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Wearables – Modetrend als kulturwissenschaftliches Forschungsfeld

Das Internet ist heute aus der Lebenswelt vieler Menschen nicht mehr wegzudenken. Fast jeder Erwachsene hat schon einmal etwas im Internet gekauft oder Bankgeschäfte online abgewickelt. Soziale Netzwerke verbinden die ganze Welt und Instant Messaging Apps wie Whatsapp schaffen kontinuierliche Verbindungen zwischen den Menschen. Angebote des Internets integrieren sich immer weiter in unsere Lebenswelt und durchdringen sie. Dies spiegelt sich auch in der Entwicklung von internetfähigen Endgeräten wieder. Längst sind klassische Computer den Laptops gewichen. Der Grund liegt nahe: Man kann sie überall hin mitnehmen. Man spricht hier von Portables, englisch für tragbar. Auch Smartphones und Tablet- PCs gehören zu dieser Kategorie. In den letzten Jahren ist zudem eine weitere, neue Produktkategorie auszumachen: die Wearables (Loschek 2007: 148). Sind Smartphones schon seit einigen Jahren modische Statussymbole vereinen sich mit den Wearables Technik und Mode vollends. Smartwatches, Fitnessarmbänder oder Datenbrillen (z.B. Google Glass) zeichnen Vitalwerte des Benutzers auf, liefern Informationen auf Nutzeranfrage, stehen über eine Internetverbindung ständig in Kontakt mit anderen Nutzern und sind auf dem Markt bereits von verschiedenen Herstellern verfügbar. In der Zukunft sind zudem weitere Formen von Wearables zu erwarten. Eine Smartwatch ist als eine Weiterentwicklung der Armbanduhr zu verstehen. Zuerst war sie ein analoger Zeitanzeiger, später digital mit weiteren Funktionen und heute mit einem berührungsempfindlichen Display ausgestattet und idR. mit dem Smartphone gekoppelt. In dieser Art und Weise werden sich wohl auch andere Kleidungsstücke entwickeln, auch jene von denen man es heute nicht erwartet.  Der Internetkonzern Google erforscht in seinem Project Jacquard Textilfasen, die elektrische Signale aufnehmen und weiterleiten können. Damit ist es z.B. denkbar, dass berührungsempfindliche Touchpads in Kleidungsstücke integriert werden und so der Träger andere Geräte fernsteuern oder mit anderen Menschen kommunizieren kann. Diese Entwicklung könnte in Zukunft ein ähnliches Distinktionsmittel wie heute Markenkleidung darstellen. Wer kein intelligentes bzw. smartes Outfit trägt, wird schlicht nicht modern sein (Loschek 2007: 151). Zudem steigt der Mehrwert der Wearables dann, wenn alle Teilnehmer kompatible Technik besitzen und tragen. Daher ist anzunehmen, dass sich diese technische und modische Entwicklung zuerst in kleinen Gruppen finden wird.

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Die App Together auf einer Smartwatch mit der zwei Nutzer sich gegenseitig kurze Nachrichten direkt auf ihre Smartwatches senden können.

Der Unterschied von Wearables zu Portables ist, dass Wearables durch das Tragen am Körper benutzt werden und so ein Stück weit mit dem Benutzer verschmelzen. Ein Portable, wie das Smartphone könnte z.B. durch eine „smarte“ Oberbekleidung ferngesteuert werden. Das Streichen über den Arm könnte einen eingehenden Anruf annehmen, die eingearbeiteten Kopfhörer in der Mütze geben den Ton wieder, ein Mikrofon im Kragen nimmt die Sprache auf. Alle Wearables sind untereinander drahtlos gekoppelt und z.B. durch das Smartphone mit dem Internet verbunden. Der Werbeslogan „Ich leb’ online – mit T-Online“ aus einer Werbekampagne des Telekomuniaktionsanbieters Deutsche Telekom AG aus dem Jahr 2003 beschreibt heute besser als damals, was eine ständige Internetverbindung bedeuten kann. Besonders in Bezug auf Wearabels ist das Internet als Forschungsfeld der Empirischen Kulturwissenschaft daher schon heute nicht mehr wegzudenken. Es ist an der Zeit, die Nutzung der bereits existierenden Wearables zu erforschen, um so für die Zukunft Methoden bereit zu halten. Denn die Zukunft steht vor der Tür. Bereits im vergangenen Jahr kündigte der Jeanshersteller Levi Strauss zusammen mit Google eine Kooperation beim Project Jacquard an. Bereits 2016 sollen die ersten fertigen Produkte mit berührungsempfindlichen Stoffen vorgestellt werden.

 

Quellen:

Kannenberg, Axel: „Project Jacquard“: Google und Levi’s wollen Kleidung zu Trackpads machen. In: Heise Online 2015, abgerufen unter: http://www.heise.de/newsticker/meldung/Project-Jacquard-Google-und-Levi-s-wollen-Kleidung-zu-Trackpads-machen-2671597.html (zuletzt 20.04.2016).

Loschek, Ingrid: Wann ist Mode? Strukturen, Strategien und Innovationen. Berlin 2007.

Bild: privat

Ausstellungstipp: Geschmackssachen. Formen, Normen, Kaffeekanne

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Auf die Frage „Was ist eigentlich Geschmack?“ fällt es auf den ersten Blick schwer eine klare Antwort zu geben. Man könnte direkt an den kulinarischen Bereich denken. Jeder weiß in etwa, was er/sie mag und was nicht. Ähnlich verhält es sich bei der Betrachtung bzw. Auswahl von Alltagsgegenständen aller Art. Ob und welche Schutzhülle zum Smartphone kombiniert wird oder welche Möbel in der Stundeten-WG stehen, sagt auch immer etwas darüber aus, wer den Gegenstand benutz oder mit ihm lebt. Besonders im Bereich der Mode ist der gute und schlechte Geschmack ein sehr präsentes Thema. Die Literaturwissenschaftlerin Barbara Vinken beschäftigte sich 2013 in ihrem Buch „Angezogen: Das Geheimnis der Mode“ unter anderem damit. Im Interview kommt sie zum Ergebnis, dass jede Mode, wenn sie modisch wird, „eine Geschmacksüberschreitung hin zum schlechten Geschmack“ durchlaufen muss. (https://www.youtube.com/watch?v=fex-9qVigCw , bei Min. 3:55). Sie verfolgt dabei einen Ansatz, nachdem Regeln (nämlich die das guten Geschmacks) gebrochen werden müssen, um etwas Neues entstehen zu lassen. Dabei bleibt die Frage offen, woher überhaupt Regeln kommen, die den guten oder schlechten Geschmack bestimmen.

Die studentisch konzipierte und realisierte Ausstellung „Geschmackssachen. Formen, Normen, Kaffeekanne“ im Archiv der ehemaligen Hochschule für Gestaltung in Ulm gibt Antworten auf diese Frage. In sieben Ensembles werden über 30 Alltags- und Designgegenstände in den Dialog miteinander gebracht. Durch die Kombination dieser oft sehr unterschiedlichen Objekte eröffnen sich neue Perspektiven. So finden sich in einem Ensemble z.B. ein  Häs (Fastnachtsgewand) der Konstanzer Blätzlebuebe und ein Overall der Olympischen Spielen 1972 gegenübergestellt. Das Ensemble trägt die Überschrift „Uniform“. Auf den ersten Blick ordnet man die Kostümierung dem wilden Treiben der Fasnacht zu, also der Zeit des Regelbruchs. Der Olympia-Overall hingegen wurde von Otl Aicher in verschiedenen Farben als Uniform für Service- und Ordnungskräfte entworfen. Eine Abweichung vom Farbkonzept war nicht vorgesehen. Schaut man noch einmal genau auf das Gewand und seine Geschichte fällt auf, dass es auch für das Erscheinungsbild der selbstgefertigten Verkleidung  genaue Vorgaben gibt. Form, Größe und Anzahl der willkürlich scheinenden Schuppen sind z.B. genau festgeschrieben. Auch hier ist also ein Brechen mit den Regeln nicht denkbar. Nun sind ein Häs und ein Olympia-Overall nur im weitesten Sinn dem Thema Mode zuzuordnen. Allerdings zeigt das Beispiel, dass so generelle Aussagen, wie sie Vinken trifft im konkreten Fall oft nur schwierig haltbar bleiben können. Dabei ist hier die Perspektive auf die HfG Ulm als regelgebende Institution im Bezug auf die Alltagsgegenstände interessant. Der Architekt und Designer Max Bill, der auch Mitbegründer der HfG Ulm war, würde Vinkens Ansatz unterstützen, dass nur mit dem Überwinden des Alten etwas Neues entstehen kann. Allerdings ist Bills Ansatz viel absoluter. Das Konzept der Guten Form steht auch für die Positionierung der HfG in der Nachkriegszeit als Gegenbewegung zum Geschmacksdiktat der Nationalsozialisten. Jedoch würde Bill die einmal gefundene Gute Form als finale und nicht weiter anzweifelbare Institution sehen. Für den Bereich der Mode könnte dies bedeuten, dass es einzelne Klassiker gibt, die ihre finale Form bereits erreicht haben. Nur bleibt hier auch wieder die Frage offen, wer eigentlich bestimmt, was zu einem zeitlosen Klassiker wird und was nicht.

Ensemble "Uniform" in der Ausstellung Geschmackssachen. Formen, Normen, Kaffeekanne.

Ensemble „Uniform“ in der Ausstellung Geschmackssachen. Formen, Normen, Kaffeekanne.

Für alle, die auf dem Geschmack gekommen sind und sich näher mit der Konstruktion und Dekonstruktion von Geschmacksbildern beschäftigen wollen, wird es am 17. April 2016  studentische Kuratorenführungen durch die Ausstellung Geschmackssache. Formen, Normen, Kaffeekanne geben.

Nähere Informationen zu den Ausstellungsführungen: http://www.hfg-archiv.ulm.de/
Alles zur Ausstellung: http://geschmackssachen-ausstellung.de/

 

Quellen:
Vinken, Barbara: Angezogen. Das Geheimnis der Mode. Stuttgart 2013.
Zur „Guten Form“ nach Max Bill siehe auch http://www.designwissen.net/seiten/die-gute-form

Zu den Kleiderregeln der Blätzlebuebe Zunft: http://www.blaetzlebuebe-zunft.de/index.php/home/erscheinungsbild-des-blaetz