denn Blau war inzwischen zum Symbol der überholten Monarchie geworden. Und es sollte sich dieses Mal länger halten – bis 2003 blieb Grün die dominante Uniformfarbe der deutschen Polizei.[2]

Farbkarussell1

Abbildung 1: Sie sollte mehr Nähe zu den BürgerInnen aufbauen: die grüne Uniform.

Eine wichtige Station der grünen Uniformgeschichte bildet eine Reform im Jahr 1973.
Diese brachte eine Uniform in zivilerem Schnitt und neuen Grüntönen sowie beigefarbenen Elementen hervor. Die Polizei wollte sich damit als „hilfsbereiter Dienstleister sowie rücksichtsvoller und sachkundiger Bürgerpartner“[3] präsentieren. Der seit der ersten Revolution laut gewordene Wunsch nach mehr Nähe der Polizei zu den Bürgern wurde damit – 125 Jahre danach – endlich umgesetzt.

Was bis hierher deutlich wird: politischer und gesellschaftlicher Umbruch zog immer auch Veränderungen der Uniformen nach sich. Dabei wurde nicht nur der Schnitt sondern auch die Farbe neu gewählt, wodurch sich ihre Wirkungs- und Bedeutungsdimensionen wiederholt veränderten. Was war aber Anlass für den jüngsten Farbwechsel? Von 2003 bis heute haben alle Bundesländer mit Ausnahme von Bayern auf blaue Polizeiuniformen umgerüstet. Und zum ersten Mal in der Geschichte des Uniformenwandels stand für den Schnitt die pragmatische Dimension „Funktionalität“[4] im Vordergrund. Die Farbe Blau sollte zusätzlich einen Wiedererkennungswert innerhalb Europas schaffen. So war die Neugestaltung der Uniform zwar nicht wie bisher Reaktion auf gesellschaftliche Bewegungen, der Wechsel zog aber eine breite gesellschaftliche Diskussion nach sich – vor allem auf Grund der neuen Farbe.

Farbkarussell2

Abbildung 2: Funktional und international: die blaue Uniform (hier Modell Brandenburg).

Wiederzufinden sind die Reaktionen in den unterschiedlichsten Medien. Meine Recherchen bergen zahlreiche TV- und Radiobeiträge sowie eine nicht zählbare Menge an Zeitungsartikeln – 12 von ihnen schaue ich mir genauer an.[5] In den Artikeln kommen Expertenstimmen zu Wort, Polizeibeamte und Zivilpersonen. Die Mehrzahl der Fachstimmen begrüßt den Farbwechsel, so zum Beispiel der Farbpsychologe Harald Braem: „Der Farbwechsel ist überfällig. Mehr als 50 Prozent der Europäer nennen Blau als Lieblingsfarbe. Grün dagegen erinnert an Jäger und Förster.“[6] Auch die befragten Polizeibeamten, die Träger der neuen Farbe, empfinden das Blau als positiv, da das Grün „irgendwie belächelt wird.“ [7] Aber auch die kritischen Stimmen sind laut und zahlreich, wie beispielsweise ein Leserkommentar zeigt: bei Grün „erkennt man wenigstens noch, wer ein Polizist ist! Denn ‚blau‘ wird von so vielen anderen auch verwendet.“[8]

War es bisher so, dass gesellschaftlicher Wandel Farbwahrnehmungen und Bedeutungen veränderte (und in der Konsequenz die Uniform ihre Gestalt), so war es beim jüngsten Wechsel andersherum: Die Farbe wurde geändert, darauf folgte eine große gesellschaftliche Diskussion. Hier steht eine Farbe auch nicht mehr für sich, der Vergleich von Blau und Grün ist Kernelement der Diskussion. Und ob einzelne Stimmen nun für oder gegen das neue Blau sind, die Gemeinsamkeit besteht in der Tatsache, dass der Wechsel nicht einfach so an den Menschen vorübergeht. Farbbedeutungen entwickeln sich in gesellschaftlichen Kontexten. Farbänderungen werden daher vom größtmöglichen Publikum bewertet: der Gesellschaft selbst. Und genau diese muss nun auch auf symbolischer Ebene aus dem neuen Blau die Polizeifarbe machen.

 


[1] Elisabeth Hackspiel-Mikosch hat die wichtigsten Stationen der deutschen Polizeiuniformgeschichte zusammengetragen. Alle Daten sind ihrem Aufsatz entnommen: Elisabeth Hackspiel-Mikosch: Vom bürgerfreundlichen Grün zum respekteinflössenden Blau – Paradigmenwechsel der deutschen Polizeiuniform. In: Sandro Wiggerich und Steven Kensy (Hg.): Staat Macht Uniform. Uniformen als Zeichen staatlicher Macht im Wandel? Stuttgart 2011, S.99-123.
[2] Bis auf „blaue Ausnahmen“ zur Besatzungszeit in den Nachkriegsjahren des Zweiten Weltkrieges.
[3] Hackspiel-Mikosch 2011, S.112.
[4] Lutz Unterseher: Uniformierung: Ein Tableau von Bedeutungen. In: Sandro Wiggerich und Steven Kensy (Hg.): Staat Macht Uniform. Uniformen als Zeichen staatlicher Macht im Wandel? Stuttgart 2011, S.17-24, hier: S.22.
[5] Artikel unterschiedlichster Tageszeitungen aus den Jahren 2007 bis 2013.
[6] Jürgen Stock (2007): Neue Uniformen. Die Polizei wird wieder blau.
http://www.rp-online.de/nrw/panorama/die-polizei-wird-wieder-blau-aid-1.876800 [Zugriff: 15.03.2014].
[7] Susi Wimmer (2013): Umstellung auf neue Polizeiuniformen. Ein Herz fürs „Förster-Grün“.
http://www.sueddeutsche.de/bayern/umstellung-auf-neue-polizeiuniformen-ein-herz-fuers-foerster-gruen-1.1841660 [Zugriff: 15.03.2014].
[8] Polizeiuniformen. Macht Bayern jetzt die Grünen blau? (2013) http://www.br.de/nachrichten/polizeiuniform-bayern-farbe-100.html [Zugriff: 15.03.2014].

Abbildung 1 stammt von: Bundesarchiv, B 145 Bild-F075998-0013/ Wegmann,Ludwig/ CC-BY-SA: http://commons.wikimedia.org/wiki/File:Bundesarchiv_B_145_Bild-F075998-0013,_Bonn,_BMI,_Uniformen_Bundesgrenzschutz.jpg [Zugriff: 15.03.2014].
Abbildung 2 stammt von: Sächsisches Staatsministerium des Innern:
http://commons.wikimedia.org/wiki/File:Uniformmodell_Brandenburg3.jpg [Zugriff: 15.03.2014].

Die Polizei trägt Blau: Erkenntnisse nach einer Verkehrskontrolle

An einem sonnigen Mittwochnachmittag fahre ich mit meinem Auto durch Tübingen.
Auf dem großen Platz vor dem Feuerwehrgerätehaus stehen Polizeiautos und einige PolizistInnen. Einer von ihnen winkt mich aus dem Verkehr. Der Griff auf meine Schulter verrät mir meinen Fehler noch bevor ich das Fenster heruntergelassen habe: ich bin nicht angeschnallt. Während der Polizeibeamte meine Fahrzeugpapiere begutachtet, habe ich zum ersten Mal seit Einführung der neuen Uniformen Gelegenheit, die so viel diskutierte blaue Robe aus unmittelbarer Nähe zu betrachten. Mir stellt sich eine Frage: Wieso wurde ausgerechnet dieser Blauton für die Uniform gewählt?[1]

Verkehrskontrolle (2)

Abbildung 1: verschiedene Blautöne wirken auch unterschiedlich.

Ich rufe mir die Literatur über Farbe, die ich bereits gelesen habe, ins Gedächtnis. Blau ist nicht gleich Blau. Denn zahlreiche Einflussfaktoren spielen bei der Wahrnehmung von Farbe eine Rolle: die genaue Nuance des Tons, seine Helligkeit, umliegende Farben, der Bezugsrahmen in dem die Farbe verwendet wird.[2] Die Liste ist lang.

In meiner Situation steht das Blau in einem sehr speziellen Kontext, es ist die Farbe der Polizei geworden. Hinter der blauen Uniform steht nicht weniger als die ausführende Staatsgewalt, das Gesetz – und damit eine ihrer wichtigsten Bedeutungsdimensionen.[3]
Ich versuche mich aber auf die Farbe an sich zu konzentrieren. Sie ist sehr dunkel.
Ein „klassischer“ Blauton wäre meinem Farbempfinden nach sehr viel heller, eher wie das Blau der Polizeiautos. Dieses wiederum könnte ich aber als Uniformfarbe nicht ernst nehmen, es wäre unseriöser als der dunkle Ton. Insgesamt wirkt die Uniform, so wie sie ist, stimmig auf mich. Sie lässt ihren Träger selbstsicher und autoritär erscheinen. Hier wird klar, dass durch jahrelange Erfahrungen und Eindrücke meine Wahrnehmung sowie Bewertung der Farbe durch psychologische und symbolische Dimensionen stark beeinflusst ist.[4] Gleichzeitig merke ich auch, wie schwer es ist, die Farbe von der Uniform zu trennen. Die hervorgerufenen Eindrücke, Assoziationen und Emotionen beziehen sich auf die Kombination.

Mit vielen neuen (Farb)Eindrücken fahre ich nach Hause. In wissenschaftlicher Manier erstelle ich einen digitalen Fragebogen, den ich an 15 Personen im Alter von 21-62 Jahren schicke. Ich möchte von anderen erfahren, was sie vom „Polizeiblau“ halten, wie es auf sie wirkt und welche Assoziationen es auslöst. Zuerst frage ich nach den Wahrnehmungen von zwei Blautönen, die ich als Bilddateien in großem Abstand zueinander einfüge.[5] Das eine Blau im Ton der Polizeiautos (hell), das andere in dem der Uniform (sehr dunkel). Beim helleren Blauton belief sich der allgemeine Konsens auf Zuschreibungen wie ruhig, dezent, neutral, freundlich und angenehm. Diese Aussagen spiegeln die Wirkungen von Blau wieder, wie sie auch in der Fachliteratur beschrieben werden.[6] Die Assoziationen zum dunkleren, der Uniform entsprechenden Blauton, sind dagegen „negativer“ belegt. Es fallen Schlagworte wie düster, bedrohlich, Ungewissheit und Einsamkeit. Bewertungen, die allgemein eher zu Schwarz angeführt werden.[7]

Verkehrskontrolle (1)

Abbildung 2: Das neue Blau der Polizei. Hier das Uniformmodell der Bundesländer Hessen, Rheinland-Pfalz und Thüringen.

Zuletzt folgten in meinem Fragebogen ein Bild mit uniformierten Polizeibeamten und die Frage nach deren Wirkung. Das dunkle Blau wird im Kontext der Uniform nun ganz anders beschrieben: autoritär, seriös, attraktiv, vertrauenswürdig. Diese Beschreibungen decken sich auch mit meinem persönlichen Eindruck aus der Verkehrskontrolle.
Die Diskrepanz zwischen der reinen Farbwahrnehmung und deren Wirkung in einem spezifischen Kontext wird hier sehr deutlich. Durch die Literatur waren mir diese Wechselwirkungen von Farbton und Verwendungskontext bewusst, das wirkliche Verständnis dafür kam aber erst in einer Verkehrskontrolle.

Was lerne ich daraus? Farbe wirkt. Sie wirkt unter zahlreichen Einflussfaktoren und dadurch immer anders – Wenn auch in den meisten Alltagssituationen nur unterbewusst. Trotz der zahlreichen und aufschlussreichen Literatur zum Thema: Farbe muss erlebt werden.
Ein Gefühl für sie kann nicht nur durch das Lesen entwickelt werden. Erst die persönlichen Eindrücke und das permanente Hinterfragen schulen den Blick und eröffnen Forschungsfelder.
Und zuletzt eine weitere wichtige Erkenntnis: Auf keinen Fall das Anschnallen vergessen!
In meinem Fall drückt der Beamte letzten Endes beide Augen zu und lässt mich mit einer Verwarnung weiterfahren. Ich komme also mit einem „blauen Auge“ davon und sehe die Aufregung als Forschungsinvestition.

 


[1] In meinem Beitrag beziehe ich mich auf den dunklen Blauton der Jacken und Hosen. Das hellere Blau der Hemden und Autos wird vernachlässigt.
[2] Vgl. Harald Küppers: Das Grundgesetz der Farbenlehre. 9. überarb. u. aktual. Aufl. Köln 2000, S.14f.
[3] Vgl. Lutz Unterseher: Uniformierung: Ein Tableau von Bedeutungen. In: Sandro Wiggerich und Steven Kensy (Hg.): Staat Macht Uniform. Uniformen als Zeichen staatlicher Macht im Wandel? Stuttgart 2011, S.17-24, hier: S.18.
[4] Vgl. Eva Heller: Wie Farben wirken. Farbpsychologie, Farbsymbolik, kreative Farbgestaltung. 6. Aufl. Reinbeck bei Hamburg 2011, S.13f.
[5] Durch den Abstand soll der direkte Vergleich der beiden Farben durch den Leser vermieden werden.
[6] Vgl. Heller 2011, Farbtafeln ab S.49ff.
[7] Vgl. Ebd. S.92.

Abbildung 1 wurde von der Autorin zusammengestellt.
Abbildung 2 stammt von: http://commons.wikimedia.org/wiki/File:Uniformmodell_Hessen4.JPG?uselang=de [Zugriff: 15.03.2014].