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KÖRPER MIT GEWICHT #3

Dicke Mode-Vlogger

Dass es einen breiten Alternativdiskurs zu den vorherrschenden dünnen Körperidealen gibt, zeigt ein weiterer Blick in die sozialen Medien. Dort finden sich unzählige Blogs und Vlogs in denen AnhängerInnen der Fat-Acceptance- und Body-Positiv-Bewegung über beinahe alle Bereiche ihres Lebens berichten. Neben politischen Vlogs finden sich auf You Tube hunderte VlogerInnen, die offen und öffentlichkeitswirksam über ihre Körper und deren Bekleidung sprechen. Diese Vlogs führen zurück zum Ausgangsthema dieses Blogbeitrags, der Frage nach dem Zusammenhang von Mode und dicken Körpern.

Screenshot von Brittney's You Tube-Channel

Screenshot von Brittney’s You Tube-Channel https://www.youtube.com/user/xBrittney89

xBrittney 89: A Plus Size Point Of View

Einer dieser Vlogs wird vom amerikanischen Plus-Size-Modell Brittney (27 Jahre alt) betrieben und von über 35.000 AbonentInnen verfolgt. Inhaltlich finden sich auf ihrem Kanal: „OOTD’s, DIY projects, shopping hauls, makeup tutorials, and more!“ (Brittney 2016). Sie selbst beschreibt sich als „a plus-size girl choosing happiness along this crazy ride called life“ (Brittney 2016).

Screenshot "Bikini Lookbook"

Screenshot „Bikini Lookbook“ https://www.youtube.com/user/xBrittney89

In ihren „Style Sunday“-Videos zeigt die Vloggerin diverse Outfits und Accessoires, spricht über verschiedene Shoppingerlebnisse und führt unterschiedliche Kleidungstücke, meist tanzend, vor der Kamera vor. Neben diesen Videos finden sich unter der Rubrik „Fat Chat Friday“ Videos, in denen Brittney über viele Bereiche ihres Lebens als „fette Frau“, wie Dating, Besuche in der Disco, oder Erlebnisse aus der Schule und dem Berufsleben, spricht. Dabei geht sie offen mit ihrem, nach eigenen Angaben von der gesellschaftlichen Norm abweichenden, Körper um und teilt ihre eigene „Body-Positivity“ mit ihren AbonentInnen. Für sie ist ihr Kanal: „a safe-zone for everybody to enjoy and relate”  (Brittney 2016). Sie erläutert über die Kleidung, die sie trägt, ihre Beziehung zu ihrem Körper und spricht darüber, wie sie ihr eigenes Körper-Selbstbewusstsein erlangte und wie sie dieses im Alltag herstellt.

Brittney 1

Screenshot „Spring Lookbook“ https://www.youtube.com/user/xBrittney89

In ihrer Auseinandersetzung mit Mode, setzt sie sich immer wieder auch mit ihrer eigenen Körperlichkeit auseinander und animiert ihre AbonentInnen zur eigenen, individuellen Beschäftigung  mit Körper und  Bekleidung: „So I challenge you the next time you limit yourself on what you should or shouldn’t be wearing.  Try new things.  Push yourself outside of your comfort zone.  And mostly, try to push out the ideals of society.  Because then you will create more room for your own validation.  And that will empower you more than society will ever do for you” (Brittney 2016). In einem ihrer Videos formuliert Brittney ihren Ansatz noch zugespitzter: „Our worth is not defined by a number on the scale”.

Anschließende Überlegungen

Brittney’s Vlog zeigt, dass diese Art der Auseinandersetzung mit Körperbildern und Mode, über bestimmte Praktiken und Bilder einen alternativen Diskurs zu etablierten versucht. Hier bildet sich ein Gegendiskurs zu den von der Gesellschaft als ästhetisch markierten Körperbildern und deren Visualisierung. Auf ihrem Kanal finden komplexe Prozesse des Aneignens und Aushandelns von Vorstellungen und Praktiken über bestimmte Körperbilder und deren Visualisierung statt. Diese neuen Körperbilder und Diskurse schaffen eine Überbrückung kultureller wie gesellschaftlicher Grenzen in Bezug auf die Konstruktion und Visualisierung von Körpern, die sich außerhalb gesellschaftlicher Normen bewegen und erschaffen zugleich neue symbolische Grenzen, indem Texte, Codes oder Praktiken zu Körperlichkeit und Mode transformiert werden.

Neue empirische Felder

Brittney’s Vlog als ein Beispiel der vielen Mode-Plus-Size-Vlogs, die sich auf You Tube finden, stellt ein interessantes kulturwissenschaftliches Forschungsfeld dar, welches enormes Potential zur empirischen Untersuchung gegenwärtiger Körperbilder bietet. Diese Vlogs zeigen, über welche Praktiken Körperbilder im Web 2.0, in dem die Rezipienten- und die Produzentenebene zusammenfallen, hergestellt werden und wie Körperdiskurse dort konkret verhandelt werden. Vlogs und Blogs dieser Art bieten die Möglichkeit, Fragen nach den Ressourcen und der Handlungsmacht scheinbar unterlegener AkteurInnen zu erforschen und in Zusammenhang mit den neuen Möglichkeiten der Sozialen Medien zu bringen. Untersuchungen dieser Art könnten zeigen, welches subversive Potential aus der dort stattfindenden Aushandlung und Herstellung dicker Körper erwächst und welche Privilegien (aber auch Risiken) aus diesen neuen Bild- und Kommunikationswelten des Web 2.0 resultieren. In Anlehnung an Foucaults Machtbegriff können Fragen nach der Aushandlung, gar Kritik an hegemonialen Vorstellungen von Schönheit, Ästhetik und Körperbildern gestellt und konkret empirisch untersucht werden.


Quellenverzeichnis:

xBrittney 89: A Plus Size Point Of View. URL: https://www.youtube.com/user/xBrittney89 (Zugriff: 31.03.2016).

KÖRPER MIT GEWICHT #2

Politische Körper

Spiekermanns historische Analyse verdeutlicht die relative Zyklik der (historischen) Debatten um Idealkörper bei gleichzeitiger Konstanz der Argumente und Bekämpfungsstrategien, wie sie sich in den eingangs erwähnten Postings ( http://blog.kulturding.de/?p=3978) wieder finden (Spiekermann 2008: 53). Spiekermann weist deutlich darauf hin, dass Körper mehr sind als funktionale Maschinen und Repräsentationen gesellschaftlicher Strukturen „sie sind vielmehr verbunden mit Sehnsüchten, Träumen und Wünschen“ (Spiekermann 2008: 53). Diese Mehrdimensionalität des Körpers hilft zu verstehen, wie die eingangs erwähnten Postings im Alltag funktionieren, in welchem Körper gleichermaßen Projektionsflächen und Bewährungsfelder unserer Wünsche und Vorstellungen sind. Die Postings zeigen, „wie sehr hier soziale Ausgrenzung und Stigmatisierung salonfähig geworden sind“ (Spiekermann 2008: 53) und verweisen auf eine zunehmende Strukturierung der Gesellschaft über Gewichtsnormen, verbunden mit einer Inklusion und Exklusion bestimmter Körper, unter der zu Hilfenahme von (kaum reflektierten) Gewichtsindikatoren. (Klotter 2008: 23). Der Kulturhistoriker Christoph Klotter geht sogar davon aus, dass die Problematisierung des Gewichts zu innergesellschaftlichen Kriegen zwischen Dicken und Dünnen führe, die sinnstiftend für die Gesellschaft seien, da dort traditionelle ethische Werte und historische Entwicklungen verdeckt verhandelt würden. Er stellt die These auf, dass „die Thematisierung der Adipositas in der gesamten abendländischen Geschichte ein Mittel gesellschaftlicher Kontrolle des individuellen Körpers gewesen ist“ (Klotter 2008: 31). Davon ausgehend zeigt sich, dass die Diskurse um Körper mit Gewicht eine politische Dimension haben und als gesellschaftliches Problem verhandelt werden.

Die ehemalige Verbraucherschutzministerin Renate Künast

Die ehemalige Verbraucherschutzministerin Renate Künasthttps://de.wikipedia.org/wiki/Renate_K%C3%BCnast#/media/File:Renate-kuenast-2006.jpg

Bereits 2003 problematisierte die ehemalige Verbaucherschutzministerin Renate Künast die zu dicken Deutschen im Bundestag und erklärte Übergewicht damit zu einem nicht nur medizinischen, wie ästhetischen, sondern zu einem gesellschaftlichen Problem (Schmidt-Semisch/Schorb 2008: 7). Der Adipositas, von vielen Mediziner als chronische Krankheit eingestuft, wurde unter großer Anteilnahme der Öffentlichkeit der Kampf angesagt.

 

„Size Acceptance“ – Übergewicht als körperliche Vielfalt

Doch neben dieser Problemwahrnehmung von Übergewicht, rühren sich alternative Stimmen. Der Kulturwissenschaftler Friedrich Schorb weist auf die stetig wachsende „Size Acceptance“ und „Fat-Acceptance“ Bewegung aus den USA hin, die das Bild des „fitten Fetten“ (Schorb 2008: 71) propagiert und aufzeigt, dass sich fit und fett nicht ausschließen und eine reine Bewertung des Körpergewichts und der Körperform mittels Body Mass Index (BMI), nichts über den Gesundheitszustand eines Menschen aussagen.

(Schorb 2008: 71). Die Anhänger dieser Bewegungen begreifen dicke Körper als eine von vielen Ausprägungen körperlicher Vielfalt: „Adipositas als körperliche Vielfalt ist weniger ein Erklärungsansatz als der Versuch, die Kategorien Adipositas und Übergewicht aufzuheben und den BMI zu einer Fußnote der Medizingeschichte werden zu lassen“ (Schorb 2008: 74). Auch in den Sozialwissenschaften werden neue Ansätze zur Betrachtung dicker Körper verhandelt: „Fat Studies“ beschäftigen sich kritisch mit den sozialen und politischen Konsequenzen der vorherrschenden Wahrnehmung von Adipositas und Übergewicht. Dabei sieht sich diese Disziplin in der Tradition der Gender-, Queer-, Behinderten-, und Black-Studies, also solchen Disziplinen, die sich mit Menschen befassen, die vom gesellschaftlichen Mainstream benachteiligt und unterdrückt werden (Schorb 2008: 75). Damit bilden diese Untersuchungen, so Schorb, wichtige Korrektive in einer Gesellschaft, in der der Umgang mit Übergewicht immer restriktiver wird und bieten vielleicht sogar das Potential, eine echte Alternative zum „gegenwärtigen Kreuzzug gegen Fette“ (Schorb 2008: 75) zu etablieren. Weiterlesen

KÖRPER MIT GEWICHT #1

Autobiografisches

Anfang der 2000er, als alle Mädchen bauchfreie Tops und Hüfthosen trugen, war ich ein pummliger Teenager. Mangels passender Hüfthosen trug ich den „Grunch-Look“: Spitzennachthemden meiner Oma, zerrissene Jeans und sehr viel schwarzen Kajal. Auf einem Konzert, bei dem ich ein besonders durchsichtiges Nachthemd trug, sprach mich ein Typ mit Lederjacke an. Er lobte mich für meinen Style mit den Worten: „Ich finde es cool, dass du dich bei deiner Figur traust so was anzuziehen – voll mutig“.

Dress For The Body You Have

Fünfzehn Jahre später, nachdem Michel Foucault und Judith Butler mir viel über die soziale Konstruktion (geschlechtlicher) Körper beigebracht haben, rief ein Posting auf meiner Facebookseite dieses Erlebnis wieder in mein Gedächtnis:

Screenshot eines Facebookpostings

Screenshot eines Facebookpostings

Das Schild wies mich deutlich darauf hin, mich gemäß des Körpers zu kleiden, den ich habe und nicht gemäß des Körpers, den ich gerne hätte, den pummeligen Körper, den ich einst in durchsichtige Nachthemden gesteckt hatte. Bevor ich weiter nachdenken konnte, hatte schon jemand mit einem weiteren Bild in den Kommentaren geantwortet:

Screenshot der Kommentarfunktion

Hatten ich und mein Nachthemd einst wie diese hervorquellende Melone ausgesehen und wenn, wäre es schlimm? Gibt es ein unausgesprochenes Gesetzt zur Verhüllung sichtbaren Körperfetts und wieso ist Fett überhaupt ein ästhetisches, gar gesellschaftliches Problem? Dieser ausschnitthafte Facebook-Diskurs darüber, wie Dicke (Frauen) sich kleiden sollten, führt zu Fragen nach der sozio-kulturellen Konstruktion dicker (Frauen-)Körper und deren angemessener (oder nicht angemessener) Bekleidung.

Diskursive Körper

Zu Beginn dieser Überlegungen steht die Prämisse, dass Körperbilder einem stetigen Wandel unterliegen und der aktuelle Diskurs über Körper ein historisch gewachsener ist. Davon ausgehend stellt sich die Frage, warum „Normal“- und „Übergewicht“ heute Begriffe sind, mit denen wir unsere Körper im Alltag begreifen und wie es historisch zu einer gesellschaftlichen Problematisierung „übergewichtiger“ Körper und deren Verhältnis zu Mode kam.

Übergewicht und Körperdeutung im 19. Und 20. Jahrhundert

Nach Uwe Spiekermann hängt die Einteilung unserer Körper in bestimmte („gesunde“ und „ungesunde“) Gewichtsklassen stark mit materialistischen Deutungen und Bewertungen des Körpers, die dem späten 19. Jahrhundert entstammen und bis heute die Debatten um Körperwahrnehmung prägen, zusammen. Er beschreibt, wie mit Erlangen der naturwissenschaftlichen Deutungsmacht über Körper im 19. Jahrhundert, quantitative Vorstellungen von gesunden und kranken, normalen und unnormalen Körpern Einzug in die Diskurse um Körperlichkeit hielten und so als Referenzsysteme verwissenschaftlicher Körper dienten. Analogien vom Mensch als Maschine, der eine gewisse Menge Kalorien verbraucht und einen Stoffwechsel mit Grundbedarf hat, reduzierten den Körper auf seine Materialität, wie seine Funktionalität, also der Frage nach „gesunden“, leistungsfähigen oder „kranken“ Körpern (Spiekermann 2008: 43). Der Körper wurde über Maße, Statistiken und Körperformeln normiert, quantitative Vorstellungen von „normalen“ und „unnormalen“ Körpern führten zur Idee eines menschlichen „Durchschnittskörpers“, gar der Idee eines „Volkskörpers“ dessen Individuen als Bruchteile seiner Gattung betrachtet werden könnten (Spiekermann 2008: 44). Diese Ideen vom Normalkörper, so Spiekermann, gingen davon aus, „dass Längen- und Gewichtsproportionen direkte Indikatoren des Gesundheits- und Ernährungszustandes seien – eine Fiktion der wir bis heute anhängen“ (Spiekermann 2008: 45). Die so hergestellten Körpernormen wurden schnell zu Körperidealen, die Körper, unter der Zuhilfenahme eines naturwissenschaftlichen Körpermodells, hierarchisierten. Dabei wurden vielfältige, nicht naturwissenschaftliche Dimensionen des Körpers ausgegrenzt. Bereits im späten 18. Jahrhundert lassen sich geschlechtlich divergierende Körperanforderungen erkennen: Männer sollten kräftig und leistungsfähig, Frauen jung, attraktiv und schlank sein. Historisch betrachtet sein es insbesondere Frauen und ihre Körper gewesen, an denen medizinische, moralische und politische Diskurse über Ideale Maße ausgetragen wurden (und bis heute werden). (Villa/Zimmermann: 2008: 172). Spiekermann zeigt auf, wie sich Körperideale und deren gesellschaftliche Bewertung in den letzten 200 Jahren immer wieder veränderten: Von kräftigen Wohlstandsleibern über dürre Lebensreformer, erste Diätpräparate, die Akzeptanz einer wiedergewonnenen Antike mit Statuen gleichen Körpern, bis hin zur Nacktkulturbewegung, bot das lange 19. Jahrhundert vielfach heterogene Körperideale. Selbst in den Zwischenkriegsjahren, in denen schlanke Frauen in schmalen Kostümen die urbane Kultur prägten, habe es aufgrund der vorherrschenden Unterernährung kein dominantes Schlankheitsideal gegeben (Spiekermann 2008: 50). Auch während der NS-Zeit wurden figurbetonte, kräftige Körper als Ideal propagiert. Diese Körperideale fülliger Frauen und kräftiger, muskulöser Männer blieben auch in den Nachkriegsjahren, so Spiekermann, bis in die frühen 1960er-Jahre, bestehen. Der Bruch erfolgte „nicht zuletzt mit der Sexualisierung und Liberalisierung seit den späten 1960er-Jahren, die eben nicht mehr neuerlich an ein antikes Ideal anknüpfte“ (Spiekermann 2008: 51). Nach Spiekermann sei unsere Bilderwelt bis heute von diesen deutlich schlankeren Körpern geprägt, die sich unter anderem durch die sog. Gesundheitswelle um 1970 als Ideale durchsetzten. Der Diätboom seit den 1990er-Jahren mit den Idealkörpern dürrer Supermodels mündete in den bis heute ökonomisch relevanten Schlankheits- Lebensmittel- und Fitnessmärkten (Spiekermann 2008: 53).

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